Auch die Stichwahl im Kongo hat kein allgemein akzeptiertes Ergebnis gebracht. Zurück bleibt ein gespaltenes Land, das einer schwierigen Regierungsbildung entgegen sieht.
Der Wahlmarathon in der Demokratischen Republik Kongo ist vorbei, zurück bleibt ein Land in Unsicherheit. Normalerweise sind Wahlen nach dem Abschluss eines Friedensprozesses ein Schlüssel zur Veränderung der politischen Kultur: Nicht mehr Gewehre entscheiden über die Macht, sondern die Zettel in der Wahlurne; nicht mehr die Drohung mit Gewalt soll zählen, sondern die politische Überzeugungskraft. Erfahrungen in Bürgerkriegsländern zeigen zwar regelmäßig, dass dies ein hehrer Traum ist: Meist entscheiden alte Loyalitäten den Wahlausgang, nicht neue Zukunftserwägungen. Doch im Kongo kam nicht einmal ein allseits akzeptiertes Ergebnis zustande. Auch die Mehrheitsverhältnisse sind nicht eindeutig genug, um eine stabile Regierung bilden zu können. Joseph Kabilas Wahlsieg ist zu knapp, sein Gegner Jean-Pierre Bemba mit deutlich über 40 Prozent der Stimmen politisch zu stark. Bemba hat die Mehrheit der elf Provinzen des Kongo gewonnen, darunter die Hauptstadt Kinshasa. Er kann damit jederzeit Kabilas Legitimität in Frage stellen, wahlweise mit politischen Mitteln oder mit der Waffe. Kinshasa, immerhin Afrikas drittgrößte Metropole, wird in Zukunft von einem Präsidenten regiert, den sie bei den Wahlen mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt hat, dessen Legimitation sie anzweifelt und dem sie sich höchstens unter Zwang beugen wird.
Kabila hatte das anders geplant. Bei der ersten Wahlrunde am 30. Juli hatte er im Osten des Kongo fast alle Stimmen gewonnen, im Westen aber ganz wenige. So verbündete er sich mit mächtigen Rivalen Bembas im Westen des Landes, um eine Plattform der „nationalen Einheit“ aufstellen zu können. Antoine Gizenga, der alte Lumumbist und Befreiungskämpfer der 1960er Jahre, sollte ihm das Umland Kinshasas sichern; Nzanga Mobutu, der Sohn des einst von Kabilas Vater gestürzten Diktators, den Nordwesten des Landes, aus dem auch Bemba stammt. Es funktionierte nicht. Kabila bleibt auf den Osten beschränkt, Bemba hat die Gizenga- und Mobutu-WählerInnen im Westen vereinnahmt.
Damit ist das Land paradoxerweise auf den Beginn des Friedensprozesses zurückgeworfen, als politischer Fortschritt nur durch Ausgleich zwischen Warlords mit unterschiedlichen geographischen Machtbasen erzielt werden konnte. Kabila und Bemba müssen sich auch jetzt zunächst außerhalb des demokratischen Prozesses verständigen, damit die im Jänner 2007 einzusetzende Regierung dann auch in allen Teilen des Kongo akzeptiert wird und regieren kann.
Die Bereitschaft dazu ist allerdings gering – nicht nur bei den Kontrahenten selbst. Im Volk, sowohl in Kinshasa als auch in den Metropolen Ostkongos, gibt es wenig Verständnis dafür, wieso man der jeweils anderen Seite entgegen kommen soll. Schon kursieren in den östlichen Kivu-Provinzen Überlegungen, man könne sich doch einfach gleich vom Kongo abspalten und ohne die lästige, aufgeblähte, anspruchsvolle Metropole Kinshasa weitermachen. In Kinshasa wiederum hält man sich für den Nabel der kongolesischen Welt. Man belächelt dort die Bevölkerungen der Kriegsgebiete im Osten entweder als Marionetten der feindlichen Nachbarländer Ruanda und Uganda oder als Opfer einer kriegsbedingten psychologischen Regression, die sie unfähig macht, das nationale Interesse zu begreifen. Und man geht – in beiden Landeshälften – davon aus, dass in der jeweils anderen Hälfte getrickst und manipuliert wurde.
Die Grundlage für einen gemeinsamen Weg des Kongo in eine friedliche Zukunft ist also schwächer, als sie nach drei Jahren international abgesichertem Friedensprozess mit der größten UN-Mission und der teuersten Wahlvorbereitung der Welt eigentlich sein sollte. Internationale Blaupausen und Fahrpläne sind eben kein Ersatz für politische Überzeugungsarbeit.
Die meisten KongolesInnen wollen von Krieg und Politik nichts wissen. Sie wollen erst einmal überleben, dann wollen sie eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Sie sehnen sich nach geordneten Verhältnissen, in denen sie ihre Energie in den Aufbau eines besseren Lebens stecken können statt in den Kampf gegen alltägliche Widrigkeiten und behördliche Willkür. Weder Kabila noch Bemba hat überzeugend dargestellt, dass er das zu gewährleisten vermag.
Dominic Johnson ist Afrika-Redakteur der Berliner Tageszeitung taz und war zuletzt während der Stichwahl Ende Oktober in Kinshasa.