Wie weit wurde die Gleichstellung sexueller Minderheiten in den letzten 20 Jahren verwirklicht?
Zwar haben jahrelange Kampagnen in Europa, Australien und den beiden Amerikas ihre Rechtslage in vielerlei Hinsicht verbessert. Aber selbst mehr als 50 Jahre nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verweigert die UNO noch immer, diese Rechte auch für die weltweit schätzungsweise 40 Millionen Homosexuellen gelten zu lassen. Alle diesbezüglichen Vorstöße wurden bisher von einflussreichen konservativen und religiösen Lobbys torpediert. Und in keinem Land der Welt genießen Lesben, Schwule und Transsexuelle die volle Gleichberechtigung mit Heterosexuellen – nicht in der Arbeitswelt, nicht beim Wohnen, nicht im Elternrecht, Eherecht und Erbschaftsrecht und nicht einmal, was den Schutz vor Missbrauch und Diskriminierung betrifft.
Andererseits haben einige Länder in den letzten Jahren große Schritte in Richtung Gleichberechtigung gesetzt. In Südafrika und Ecuador gibt es nun Verfassungsartikel, die eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung untersagen. In den 43 Mitgliedsländern des Europarats kann gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgegangen werden. Auch in den USA hob der Oberste Gerichtshof 2003 endlich ein Gesetz gegen homosexuellen Geschlechtsverkehr auf, das in zwölf Bundesstaaten gegolten hatte.
Es kam aber auch zu gegenteiligen Entwicklungen. In den letzten drei Jahren stieg die Zahl der Länder, in denen Homosexualität mit der Todesstrafe bedroht wird, von sieben auf zehn. Alle diese Länder sind mehrheitlich muslimisch, und im Fall Saudi-Arabiens, Afghanistans und des Iran sind Hinrichtungen auch durchaus wahrscheinlich. Die Zahl der Länder mit einem ausdrücklichen Verbot der Homosexualität nahm von 70 auf 80 zu. In einigen davon ist mit Gefängnisstrafen von 20 Jahren und mehr zu rechnen. Schwule und Lesben wurden in Ländern wie Uganda und Russland gefoltert und zum Verlassen des Landes gezwungen.
Das Ausmaß der Gewalt gegen Lesben, Schwule und Transsexuelle im öffentlichen Raum ist alarmierend hoch. In Brasilien geschehen jedes Jahr 90 einschlägige Morde. Die Polizei verfolgt solche Fälle oft nicht – oder ist selbst daran beteiligt. Einige Fundamentalisten in den USA predigen, dass es Christenpflicht wäre, Schwule umzubringen.
Wir wissen von diesen Entwicklungen, weil über das Thema Homosexualität offen geredet wird. Die Probleme von Menschen, die mit atypischen Genitalien geboren wurden, sind dagegen weitgehend unbekannt. Zwar protestiert die Öffentlichkeit vehement gegen die Verstümmelung der weiblichen Genitalien in Afrika, doch die Verstümmelung der Genitalien von Intersexuellen wird in den Krankenhäusern der reichen Länder unter dem Namen „korrigierende Chirurgie“ praktiziert. Die Eingriffe sind zumeist medizinisch unnötig, werden oft im Alter von weniger als 18 Monaten vorgenommen und manchmal während des ganzen Lebens der Behandelten weitergeführt.
Diese Praxis muss ein Ende haben, fordern Gruppen, die sich für die Rechte von Intersexuellen einsetzen. Dem Kind sollte ein Geschlecht zugewiesen und ein entsprechender Name gegeben werden, sagt etwa die Intersex Society of North America, und es sollte beim Aufwachsen mit Beratung und altersgemäßen Erklärungen seiner Eigenheit unterstützt werden.
Das Bewusstsein nimmt zu. 1999 schränkte der kolumbianische Verfassungsgerichtshof das Recht von Eltern und ÄrztInnen ein, zum Skalpell zu greifen, wenn Kinder mit atypischen Genitalien geboren werden. Es handelte sich um das weltweit erste Mal, dass ein Oberstgericht darüber befand, ob die Verstümmelung der Genitalien Intersexueller eine Menschenrechtsverletzung darstellt. Das kolumbianische Gericht anerkannte auch, dass Intersexuelle eine Minderheit sind, die unter verfassungsmäßigem Schutz steht, und dass jede Person das Recht hat, ihre sexuelle Identität festzulegen.
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Quellen: Amnesty International 2003;
Intersex Society of North America (www.isna.org); Vanessa Baird: No-Nonsense Guide to Sexual Diversity, New Internationalist/Verso 2001; International Lesbian and Gay Association (www.ilga.org); www.postgender.de