Malcolm Bidali, kenianischer Menschenrechtsaktivist und ehemaliger Arbeitsmigrant in Katar, macht auf die Ausbeutung von Arbeitsmigrant*innen rund um die Fußball-WM aufmerksam.
Schwarze Jeansjacke, schwarze Hose, schwarze Schuhe. Malcolm Bidali (30) wirkt zurückhaltend und am fünften Tag seiner Österreich-Reise, die er auf Einladung des Vereins Südwind macht, auch etwas müde. Bei vielen Terminen erzählt er über die Arbeitsbedingungen, die er selbst erlebt hat.
Am 20. November beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar, eines der Emirate auf der arabischen Halbinsel. Zahlreiche NGOs und Medien haben schon auf die Ausbeutung der Arbeiter*innen im Vorfeld des Sportgroßereignisses hingewiesen. Nach Verkündung der Vergabe der WM startete Katar 2011 ein gigantisches Bauprogramm: sieben neue Stadien, ein Flughafen und die neue Planstadt Lusail sind Teil davon. Die Arbeitskräfte dafür kommen seither vorwiegend aus afrikanischen und asiatischen Ländern, etwa aus Kenia, Nepal und den Philippinen. Laut einer Schätzung von 2015 sind nur 11,6 Prozent der 2,7 Mio. Einwohner*innen katarische Staatsangehörige. Das ist die höchste Quote an Arbeitsmigrant*innen der Welt.
Alltägliche Arbeitsrechtsverletzungen
Ihr Leben in Katar ist geprägt von ständigen Verstößen gegen Arbeits- und Menschenrechte, berichtet Bidali, der als Wachmann in der Hauptstadt Doha gearbeitet hat. „Auf dem Papier sind acht Arbeitsstunden mit maximal zwei Überstunden vorgesehen, in der Praxis hält sich niemand dran. Manche haben gar keine freien Tage und sind durchgehend im Einsatz“, betont er.
Schutz vor der Sonne ist in Katar gesetzlich verankert, wird aber oft nicht geboten – obwohl es immer wieder bis zu 50 Grad Celsius heiß wird.
Schlechter als den vornehmlich männlichen Arbeitern auf den Baustellen und dem Sicherheitspersonal ergeht es laut Bidali aber den Hausangestellten, vorwiegend Frauen. „Ihnen werden die Reisepässe abgenommen und sie dürfen ihren Arbeitsplatz ohne Einwilligung nicht verlassen. Das Haus, in dem sie arbeiten, wird zu ihrem Gefängnis“, erklärt er.
Ohne Job kein Aufenthalt
Alle arabischen Golfstaaten gehen in Bezug auf Einwanderung ähnlich vor. Das Kafala-System beruht darauf, dass für jede*n Migrant*in eine Bürgschaft durch eine Firma, einen Haushalt oder eine Institution übernommen wird. Arbeitsmigrant*innen können also nur ins Land kommen und dort bleiben, solange sie angestellt sind. Laut Bidali ist dieses System an sich nicht ausbeuterisch, macht es aber den Arbeitgeber*innen sehr leicht, ihre Arbeiter*innen auszunutzen. Viele nehmen das in Kauf, weil sie – wie Bidali in Kenia – in ihren Herkunftsländern gar keine Chancen auf ein geregeltes Einkommen haben. 2020 führte Katar zwar Reformen des Einwanderungssystems durch, aber Bidali zu Folge bestehen diese nur auf dem Papier.
Schreibender Widerstand
Bidalis Engagement entstand aus Frustration über diese Situation. Nicht nur die Arbeits-, auch die Lebensbedingungen in den Unterkünften zehren an den Menschen. Er selbst lebte in einem kleinen Zimmer, das er mit fünf anderen Personen teilen musste.
Gerettet habe ihn eine öffentliche Bibliothek. „Direkt nach der Arbeit bin ich dort hingefahren. Das war meine Festung. Ich konnte dort lesen, Musik hören und im Internet surfen. Die Bibliothek schloss um 22 Uhr, wenn ich dann zurückkam, schliefen die anderen schon“, sagt er.
Doch dann kam Corona und die Bibliothek wurde geschlossen. In der Enge des Zimmers begann Bidali, auf seinem Smartphone über seine und die Lage der Kolleg*innen zu schreiben.
In dieser Zeit kam er in Kontakt mit Migrant Rights, einer Organisation, die sich im Nahen Osten für Menschen- und Arbeitsrechte einsetzt. Auf deren Website wurde Bidalis erster Artikel veröffentlicht. Zwei Tage später gab es Verbesserungen in der Unterbringung. Bidali machte daraufhin vorsichtig weiter, nutzte ein Pseudonym.
Im Mai 2021 wurde er trotzdem von der Polizei in Gewahrsam genommen. Im Haftbefehl hieß es, er habe falsche Nachrichten verfasst und veröffentlicht, mit der Absicht, die öffentliche rdnung zu gefährden.
Bidali musste mehrere Monate ins Gefängnis. Aber er gab nicht auf. Nach dem Bezahlen einer Geldstrafe konnte er ausreisen und kehrte nach Kenia zurück. Als Mitgründer der NGO Migrant Defenders setzt er sich seither für Arbeitsmigrant*innen in Ländern der arabischen Halbinsel ein.
Ohne Druck keine Verbesserungen
Der mediale Druck rund um die WM 2022 scheint nun endlich Wirkung zu zeigen. Der Fußball-Weltverband FIFA hat vor kurzem angekündigt, verletzten Arbeiter*innen eine Entschädigung zu zahlen. Man sei nun im Gespräch mit der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, und Vertreter*innen der katarischen Regierung über die Finanzierung.
Kritiker*innen sind skeptisch. Es wäre, so sind sich viele einig, nicht das erste Mal, dass die immer wieder von Korruptionsskandalen erschütterte FIFA Verbesserungen ankündigt, die dann nicht umgesetzt werden.
Boykott-Aufrufe zum Public Viewing, wie es sie jetzt auch in Europa vermehrt gibt, sieht Bidali aber kritisch. Bis die Situation der Arbeiter*innen von Regierung und Arbeitgeber*innen tatsächlich verbessert wird, wünscht sich Bidali von den Österreicher*innen, dass sie sich an ihre politischen Vertreter*innen und an die Botschaften in Katar, Saudi-Arabien oder Kenia wenden, um zu zeigen, dass es nicht egal ist, wie es den ausländischen Arbeiter*innen ergeht.
Denn: „Über zehn Jahre ist nichts passiert. Und das asiatische Olympiakomitee hat gerade verkündet, dass die asiatischen Winterspiele 2029 in Saudi-Arabien stattfinden werden. Wir müssen jetzt beginnen zu handeln und dürfen nicht bis 2029 warten, damit sich das Ganze wiederholt“, appelliert er.
Monika Schneider-Mendoza arbeitet seit 2018 als Bildungsreferentin bei Südwind Niederösterreich und lernt außer Sprachen auch gerne Menschen kennen.
Weiterführender Link:
migrantdefenders.org
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