Schöpferische Zerstörung

Von Robert Poth · · 2000/07

Marktorientierung, „Gesundschrumpfen“ und Konzessionierung an private Betreiber sollen das Überleben der Eisenbahnen im südlichen Afrika sicherstellen.

Es sei sein Wunsch, dass die Bahn in Südafrika „sowohl bei Gütern als auch Personen zum bevorzugten Transportmittel“ werde, erklärte der südafrikanische Transportminister Abdullah Omar Mitte April bei der Budgetrede in Pretoria. Wunsch ist das richtige Wort. Denn nicht nur in Südafrika selbst, sondern in allen Ländern der Entwicklungsgemeinschaft SADC im südlichen Afrika ist der Straßenverkehr im Vormarsch. Zwischen 80 und 90 Prozent des gesamten Güterverkehrs und rund 20 Prozent des grenzüberschreitenden Warenhandels in der Region spielen sich nach Expertenschätzungen derzeit auf der Straße ab, und das Wachstum des Sektors übertraf den des Schienengüterverkehrs in den 90er-Jahren bei weitem.

Die Rückgewinnung von Marktanteilen im Güterverkehr, dem Hauptgeschäftsbereich der regionalen Bahnen, scheint vorerst ausgeschlossen. Denn derzeit befinden sich die meisten der durchwegs staatlichen Eisenbahngesellschaften in ernsten Finanzschwierigkeiten – und mitten in einem Restrukturierungsprozess, der vor allem eines sicherstellen soll: ihre weitere Existenz. Denn diese ist unter gegenwärtigen Bedingungen gefährdet. Die Verwendung der staatlichen Eisenbahnen als Mittel der Beschäftigungspolitik – die Weltbank bezeichnet den Personalstand im allgemeinen als um bis zu 300% erhöht – , politisch motivierte Investitionen und Subventionierung niedriger Transporttarife haben zu unfinanzierbaren Verlusten geführt. Gleichzeitig unterblieben nötige Erhaltungsinvestitionen, mit der Folge einer Verschlechterung des Zustands der Gleisanlagen, einer Überalterung des Waggon- und Lokbestands und der resultierenden Ineffizienz im Betrieb.

Selbst die südafrikanische Spoornet, der Gigant in der Region, krankt an diesen Problemen. Die Investitionen betragen nur 25 Prozent des langfristigen Bedarfs, auch da profitable Unternehmensbereiche wie OREX und COAL-Link (Eisenerz und Kohletransport) bisher zur Quersubventionierung insbesondere des defizitären Bereichs „Allgemeine Fracht“ herangezogen und finanziell ausgehungert wurden. 1999 erwirtschaftete Spoornet einen Verlust von umgerechnet rund 280 Mio. Schilling.

Mit zur finanzellen Misere der Eisenbahnen beigetragen hat jedoch auch der Wettbewerb durch den Straßengüterverkehr, selbst ein heiß umkämpfter Markt. Bis auf wenige große Akteure verfügen die Spediteure meist nur über ein, zwei Fahrzeuge; Überladung ist in der gesamten Region die Regel – 20 bis 40 Prozent der Fahrzeuge oder mehr – mit dem Effekt einer verschärften Preiskonkurrenz für die Eisenbahnen.

Hinzu kommt die neue Wirtschaftsstrategie in Pretoria und der SADC. Die Zwischenziele folgen der weltweit vorherrschenden Tendenz zu Liberalisierung und Globalisierung: Erstens stärkere regionale Integration, und zweitens der Versuch, sich am Weltmarkt mit Industriegütern anstelle von Rohstoffen zu behaupten. Ersteres erfordert einen Ausbau der intraregionalen Verkehrswege, zweiteres eine doppelte Strategie: einerseits zwar Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahnen, wo sie gegeben ist, insbesondere im Massengüterverkehr, andererseits aber Effizienzsteigerung und Kostensenkung im Straßengüterverkehr.

Insbesondere für Länder wie Botswana, Sambia, Malawi und Simbabwe, die keinen direkten Zugang zum Meer haben, ist die Erhaltung der Bahnen jedenfalls entscheidend. Gerade sie können die Konkurrenzvorteile nutzen, die Eisenbahnen prinzipiell bei Massengütern und Containerfracht bei Strecken zwischen 500 und 5.000 Kilometern aufweisen. Etwa schätzt die Regierung in Sambia, dass eine Verlagerung des aktuellen Schienengüterverkehrs auf die Straße das Land jährlich 100 bis 150 Millionen US-Dollar kosten würde – durch die raschere Abnutzung der Straßeninfrastruktur und höhere Treibstoffimporte.

Was ist zu tun? Um dies zu beschreiben, nahmen etwa die Autoren des Projekts „Moving South Africa“ (1998) eine Anleihe beim österreichischen Nationalökonom Josef Schumpeter: „Schöpferische Zerstörung“ lautet die Devise. Was den neuen Zielen nicht entspricht, muss umgestaltet oder beseitigt werden, um Platz für neue Strukturen zu schaffen. Für die Eisenbahnen bedeutet das einen Wandel von einer von politischen Interessen bestimmten Institution zum markt- und kundenorientierten Unternehmen. Ein Prozess, der in der Region nun bereits seit einigen Jahren mühsam in Gang kommt, zumeist mit Unterstützung aus bilateralen und multilateralen Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit.

