Erstmals fand Ende Jänner das Weltsozialforum in Afrika statt. Die Grün-Abgeordnete Ulrike Lunacek fand in Nairobi Anderes als organisatorisches Chaos, auf das sich die meisten internationalen Medien konzentriert hatten, erzählte sie Südwind-Mitarbeiter Ralf Leonhard.
Südwind: Abgesehen davon, dass mehr Afrikanerinnen und Afrikaner dabei waren – wie hat sich das Weltsozialforum in Nairobi von den Vorgängerveranstaltungen in Porto Alegre, Brasilien, unterschieden?
Ulrike Lunacek: Auffallend war die starke sichtbare Beteiligung von christlichen Organisationen. In Lateinamerika hat die Befreiungstheologie den Weg bereitet zu einem konkreteren politischen Zugang vieler ChristInnen zu den herrschenden Machtverhältnissen als in Afrika-Ausnahmen bestätigen die Regel. Christliche Organisationen organisierten zum Beispiel auch Diskussionsrunden gegen Korruption und Machtmissbrauch oder für Entschuldung.
Also hätte sich auch der Papst wohl gefühlt.
So schlimm war es doch nicht. Da waren Basischristinnen und
-christen dabei, Leute, die Schulen betreiben, auch zu HIV/AIDS arbeiten und daher notgedrungen kritisch gegenüber dem Papst sind, weil sie nicht nur Abstinenz, sondern auch die Verwendung von Kondomen empfehlen. Sie sind also einem fortschrittlichen entwicklungspolitischen oder sogar feministischen Standpunkt näher. Aber es scheint ihnen in Afrika weniger als in Lateinamerika um die Veränderung von Macht-und Besitzverhältnissen zu gehen.
Sind die afrikanischen Bewegungen schon weit vernetzt oder ist erst auf dem WSF viel passiert?
Zum Teil sind Bewegungen und NGOs schon gut vernetzt: gegen die Verschuldung, gegen die derzeit zwischen der EU und den AKP (Afrika-Karibik-Pazifik)-Staaten in Verhandlung stehenden Economic Partnership Agreements (EPA). Aber viele Organisationen haben natürlich das Forum genützt, um Widerstand zu organisieren. Für uns aus Europa war es hilfreich zu sehen, wie viel sich in Afrika tut, und wir konnten mögliche Verbündete suchen.
War die Agenda besonders afrikanisch?
Die Frage der Ressourcenausbeutung und ökologischen Zerstörung wurde stark thematisiert: Erdöl, aber auch Gold und Diamanten. Außerdem das problematische Verhältnis China-Afrika. Dazu wurde ein Buch präsentiert. HIV/AIDS war natürlich sehr stark präsent. Zum Verhältnis EU-Afrika gab es eine eigene Demonstration vor der EU-Vertretung. Es wurde gefordert, dass die einseitigen Handelsprivilegien für die armen Staaten nicht einfach dem Freihandel geopfert und dass die bisherigen Freihandelsabkommen evaluiert werden. Denn die EPAs, die jetzt kommen sollen, sind ja, wie EU-Kommissar Peter Mandelson deutlich sagt, vor allem dazu da, neue Märkte für Europa zu erschließen – und nicht für die Ernährungssicherung in Afrika. Man behauptet zwar, der Freihandel bringe Entwicklung für Afrika, aber wir wissen, dass das nicht stimmt, weil die lokalen Märkte zerstört werden. Der Import europäischer Tiefkühlhühner nach Kamerun wurde nur nach Protesten gestoppt. Eine Afrikanerin sagte uns in Nairobi: „Gegen AIDS kann ich mich schützen. Gegen die EPAs nicht. Die bringen uns um.“
Wird die EU nicht von der WTO gezwungen, den Freihandel auch auf Afrika auszudehnen?
Das stimmt. Es geht darum, die Handelsbeziehungen WTO-kompatibel zu machen. Lomé war das nicht, Cotonou nur zum Teil. Allerdings ist die EU nicht bereit, die eigenen Exportsubventionen zu verhandeln. Das ist eine schreiende Ungerechtigkeit. Viele in Europa wollen nicht sehen, dass das in den afrikanischen Ländern ein menschenwürdiges Leben verunmöglicht. Und dann wundern wir uns, wenn Menschen weg wollen und zu uns kommen. Man sieht nicht die Ursachen, dass die Migration auch mit der Handelspolitik der Industrieländer zusammenhängt.
Es heißt, die Bewegungen hätten auf dem Forum immer weniger zu sagen und die NGOs regieren.
Das stimmt zum Teil. Auch das ist ein Unterschied zwischen Lateinamerika und Afrika. In Lateinamerika sind die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften viel stärker. Das hat sich auch in der Wahl von mehr oder weniger linken Staatschefs niedergeschlagen. Beim Sozialforum in Nairobi gab es wohl auch Kritik an Regierungen, aber keine so stark vertretenen sozialen Bewegungen. Man organisiert sich viel mehr um NGOs, die stärkere Lobbying-Strukturen aufgebaut haben. In vielen afrikanischen Ländern ist auch die Bereitschaft und die Möglichkeit der armen Bevölkerungsgruppen, sich massiv zu engagieren, nicht so vorhanden.
Die Homosexuellen-Initiativen sollen sehr erfolgreich gewesen sein.
Der „Q-Spot“ – ein Wortspiel zwischen „G-Spot“ und „Queer“, also lesbischwul-trans-Themen – war sehr gut besucht und am ganzen Gelände bekannt.
Verschiedene Organisationen haben das Tabuthema lesbisches und schwules Leben in Afrika angesprochen. Auch aus Ländern, wo man dafür ins Gefängnis kommen kann. Die ReferentInnen wählten teils sehr humorvolle und provokante Zugänge –so haben sie es auch in die lokalen Medien geschafft – und nicht nur negativ! Einmal waren 200 Leute in einem Saal, viele davon, die nur neugierig waren, zugehört und Fragen gestellt haben. Den OrganisatorInnen ist es ausgezeichnet gelungen, zu einer Öffnung in den Köpfen der Menschen beizutragen, dass es nämlich auch in Afrika Menschen gibt, die sich ins gleiche Geschlecht verlieben – und dass das ganz normal und gar nicht unafrikanisch ist, wie Staatschefs wie Mugabe oder Museveni behaupten.
Ulrike Lunacek ist Nationalratsabgeordnete der Grünen und Sprecherin für Außen- und Entwicklungspolitik, für Gleichstellung von Lesben, Schwulen und TransGenderPersonen sowie Ko-Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei EGP.
Ralf Leonhard ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins.