Sozialstandards auf dem Prüfstand

Von Frank Braßel · · 2000/09

Sozialsiegel können die Menschenrechtslage in den Weltmarktfabriken verbessern. Oder auch nicht.

In der globalisierten Weltwirtschaft sind Verletzungen grundlegender sozialer Menschenrechte weitverbreitet. Weil Skandale dem Geschäft schaden, reagieren internationale Unternehmen relativ schnell auf kritische Berichte. Verhaltenskodices und soziale Gütesiegel sind eine Antwort darauf: Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften wirken zunehmend dabei mit. Stellt sich die Frage, wer von dieser ungewohnten Kooperation profitiert: die multinationalen Konzerne, die NROs oder die Menschen in den Weltmarktfabriken?

Einzelne Erfolge sind unbestritten: Das Rugmark-Siegel holt eine wachsende Zahl von Kindern in Indien und Nepal aus den Teppichmanufakturen. Der Schnittblumenhandel musste nach zehn Jahren der Kritik ein Übereinkommen mit NROs und Gewerkschaften über internationale Sozial- und Umweltstandards abschließen: das „Flower Label Programm“.

Grosse Handelshäuser wie Otto oder C&A haben auf Druck der Clean Clothes Kampagne interne Richtlinien über die Beachtung wichtiger Arbeitsnormen bei ihren Zulieferern erlassen und eigene Kontrollinstanzen aufgebaut.

Bei Teppichen und Blumen gelang ein relativ weitgehender Kompromiss in stark emotional besetzten aber ökonomisch eher schwachen Sektoren. Dagegen ist die Textilindustrie milliardenschwer und von multinationalen Konzernen dominiert. Wer eine seriöse Analyse in diesem Geschäft unterläßt, gerät als NRO in Gefahr, Werbeträger für globale Wirtschaftsunternehmen zu werden. Neuere Entwicklungen in den USA und Großbritannien weisen in diese Richtung.

SA 8000 steht für „soziale Verantwortlichkeit“ (social accountability). Das in den USA entwickelten Konzept lässt multinationale Unternehmen auf die Einhaltung der wichtigsten ILO-Konventionen durchchecken. Die Papierform ist gut. Große Betriebsprüfungskonzerne wie SGS haben bereits die ersten Produktionsfirmen geprüft und für gut befunden. Die Beschäftigten und ihre Organisationen wurden allerdings in diesem Prozess vergessen. Dole, der größte Bananenkonzern, hat beispielsweise in seiner Niederlassung in Costa Rica einen Probelauf mit SA 8000 absolviert. Offiziell wird die Partizipation lokaler Organisationen betont. „Wir haben Dole aufgefordert, uns über ihre Arbeit zu SA 8000 zu unterrichten, doch das Unternehmen schweigt sich aus. Wie aber sollen Sozialstandards durchgesetzt werden, wenn die Menschen nicht beteiligt sind?“, fragt Pater Gerardo Vargas, Sprecher eines Bündnisses von NROs und Gewerkschaften in Costa Ricas Bananensektor.

Liegt es daran, dass Dole im Leitungsgremium von SA 8000 vertreten ist, die Gruppen aus Costa Rica aber nicht?

„Die NROs in den Industrieländern pflegen eine zum Teil exotische Sprache und Vorgehensweise. Warum werden Produkte und Plantagen für ein Gütesiegel nicht mit uns zusammen ausgesucht?“, fragt der mittelamerikanische Gewerkschafter Gilberto Bermúdez. Er meint dabei die britische Ethical Trading Initiative (ETI). Sie wurde mit viel Vorschusslorbeeren und einigen Millionen Pfund von New Labour ins Leben gerufen, um internationale Sozialstandards bei den Zulieferern der britischen Weltmarktunternehmen durchzusetzen. Es gibt zwar eine Parität zwischen NROs, Gewerkschaften und Wirtschaft in den ETI-Gremien, doch in der Realität scheint sich letztere durchsetzen zu können.

