Solidarität als Leitprinzip

Von Redaktion · · 2011/10

Wie kann die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit gestaltet werden? Jenseits von Enttäuschung und Ausverkauf, als Eine-Welt-Politik, als solidarische Weltentwicklung. Überlegungen von Andreas Novy.

Totgesagte leben länger. Und so könnte die Entwicklungszusammenarbeit ihre gegenwärtige Krise zu einem großen Sprung nach vorne nützen. Statt einzig über die Reduktion der EZA-Budgets, diesen bedauerlichen Ausdruck von Provinzialismus und kurzsichtigem Egoismus, zu lamentieren, bräuchte es den Mut, EZA als Zusammenarbeit ernst zu nehmen. Kehren wir doch zu einer wesentlichen entwicklungspolitischen Motivation zurück: dem Austausch mit Menschen aus anderen Kontinenten. Die vielen Menschen, die über die letzten Jahrzehnte in den globalen Süden gereist sind, dort in Entwicklungsprojekten mitgearbeitet und lebenslange Freundschaften geschlossen haben, wissen, dass echte Zusammenarbeit auf Gegenseitigkeit beruht. Auf dieser Grundlage entstanden Dritte Welt-Gruppen, Solidaritätsbewegungen und NGOs. Durch ihren Druck übernahm dann in den 1970er Jahren in Österreich auch der Staat Verantwortung. Die Reihenfolge ist bedeutsam und sollte uns für die anstehenden Aufgaben Mut und Schwung geben.

Erneut braucht es heute den Anstoß durch zivilgesellschaftliche Initiativen, um staatlichen AkteurInnen das Bild zukünftiger Entwicklung aufzuzeigen. Drei Aspekte sind für diese Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit als Eine-Welt-Politik besonders wichtig.

Entwicklungszusammenarbeit ist keine Einbahn, sondern betrifft auch uns.

Historisch ist die Entwicklungshilfe durch ein Ungleichgewicht von Gebenden und Nehmenden gekennzeichnet. Auch wenn sich die Wortwahl hin zu Zusammenarbeit und Partnerschaft verschoben hat, bleibt die Grundstruktur so lange unberührt, solange wir in Europa meinen, EZA sei bloß eine Einbahnstraße Richtung Süden. Solange wir, das entwicklungspolitisch interessierte Milieu, uns nicht als Teil dieser Zusammenarbeit verstehen, die nicht nur selbstlos geben, sondern auch etwas bekommen kann, solange ist EZA paternalistisch und nicht solidarisch. Stärker als bisher müssen gerade wir, denen es um nachhaltige und solidarische Weltentwicklung geht, uns unserer eigenen Verletzbarkeit und Abhängigkeit bewusst werden: Sei dies durch Klimawandel, Finanzkrisen oder Rassismus.

Solidarisch wäre eine Haltung der Verbundenheit der Menschen im gemeinsamen Wissen, endliche, von Leiden bedrohte Wesen zu sein. So wie es in Extremsituationen, am Berg oder bei Katastrophen, selbstverständlich ist zu helfen, so gälte es, Solidarität als Leitprinzip jedes gesellschaftlichen Handelns zu verankern. Demnach gälte es, ein Gemeinwesen zu schaffen, das für alle, und damit eben auch für mich, gut ist. Jeder österreichische Haushalt ist über die Gasheizung mit Russland, über das Benzin mit Libyen, über den Fleischkonsum und damit den Futtermittelimport mit Lateinamerika verbunden. Und vergessen wir nicht: Europa war nicht immer reich; bis ins 20. Jahrhundert emigrierten Millionen in die Weltregionen des „globalen Südens“. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es nicht nur in Ost-, sondern auch in Südeuropa Diktaturen. Und noch heute leben 78 Millionen Menschen in der EU unter der Armutsgrenze. Nicht erst seit der Finanzkrise gilt: Auch EuropäerInnen brauchen Hilfe und Solidarität – und wohl nicht nur mit den Methoden des Internationalen Währungsfonds. Und schneller als manche glauben, kehren sich Wanderungsziele um: So wie gegenwärtig von der Iberischen Halbinsel weg und hin nach Lateinamerika.

Entwicklungszusammenarbeit bedeutet gemeinsames und gegenseitiges Lernen zur Gestaltung einer Welt, in der alle Menschen gut leben können. Die großen Fragen der Gegenwart betreffen allesamt die Art und Weise, wie auf diesem Planeten gelebt und gearbeitet wird. Sieben Milliarden Menschen friedlich am Reichtum dieses Planeten teilhaben zu lassen, ist eine große Herausforderung. Eine Milliarde hungern zu lassen und die Armut nur in einigen der großen Länder wirklich substanziell zu senken, bleibt der große Skandal der Gegenwart. Kein Wunder, dass angesichts dieses Mangels an Solidarität, den die internationale Staatengemeinschaft seit Jahrzehnten beweist, die Bereitschaft mächtiger und schwacher AkteurInnen gleichermaßen, ernsthaft bei Finanzkrisen und Klimawandel zusammenzuarbeiten, über Lippenbekenntnisse nicht hinausgeht.

5. Österreichische Entwicklungstagung
Krems, 14. bis 16. Oktober 2011

Auf den Entwicklungstagungen treffen sich nicht nur die entwicklungspolitische Szene, ExpertInnen, Studierende, NGO-MitarbeiterInnen und AktivistInnen, sondern es werden Brücken zu Themenfeldern geschlagen, die über die EZA im engeren Sinne hinausgehen. 2008 war dies die Umweltbewegung, diesmal ist es die politische Bildung, denn das heurige Thema dreht sich mit „Gemeinwohl entwickeln“ um die Frage, wie Menschen gemeinsam Entwicklung gestalten können.

