Im Sommer braucht man Urlaubsbücher, keine Frage. Doch Lesen beschert nicht nur Antworten. Der Reiz liegt auch in den Fragen rund um die Lektüre, meint der Buchhändler unseres Vertrauens.
Fragen können beantwortet werden, können ratlos, bei Beschäftigung mit ihnen sogar gescheiter machen. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass eine Frage, die eine Freundin mir stellte, einen gefühlsmäßigen Abgrund auftun kann. „Was erzählst Du Deiner Tochter und Deinen Enkelkindern, wenn sie Dich fragen, was Du dagegen getan hast?“ „?“ – „Gegen die drohende Klimaveränderung, zum Beispiel, die wird sie voll treffen! Dazu arbeitest Du in dieser Buchhandlung, umgeben von Büchern, die davor warnen; Du kannst nicht sagen, Du hättest nur davon reden gehört, aber nichts davon gewusst!“
Keine Angst, ich werde jetzt nicht eine Reihe von Büchern zum Thema empfehlen – das wäre wahrlich keine Urlaubslektüre.
Aber alle der folgenden Bücher enthalten Stoff für genug Fragen, die LeserInnen müssen sie nur stellen. So im Roman „Die Autobiographie des Fidel Castro“. Norberto Fuentes ist ein höchst ausgezeichneter Schriftsteller, er war ein enger Freund Fidel Castros, kubanischer Botschafter – bis er in Ungnade fiel. Dennoch ist diese „Autobiographie“ nicht gehässig, sondern das Porträt eines faszinierenden Menschen und eine kenntnisreiche Innenansicht Kubas, der Politik und des Alltags. Natürlich stellt sich da oft die Frage, was ich für wahr halte, halten will, und was nicht. Auch in Lisa St Aubin de Teráns biographischem Roman „Deckname Otto“ muss man genau abwägen. Oswaldo Barreto Miliani, venezolanischer Revolutionär, der in Paris in den algerischen Unabhängigkeitskampf verwickelt wurde, Philosoph und verhinderter Poet, Berater Fidel Castros u. v. a. m., erzählte der Autorin sein zweifelsohne spannendes Leben und sie zeichnete es mit jenem Schuss Ironie auf, den wohl nur Frauen gegenüber Machos parat haben und gleichzeitig schrieb sie ein Stück Politikgeschichte, in der sie mit Ost- und Westblock abrechnet.
Fiktiv ist Alla al-Aswanis in Kairo angesiedelte „Der Jakubijân-Bau“: Ein Mann wird an der Polizeischule nicht genommen, weil sein Vater Türhüter ist, eine junge Frau wird permanent von ihren Arbeitgebern belästigt, ein Journalist hält sich einen Landarbeiter als Bettgenossen, in der Politik wird über die Köpfe der Armen hinweg regiert – diese Ohnmacht gegen die ständigen Demütigungen lässt die Menschen den Versprechungen gewissenloser Heils- und Hassprediger folgen – und, keine Frage, der Roman ist wahr.
Eine Frage, die sich mir schon länger stellt, ist, warum die Trilogie „Lionboy“ (für Jugendliche ab ca. zwölf Jahren und für Erwachsene!) nicht den Kultstatus von Harry Potter erreicht? Sie spielt in einer keineswegs utopischen Zukunft, aber die Erde ist schon ziemlich lädiert, Asthma eine Volkskrankheit. Ein westafrikanisch-englisches Forscher(ehe)paar hat ein Mittel dagegen gefunden und will es gratis der Welt überlassen, was der Pharmaindustrie nicht gefällt. Sie werden aus London entführt und auf einer Art Glücksfarm untergebracht, unter Drogen, die nicht denken, sondern vielmehr das Leben wunderbar gedankenlos lassen – also am Inhalt kann es nicht liegen und an Spannung fehlt es auch nicht, wird doch der elfjährige Sohn Charlie als Geisel genommen, um von den Eltern die Rezeptur zu erpressen. Aber Charlie entkommt auf einem Zirkusschiff (er wird in Paris die Löwen befreien und mit ihnen nach Venedig fliehen) und er hat mächtige Verbündete: Katzen. Seit einem kleinen Gerangel in Afrika mit einem Leopardenbaby hat Charlie eine einmalige Gabe: er versteht und spricht Katz! Auf seiner Suche erhält er die notwendigen Informationen gemiaut und diese lassen ihn auch schlimmste Situationen überstehen. Die Bücher von Zizou Corder (hinter dem Namen verbergen sich Mutter und Tochter) sprühen vor Phantasie, sind in sich schlüssig, spannend, kurz: wunderbar zu lesen.
Rudi Lindorfer ist Buchhändler bei Südwind Buchwelt in Wien.