Ein Pilotprojekt von ETI ist der Gartenbausektor Simbabwes, der britische Supermärkte mit Bohnen, Broccoli und Blumen versorgt. Die Folgen der Apartheid mit rechtlosen schwarzen LandarbeiterInnen auf weißen Großplantagen sind unübersehbar: massive Diskriminierung der Frauen, 51 Stunden legale Wochenarbeitszeit, Hungerlöhne, weitverbreitete Kinderarbeit und schwache Gewerkschaftspräsenz, halbfeudale Verhältnisse – und Verstöße gegen viele ILO-Konventionen.

Ein ideales Arbeitsfeld für die Durchsetzung derselben, könnte man meinen. Doch der Chef des Farmerverbandes und die britische Leiterin der Kinderhilfsorganisation „Save the Children“ setzten durch, dass die Gesetzeslage Simbabwes zur Grundlage für „ethischen Handel“ mit britischen Supermärkten werden soll. Diese brauchen eine Menge Lieferanten, die aber ungern ihre gesetzlich verbrieften Privilegien aufgeben wollen. ETI wiederum braucht einen Erfolg, da nach vielen internen Zwisten der Großteil seines Budgets bereits ohne greifbares Resultat aufgebraucht ist. Und schon spricht man von 5000 Plantagen in Simbabwe, die sich zertifizieren lassen wollen – auf Grundlage der einheimischen diskriminierenden Gesetze, nicht der anvisierten internationalen Standards.

Die Landarbeitergewerkschaft protestiert gegen dieses Vorgehen. Und so ist im ETI-Zwischenbericht zu den Pilotprojekten zu lesen, die Kooperation mit den Gewerkschaften gestalte sich „nicht optimal“.

Die Gewerkschaften haben mit den neuen „Sozial-Trends“ multinationaler Unternehmen Schwierigkeiten, im Norden wie im Süden. Denn in seiner Konzeption ist ihnen dieses Aktionsfeld nicht ganz geheuer, hat es doch mit traditioneller Gewerkschaftsarbeit wenig zu tun. Zudem fehlt es an Personal und an einer Prioritätensetzung für die internationale Arbeit. Flexible, mittelständische NRO-VertreterInnen können da schnell die Rolle des alleinigen Süd-Vertreters einnehmen. Für sie ist die Kooperation mit Nord-NROs üblich, während die Gewerkschaften angesichts des alltäglichen Überlebenskampfes von rasanten internationalen Entwicklungen überrollt werden.

Neue Allianzen und Strategien sind dringend notwendig. Denn die Gewerkschaften allein sind meist zu schwach, gegen die globalen Akteure vorzugehen, und die NROs allein können kaum effektiv für Arbeiterrechte eintreten, wenn die Objekte ihres Tuns nicht beteiligt sind.

Anschaulich wird dies bei der Zertifizierung von Sozialstandards in Staaten ohne freie Gewerkschaften. Offenbar ein beliebtes Unterfangen: ETI hat ein Pilotprojekt in der südchinesischen Textilindustrie. Schwierigkeiten werden gemeldet, nicht nur mit den staatlich kontrollierten Gewerkschaften, sondern in diesem Fall auch mit den NROs aus Hongkong, die allergisch auf die Unterdrückung der Menschenrechte durch die chinesische Staatsführung reagieren. Aber es soll weiter gemacht werden, wohl weil sich in den gewerkschaftsfreien Sonderwirtschaftszonen Chinas viele Lieferanten für den britischen Markt befinden, der nach politisch korrekten Waren verlangt.

Auch auf der Liste von SA 8000 kommen die meisten der bereits zertifizierten Betriebe aus der Volksrepublik China. Wie man das Problem der Missachtung des Menschenrechts auf Organisationsfreiheit, dem formal wichtigsten Punkt in den Dokumenten von SA 8000 und ETI, gelöst hat, bleibt unbeantwortet.

Frank Braßel ist Mitarbeiter der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN

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