Ob Afghanistan oder Jemen: Die internationale Organisation War Child engagiert sich für Kinder in Kriegsgebieten. Was die Jüngsten in solchen Situationen brauchen, weiß Flutra Gorana.
Rund 420 Millionen Kinder wachsen in Regionen auf, wo es bewaffnete Konflikte gibt. Wie prägt diese Erfahrung eine Kindheit?
Im Krieg verändert sich ihr Leben abrupt. Kinder, die den Krieg aus erster Hand erfahren haben, sind traumatisiert und verunsichert. Kinder, die in Flüchtlingslagern geboren sind und sich selbst nicht an den Krieg erinnern können, tragen häufig das Trauma ihrer Eltern in sich. Denn das ist es, was in der Familie erzählt wird, worüber gesprochen wird.
Was brauchen Mädchen und Burschen, die in einem Kriegsgebiet aufwachsen, am allermeisten?
Jedes Kind sehnt sich nach Sicherheit. Aber was sie in dieser unsicheren und zerstörten Umgebung auch brauchen, ist Normalität. Es fehlt ihnen häufig zunächst an Struktur und regelmäßigen, täglichen Aktivitäten. Wenn man eine Art Routine für sie organisiert, wie den Schulbesuch, geht es besser. Das gibt ihnen einen Grund, am Morgen aufzustehen und auch Hoffnung auf eine andere Perspektive.
Wie arbeitet War Child?
Wir arbeiten mit Kindern und Jugendlichen, die Zeuginnen bzw. Zeugen von Gewalt wurden oder selbst Gewalt ausgesetzt waren. Wir versuchen abzudecken, was ein Kind braucht, um sich sicher und wohl zu fühlen. Dazu arbeiten wir auf drei miteinander verbundenen Ebenen: Bildung, psychosoziale Unterstützung und Kindesschutz. Mit unseren Programmen stärken wir die positiven Bewältigungsstrategien – dabei binden wir auch die Eltern ein.
Stichwort Resilienz. Wie kann diese aufgebaut und unterstützt werden?
Sie können sich nicht vorstellen, über wieviel Resilienz diese Kinder verfügen. Sehr oft lernen wir von ihnen. Sie können uns Erwachsene lehren, widerstandsfähiger zu werden.
Viele Kinder sind in diese Lebensumstände hineingeboren und leben schon ihr ganzes Leben so. Wenn man sie spielen sieht und lachen hört, dann gibt es auch seltene Momente der Unbeschwertheit und des Glücks.
Sie leben im Libanon. Wie sieht der Alltag der Kinder aus, mit denen Sie zusammenarbeiten?
Die Lebensbedingungen sind ziemlich hart. Der Alltag in einem Flüchtlingslager ist nicht leicht und alles andere als gut organisiert. Das sind improvisierte Siedlungen, ohne fließendes Wasser, ohne Sanitäranlagen.
In manchen Gegenden ist die Stimmung zwischen der aufnehmenden Bevölkerung und den Neuangekommenen sehr aufgeheizt. Deshalb bleiben die Kinder oft im Camp und gehen nicht raus. Die Eltern fürchten, dass ihre Kinder draußen belästigt werden. In diesen Fällen bieten wir unsere Programme in den Camps an.
Wir eröffnen ein Klassenzimmer z.B. im Zelt einer Familie. Die Kinder kommen dann dorthin zum Unterricht, wie auch die Lehrerinnen und Lehrer und das psychosoziale Unterstützungsteam. Natürlich wäre es besser, die Kinder raus aus dem Camp zu holen und ihnen etwas vom Leben außerhalb des Lagers zu zeigen, aber das ist in vielen Situationen nicht möglich. Wir passen uns den Gegebenheiten und Bedürfnissen an.
Welche Kinder erreichen Sie nur schwierig?
Aus unterschiedlichen Gründen kommen nicht alle Kinder in die Schule. Statt zu lernen, müssen etwa viele syrische Kinder arbeiten. In manchen Familien sind die Kinder die Alleinverdiener.
Die Gesetze für Erwerbsarbeit für Geflüchtete sind im Libanon sehr streng. Wie Sie wissen, sind ein Drittel der Bevölkerung Geflüchtete. Sie dürfen nur am Bau, in der Pflege und in der Landwirtschaft arbeiten. Viele ArbeitgeberInnen möchten lieber Kinder, weil sie schneller und billiger sind. Ein anderer Grund ist, wenn die Familie außerhalb wohnt und sich die Kosten für den Transport zur Schule nicht leisten kann.
Wie sieht die Arbeit im Jemen aus?
War Child UK hat vor kurzem ein Büro im Jemen aufgemacht. Der Fokus liegt dort derzeit nicht auf Bildung, sondern darauf, in Zusammenarbeit mit dem UN-Welternährungsprogramm humanitäre Hilfe für die Bevölkerung bereitzustellen.
Interview: Christine Tragler
Flutra Gorana leitet die Bildungsprogramme der internationalen Organisation War Child im Libanon. War Child arbeitet u.a. in Afghanistan, Burundi, Südsudan und Kolumbien.
Am 28. November spricht Gorana bei der von der Stadt Wien und Südwind organisierten entwicklungspolitischen Tagung „Nachhaltige Entwicklung braucht Bildung für Alle“. www.suedwind.at/wien/termine
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