Begegnung mit Camila Vallejo, SWM 4/2012
Neuerliche Großdemos der Studierenden Chiles lösen überraschende internationale Reaktionen aus – Kritik an der Studentenführerin Vallejo aus den eigenen Reihen.
Ab April sind in Chile wieder Zehntausende Studenten und Studentinnen auf die Straße gegangen, um gegen das kostspielige Bildungssystem zu protestieren (s. Titelgeschichte SWM 10/2011). Die von der Studentin Camila Vallejo (24) angeführte Rebellion gegen das unsoziale System, die voriges Jahr weite Teile der Bevölkerung erfasste, hat Schockwellen ausgelöst, die um die Welt gingen.
So veröffentlichte das „Wall Street Journal“ einen wütenden Artikel gegen Vallejo, die schon als Baby „rote Windeln“ getragen habe, weil ihre Eltern Anhänger des 1973 aus dem Amt geputschten linken Präsidenten Salvador Allende waren. Den Kampf gegen die Ungerechtigkeit bei der Einkommensverteilung bezeichnete die Zeitung als „Einladung zu Tyrannei“. Aber auch der sonst bei US-Medien bestens angeschriebene chilenische Präsident Sebastián Piñera bekam sein Fett ab. Was in Chile geschehe, sei eine Warnung für die USA. Es fehle dort, vom Präsidenten abwärts, „an Stimmen, die die Moralität des Marktes und die Unantastbarkeit der individuellen Rechte verteidigen“.
„Wie es sie schmerzt, dass Chile selbstbewusst wird“, jubelte Vallejo am 1. Mai via Twitter in Richtung USA. „Das ist ein Zeichen, dass es vorwärts geht.“
Schon davor hatte das britische Sprachrohr des Neoliberalismus, die Zeitschrift „The Economist“, Piñera ungewohnt scharf kritisiert. Er wird als geschäftstüchtiger Milliardär und „ungeschickter Politiker“ beschrieben, dessen Popularität unter 30 Prozent liege. Nach einer Darstellung der makroökonomischen Erfolge Chiles bei Wirtschaftswachstum und Export kritisierte auch das superliberale Blatt die krasse Einkommensungleichheit. Von den 31 Staaten der OECD (der Chile seit 2010 angehört) weise das Land die höchste Ungleichheit auf. Als Folge der Proteste werde sich die „Concertación“, das Bündnis aus Sozial- und Christdemokraten, das von 1990 bis 2010 regierte, nach links orientieren. Auf Camila Vallejo warte laut Economist „trotz ihrer Nähe zur kommunistischen Partei“ eine „strahlende Zukunft“.
Von etlichen chilenischen Landsleuten, die sie bisher als Star der Rebellion gefeiert hatten, musste Vallejo zuletzt dagegen Kritik einstecken. Die Studentenführerin traf auf einer Kubareise mit Fidel Castro zusammen und lobte dabei das dortige System. Sie habe in Kuba keine Tränengas werfenden Polizisten gesehen, nur unbewaffnete. Das sei „Lichtjahre“ davon entfernt, was die chilenische Studentenbewegung voriges Jahr erlebt habe.
Das empörte u.a. Patricio Fernandez, den Gründer der satirischen chilenischen Zeitschrift „The Clinic“, die sonst ganz auf der Seite der Studierenden steht. Auch das Chile der Militärdiktatur sei als „Oase der Ruhe“ dargestellt worden. Kubas Behörden hätten andere Methoden als „Wasserwerfer und Tränengas“, um Oppositionelle im Zaum zu halten.
Wie im Mai herauskam, hat Chiles Regierung zehn neue Wasserwerfer im Wert von fünf Millionen Euro bei der österreichischen Firma Rosenbauer bestellt. Abgeordnete der Sozial- und Christdemokraten protestierten dagegen und sahen sogar eine Chance, den Deal annullieren zu lassen – weil er ohne erforderliche Ausschreibung an Rosenbauer vergeben worden war.
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