Immer ging es bei den Entwicklungstagungen darum, Erfahrungen und Wissen des globalen Südens in Österreich bekannt zu machen. 2008, am Beginn der Wirtschaftskrise, gelang es mit „Umwelt-Wachstum-Entwicklung“ die Fragen nach den Grenzen des Wachstums in Zeiten der Krise zu thematisieren. 2005 wurde mit „Eigentum anders“ nicht nur die Bewegung der Solidarökonomie vorgestellt, sondern auch schon früh die Frage der „Commons“, der gemeinsam zu nutzenden Reichtümer unseres Planeten, diskutiert. Allen Themen ist gemeinsam, dass sie für die Entwicklung bei uns genauso brandaktuell sind wie auf anderen Kontinenten.

Das Programm für die Entwicklungstagung: www.pfz.at/article1036.htm
Anmeldung sowie Infos zu Anreise und Unterkünften: www.pfz.at/article638.htm

Die internationalen Konferenzen, die G20-Treffen und die Bemühungen der UNO haben in den letzten Jahren nur magere Ergebnisse erzielt. Es fehlt allerorten das Bewusstsein, dass Solidarität nicht nur moralisch, sondern auch vernünftig wäre. Entwicklungspolitische Bildungsarbeit versucht seit Jahren, dieses Bewusstsein für die Eine Welt zu schärfen. Dies ist keine leichte, aber eine unverzichtbare Aufgabe angesichts der Zuspitzung der Probleme – in Ostafrika genau so wie in Griechenland; zwei Beispiele aus Süd und Nord dafür, wie schwache, von mächtigen Privatinteressen dominierte Staaten nicht imstande sind, perversen Dynamiken des kapitalistischen Weltmarkts entgegenzuwirken.

Genau diese Thematik des Staates als Gestalter und Blockierer von Entwicklung steht im Zentrum der 5. Entwicklungstagung, die heuer vom 14. bis zum 16. Oktober in Krems stattfindet (siehe Kasten unten). Lernprozesse anzustoßen ist eine der großen Stärken der EZA. Dazu braucht es neue Formen des Austauschs, Bildungs- und Forschungskooperationen und respektvolle Projektzusammenarbeit, die die Erfahrungen und das Wissen anderer Kontinente stärker im Bewusstsein der österreichischen Gesellschaft verankern, damit wir gemeinsam mit den globalen Herausforderungen besser umgehen können.

Die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele wird am besten durch den weltweiten Aufbau sozialstaatlicher Strukturen gewährleistet. Für mich ist die wichtigste Diskussion, die wir mit der diesjährigen Entwicklungstagung anstoßen, diejenige über den Wohlfahrtsstaat. Dabei geht es um einen zweifachen Paradigmenwechsel: Selbstverständlich geht es bei EZA um das Engagement für eine gerechtere Weltwirtschaft, um Strategien der Umverteilung von Reich zu Arm, vom Norden in den Süden. Doch es reicht nicht, einfach Mittel bereitzustellen, ohne Strukturen zu verändern. Dies betrifft den Welthandel und das Weltfinanzsystem genauso wie die politischen Strukturen.

Zur Entwicklung des Gemeinwohls braucht es genauso zivilgesellschaftlichen Druck wie den Aufbau von funktionierenden sozial- und rechtsstaatlichen Strukturen. Diese Erkenntnis des europäischen Entwicklungswegs des 20. Jahrhunderts deckt sich mit den neuen Entwicklungen in aufstrebenden Staaten des Globalen Südens.

Die EZA als Entwicklungshilfe ist allein von den eingesetzten Geldmitteln her viel zu klein, unbedeutend und damit unwirksam, um die gegenwärtigen Weltprobleme zu lösen. Doch sie kann Wegweiser für eine solidarische und nachhaltige Zukunft sein, indem sie Bewusstsein schafft und Vorbildwirkung übernimmt.

Viele Jahre dominierte weltweit eine vereinfachte Weltsicht, die „mehr privat, weniger Staat“ forderte und umsetzte. Das Rezept, das der Währungsfonds jahrzehntelang verordnete, waren Strukturanpassungsprogramme: Sparen beim Sozialen, Großzügigkeit bei Investoren und Vermögenden. Die Bilanz war derart desaströs, dass mit Ausnahme von Chile und Kolumbien kein lateinamerikanisches Land mehr diese Politik verfolgt. Die Regierenden wurden abgewählt, ihre NachfolgerInnen begannen, staatliche Strukturen zu stärken.

Das beste Beispiel hierfür ist Brasilien. Jahrzehntelang haben soziale Bewegungen, kirchliche Basisgruppen und Gewerkschaften Druck gemacht und gerechtere Strukturen eingefordert. Seit 2003 hat die Regierung Lula Schritte zum Aufbau sozialstaatlicher Strukturen gesetzt, die an die europäische Entwicklung des vorigen Jahrhunderts erinnern. Derartige Prozesse zu verstehen und zu unterstützen, sich gegenseitig auszutauschen und die notwendigen Lehren in Europa für den Umgang mit unserer jetzigen hauseigenen Krise zu ziehen; von dieser Art der EZA brauchen wir viel mehr.

Andreas Novy ist Universitätsprofessor am Institut für Regional- und Umweltwirtschaft an der WU in Wien. Als Wissenschaftlicher Leiter des Paulo Freire Zentrums arbeitet er an der Bewusstseinsbildung für solidarische Eine-Welt-Entwicklung.

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