Vor zehn Jahren machten seine Enthüllungen Edward Snowden zum meistgesuchten Mann. Seine Unterstützer:innen von einst, darunter Vanessa Rodel, gerieten in Not.
Als Vanessa Rodel in der Nacht vom 9. Juni 2013 Edward Snowden bei sich aufnimmt, ist ihr die Tragweite ihrer guten Tat noch nicht bewusst. Vor ihr steht einfach jemand, der, so wie sie, auf der Flucht ist und Hilfe braucht. Erst am nächsten Morgen liest sie in der Zeitung, dass Snowden der meistgesuchte Mann der Welt ist.
Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter hatte Informationen über Abhör- und Spionagepraktiken der National Security Agency (NSA) sowie anderer US-amerikanischer und britischer Geheimdienste an Journalist:innen weitergegeben. Nun musste er untertauchen. Und laut seinem Anwalt, dem Kanadier Robert Tibbo, ging das am besten dort, wo man ihn am wenigsten vermutete: bei Menschen, die am Rande von Hongkongs Gesellschaft leben. Wie viele der rund 12.000 Flüchtlinge in Hongkong wohnte Rodel in einem dicht besiedelten Armenviertel. Bei ihr und weiteren Helfer:innen kann sich Snowden zwei Wochen lang verstecken, bis er nach Moskau weiterreist.
Was für Snowden die Rettung war, hatte für Rodel und die anderen Helfer:innen weitreichende Folgen.
Verfolgte helfen Verfolgtem. Rodel kam 2002 nach Hongkong. Sie war vor häuslicher Gewalt und Folter aus ihrem Heimatland Philippinen geflüchtet und arbeitete zunächst als Haushälterin.
Als sie den Job verlor, stellte sie einen Antrag auf Asyl. Unterstützt wurde sie dabei von Tibbo. Eben jenem Menschenrechtsanwalt, der auch Snowden vertrat und damals in Hongkong arbeitete. Die Chancen auf Asyl liegen in Hongkong bei gerade einmal 0,5 Prozent, schildert Tibbo, der weitere Flüchtlinge unterstützte. Etwa Supun Thilina Kellapatha und Nadeeka Dilrukshi Nonis sowie Ajith Pushpa Kumara, die aus Sri Lanka geflüchtet waren. Sie alle retteten Snowdens Leben, betont Tibbo. In Russland bekam Snowden zunächst Asyl und wurde schließlich eingebürgert (siehe Kasten).
Snowden war in Sicherheit. Rodel, Ajith Pushpa und die anderen hielten sich bedeckt. Bis im Jahr 2016 der Film „Snowden“ in die Kinos kam und den Helfer:innen ein paar Sekunden Aufmerksamkeit widmete. Für Tibbo kam das unerwartet, denn die Verbindung seiner Klient:innen zu Snowden hätte nie öffentlich werden sollen.
Riskantes Engagement
Whistleblower informieren die Öffentlichkeit über Missstände der Mächtigen und riskieren damit oft ihre Sicherheit und Freiheit. Der Begriff wurde zunächst im 19. Jahrhundert im englischsprachigen Raum vor allem mit der Polizei in Verbindung gebracht, die mit einer Pfeife auf sich aufmerksam machte.
Einer der bekanntesten Whistleblower ist Edward Snowden. Er floh nach seiner Enthüllung im Juni 2013 nach Moskau, von wo aus er in 21 Ländern Asyl beantragte – erfolglos. Er nahm schließlich das Asyl-Angebot Russlands an. Kein Asyl erhielt Julian Assange. Stattdessen ist er seit 2019 in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert. Er hatte 2006 die Enthüllungsplattform Wikileaks gegründet, auf der Militärdokumente über den Einsatz und mögliche Menschenrechtsverletzungen der US-Armee im Irak und Afghanistan veröffentlicht wurden. Dieser Website spielte Chelsea (ehemals Bradley) Manning u. a. ein Video zu, das einen US-amerikanischen Luftangriff im Irak zeigt. Dafür wurde Manning 2013 wegen Spionage und Diebstahls zu 35 Jahren Haft verurteilt, 2017 jedoch wieder freigelassen.
Assange verbrachte auf der Flucht vor Strafverfolgung mehrere Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London. 2019 wurde er festgenommen. Menschenrechtsorganisationen fordern seine Freilassung. Stattdessen drohen ihm die Auslieferung in die USA und bis zu 175 Jahre Haft. M. W.
Nun preschten sie vor: Noch vor der Premiere des Films traten Rodel und die anderen an die Öffentlichkeit. „Die Behörden hätten sie ohnehin gesucht und womöglich gefunden“, so Tibbo. Angesichts dessen schien es aus Sicherheitsgründen besser, wenn sie international bekannt waren.
Schwerwiegende Folgen. Doch die Lage verschlechterte sich: Da Rodel nicht über Snowden aussagen wollte, strichen ihr die Hongkonger Behörden die ohnehin geringe staatliche Unterstützung. 2017 lehnten sie ihren Asylantrag ab, womit ihr Haft und Abschiebung drohten. Auch Ajith Pushpa und das Ehepaar Thilina waren einem großen Risiko ausgesetzt. Laut Tibbo sei sogar die Polizei aus Sri Lanka nach Hongkong gereist, um nach seinen Klient:innen zu suchen. Währenddessen beantragte er für sie Asyl in Kanada.
Doch die politische Dimension des Rechtsfalles ließ die dortigen Behörden zögern, sagt er. Zwei Jahre dauerte es schlussendlich, bis Rodel und ihre damals achtjährige Tochter Keana nach Kanada einreisen konnten, um ein sicheres Leben zu beginnen.
Ein neuer Anfang mit Startschwierigkeiten: Die COVID-19-Pandemie brachte Rodel in finanzielle Nöte. Ihr ursprünglicher Sponsor stellte die Unterstützung ein, sie selbst hatte noch keine Arbeit und erhielt kaum Sozialleistungen. Anwalt Tibbo stellte eine Spendenaktion auf die Beine, mit der sie es immerhin durch die Pandemie schaffte. Mittlerweile hat Rodel Arbeit gefunden und kann ein lang ersehntes unabhängiges Leben führen.
Die anderen Snowden-Helfer:innen leben ebenfalls in Kanada. Außer einem: Ajith Pushpa, der aus Gewissensgründen aus der sri-lankischen Armee desertiert war, sitzt weiterhin in Hongkong fest. Tibbo beklagt auch in seinem Fall Kanadas Zögern. Schließlich gehe es um Menschen, die nichts Unrechtmäßiges getan hätten. Menschen, die lediglich jemandem in Not geholfen und dabei viel riskiert haben.
Marina Wetzlmaier ist freie Journalistin und lebt in Wels/Oberösterreich.
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