„Sehr abstrakte Sachen“

Von Markus Stumpf · · 1999/07

Die Volksabstimmung über die Verfassungsreform in Guatemala brachte unerwartet ein negatives Ergebnis. SÜDWIND-Mitarbeiter Markus Stumpf sprach darüber mit Nery Macz Koester vom Menschenrechtsbüro der Erzdiözese Guatemala.

Mit der Volksabstimmung in Guatemala hätten 50 Verfassungsreformen abgesegnet werden sollen, die im vergangenen Oktober vom Kongreß im Rahmen des Friedensprozesses verabschiedet worden waren. Damit wäre Guatemala als plurikultureller und mehrsprachiger Staat definiert und die indigene Bevölkerungsmehrheit offiziell anerkannt worden. Weitere Reformen hätten positive Veränderungen für die Jurisdiktion und die Legislative gebracht sowie die Macht der Armee verringert.

Obwohl sich alle wichtigen Parteien, sogar die rechtsgerichteten, für die Reformen aussprachen, waren 53% der gültigen Stimmen gegen eine Reform und nur 47% dafür. Die geringe Wahlbeteiligung von nur 18,5% aller Wahlberechtigten spielte dabei eine wichtige Rolle.

SÜDWIND: Warum fiel die Volksabstimmung zu den Verfassungsänderungen in Guatemala negativ aus?

MAZC: Der Unterschied zwischen den Befürwortern und Gegnern beträgt ca. 70.000 Stimmen. In den nördlichen Bundesländern, wo die Mehrzahl der Bevölkerung indianisch ist, gewann das Ja, in dem südlichen mit einer größeren Ladinoanzahl gewann das Nein. Ausschlaggebend war die Hauptstadt mit ihrer Ladinobevölkerung, da es dort viel leichter ist, wählen zu gehen, als auf dem Land, wo die Mehrzahl der Indigenen lebt.

SÜDWIND: Hatte es entscheidende Auswirkungen, daß über ein Jahr diskutiert wurde, bis die Volksbefragung stattfand?

MAZC: Das hatte große Auswirkungen und verwirrte die Leute. Das half jenen, die gegen die Reformen waren. Wenn man einen wohlschmeckenden Kuchen hat, aber dann lauter ungenießbare Beilagen dazu gegeben werden, dann wird den Kuchen niemand mehr essen wollen. In diesem Sinn war der lange Prozeß bis zur Abstimmung äußerst kontraproduktiv.

SÜDWIND: Welche ungenießbaren Beilagen meinen Sie?

MAZC: Jene Institutionen, die nicht daran interessiert waren, daß die indigenen Völker anerkannt werden, sagten: „Es wird zu vielen Problemen kommen und der Krieg könnte wieder ausbrechen, denn dann werden die Indios über uns bestimmen.“ Daher, aus diesem Rassismus heraus, sagten sie, sei es besser, mit Nein zu stimmen.

SÜDWIND: Warum gingen nicht mehr Indigene wählen?

MAZC: Normalerweise werden die Leute gratis zu den Wahllokalen gebracht. Die Wahlorte sind aber nur in den Städten und größeren Orten und nicht dort, wo die Indios leben. Nun, bei der Volksbefragung brachte sie niemand zu den Urnen. Also sagten die Leute: „Wir müssen für den Transport und die Verpflegung zahlen, zusätzlich verlieren wir einen oder zwei Arbeitstage, nur um wählen zu gehen, und dann bringt uns die Wahl eigentlich gar nichts. Daher ist es besser, das Geld zu sparen und lieber aufs Feld arbeiten zu gehen. Dann hat meine Familie wenigsten etwas zum Essen.“

Die Bevölkerung im Inneren des Landes sieht den Nutzen der Reformen nicht, da sie nicht verstehen, wie über die Verfassungsreform tatsächliche Veränderungen stattfinden sollen.Sie bringt keine direkten Verbesserungen und ist nichts Konkretes. Was diskutiert wurde, sind sehr abstrakte Sachen. Den Leuten hätte zuerst erklärt werden müssen, was die Verfassung überhaupt ist und was diese Veränderungen bedeuten, und zwar in einer allgemeinen, populären Form. Das bedeutet, daß das Wissen über die Vorteile der Reformen die Leute nicht erreichte.

SÜDWIND: Welche Möglichkeiten gibt es nun zur Fortsetzung des Friedensprozesses?

MAZC: Das ist die große Frage, die es nun zu diskutieren und zu analysieren gilt. Jeder Politiker, egal von welcher Partei, wird als schlecht angesehen. Das heißt, die Leute fragen sich nicht, wer gut ist, sondern wer weniger Schaden anrichten kann. Den Leuten müssen Perspektiven gegeben werden, denn sie fragen sich zuerst, wo sie das nächste Essen herbekommen, wie sie zu einem Arbeitsplatz oder zu einem kleinen Landstück kommen können. Das sind die Verbesserungen, die die Leute erwarten. Genügend zum Essen haben und ein menschenwürdiges Leben führen können. Wenn diese Perspektiven nicht gegeben sind, dann ist die Fortführung des Friedensprozesses sehr schwierig.

Endpunkt

Nery Macz ist Leiter der Abteilung für Information und Volkserziehung des Menschenrechtsbüros der Erzdiözese von Guatemala und Angehöriger der Maya-Q’eqchi. Er arbeitete auch bei dem Projekt zur Wiedererlangung der historischen Erinnerung (REMHI) mit und referierte Anfang Juni in Wien auf Einladung des Instituts für Internationale Zusammenarbeit (IIZ) über die aktuelle politische Situation und Menschenrechtslage in Guatemala

Markus Stumpf ist Ethnologe und verbrachte zu Studienzwecken längere Zeit in Guatemala.

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