Ziele der Restrukturierung sind die Erhöhung der Arbeitsproduktivität sowie eine stärkere Nutzung des Sachanlagevermögens, d.h. der Waggons und Lokomotiven. Erst wenn dadurch Marktanteile gehalten oder zugewonnen werden, kann auch die Infrastruktur in Form der Gleisanlagen und Bahnhöfe besser ausgelastet und die Rentabilität der Eisenbahnen ingesamt erhöht werden.

Resultat dieser Bemühungen im Zeitraum 1993 bis 1998 ist jedenfalls ein radikaler Personalabbau. Die Zahl der EisenbahnerInnen in der Region fiel um 37 Prozent von 130.000 auf rund 82.000, wobei der Großteil des Personalabbaus von Spoornet vollzogen wurde (minus 32.400 oder 40 Prozent); im Geschäftsjahr 1999/2000 wurden bei Spoornet weitere 20.000 Stellen abgebaut. Eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität (1.000 Verkehrseinheiten / Mitarbeiter) wäre also zu erwarten, und tatsächlich stieg sie im SADC-Schnitt von 816 auf 1424. Näher betrachtet, beschränkt sich der Effekt jedoch vor allem auf Spoornet und Botswana Railways, wo sich die Produktivität fast verdoppelte, während sie bei den übrigen SADC-Linien bloß von 283 auf 306 zunahm.

Andere bereits begangene Wege sind die Konzessionierung von ganzen Netzen oder nicht rentablen Strecken an Privatunternehmen. Vorreiter ist hier Mosambik, wo die Nacala-Linie bis zur Grenze nach Malawi sowie drei Strecken im Süden rund um Maputo bereits an kommerzielle Betreiber konzessioniert wurden. Auch in Simbabwe wurden bereits 1997 Ausbau, Neubau und Betrieb einer Strecke Richtung Südafrika an eine private Gesellschaft vergeben. In Südafrika hat Spoornet eine Nebenstrecke (1.124 km) konzessioniert und überlegt derzeit, bis zu 12.000 km des nachrangigen Netzes abzustoßen; in Malawi ist die Übernahme des gesamten Streckennetzes durch ein internationales Konsortium im Gange. Die Spoornet plant die Versteigerung ihres Flaggschiffs „Blue Train“, eines der bekanntesten Luxuszüge der Welt, und im März wurde ein internationales Beratungsunternehmen mit der Aufgabe betraut, die defizitären Geschäftsfelder Personenverkehr und Allgemeine Fracht aus den roten Zahlen zu führen.

Letzlich lässt sich die Zukunft der Eisenbahn aber nicht allein durch betriebswirtschaftliche Maßnahmen sicherstellen. Ohne staatliche Eingriffe zur Korrektur der Preissignale wird die Schiene keine Marktanteile zurückgewinnen können, heißt es auch im Aktionsplan der südafrikanischen Regierung für den Transportsektor. Abgestellt werden müsste die indirekte Subventionierung der Straße durch die Teilübernahme der Infrastrukturkosten durch die öffentliche Hand, während die ungedeckten externen Kosten, vor allem Unfall- und Umweltkosten in die Preise zu integrieren wären.

Längerfristig gelten zwar die Umweltkosten durch den Zuwachs an privaten Kfz als das größere Problem. Mittelfristig sind jedoch die Unfallkosten problematisch. Allein auf Südafrikas Straßen sterben jährlich rund 10.000 Menschen, bis zu 40 Prozent davon Fußgänger (Österreich: 17 Prozent) Insgesamt werden die – steigenden – Unfallkosten in der Kaprepublik auf fast 12 Milliarden Rand (24 Mrd. Schilling) geschätzt, wovon nur 56 Prozent durch Versicherungsprämien der Fahrzeugbesitzer gedeckt sind.

Jede Integration externer Kosten erhöht jedoch zwangsläufig die Transportpreise, woraus sich ein Politik-Dilemma ergibt: Sie würden die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte der Region wieder untergraben, das Kernelement der aktuellen Strategie. Da die Straßentransportkosten derzeit besonders für Binnenländer bis zu 40 Prozent des Endabnehmerpreises von Exportprodukten ausmachen, müßte es den Regierungen der Region klar sein, dass sie so nicht am Weltmarkt bestehen könnten, heißt es in einer Studie der Konrad Adenauer Stiftung – bereits die Realisierung der Hälfte des identifizierten Einsparungspotentials (24 Prozent) bei den Transportkosten wäre dagegen ein wichtiger Schritt. Von diesem Dilemma ist in den offiziellen Papieren allerdings nicht die Rede. Vielleicht auch kein Wunder: Weder Südafrika noch die SADC sind in der Lage, eine globale Vorreiterrolle bei der Internalisierung externer Kosten zu übernehmen. Nötig wäre eine internationale Regulierung – ohne „schöpferische Zerstörung“ wird es auch hier nicht abgehen.

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