Der Einfluss der britischen Kolonialherren und der christlichen Missionare hat dem Volk der Naga seine Identität genommen. Eine Wiedergewinnung ist mühsam.
Die Bezeichnung „Naga“ ist der Sammelbegriff für eine Anzahl kulturell und linguistisch verwandter und zugleich höchst vielfältiger Stämme im Grenzgebiet zwischen Indien und Burma. Ein Großteil der Bevölkerung lebt seit jeher in voneinander unabhängigen Dörfern von Landwirtschaft und Viehzucht; bis vor kurzem gab es kein gemeinsames politisches Zentrum.
Als Kopfjäger von ihren Nachbarn gefürchtet und gemieden, entwickelten sie eine einzigartige materielle Kultur. Dinge von beeindruckender Ästhetik erzählen in Form von schmückenden Ornamenten, expressiven Holzskulpturen und prächtigen Textilien, wie die Naga ihr Leben sahen und ihre Gesellschaft organisierten. Lieder und Mythen schließlich erzählten Geschichten, welche das Repertoire von dinglichen Formen übersteigen.
Einen drastischen Wandel ihrer Tradition löste im 19. Jahrhundert der kulturelle Einfluss der britischen Kolonialherren Indiens aus, nachdem diese ihre Administration auf die Siedlungsgebiete der Naga ausgeweitet hatten. Im Windschatten der Kolonialherren brachten christliche Missionare in ihrem massiven Bekehrungseifer fast die gesamte Bevölkerung von ihren alten Glaubensvorstellungen ab. Den letzten großen Wandel brachten nach der Eingliederung der Naga-Gebiete in das indische Staatsgefüge kriegerische Auseinandersetzungen zwischen der indischen Armee und Freiheitskämpfern der Naga.
Mit diesen drei Flutwellen von jenseits der eigenen Grenzen wurde alles anders. Das alte dingliche Vokabular geriet in Vergessenheit, der Schmuck zerfiel zu Asche.
Zwischen Schmuck und Asche suchen die Naga heute nach ihrer kulturellen Identität. Nur mehr wenige Alte können die Zeichen der Vorväter lesen. Ihre Erinnerungen sind es, die der Asche des verbrannten Schmuckes wieder Atem einhauchen und sie zum Glühen bringen – ein Aufglimmen, das der jungen Generation ein Gefühl für ihre eigenständige Identität vermitteln soll.
Seit einigen Jahren trachten Regierung und Kulturvereine danach, mit den alten Symbolen ein neues Selbstverständnis zu inszenieren. Hier tritt eine vermeintliche Tradition auf, die so allerdings nie existiert hat. Alles, was allzu sehr im Widerspruch zum christlich durchtränkten Selbstbild steht, wird ausgeklammert. Diese Form konstruierter Kultur lässt die Jugend schmerzlich bemerken, dass sie keine Anknüpfungspunkte zur vorkolonialen Zeit mehr besitzt. Noch scheint die Frage offen, wohin das Streben nach Identität zwischen Kopfjagd und Bibel, zwischen Dorfstruktur und Nationalgefühl führen und welcher Phönix aus der Asche aufsteigen wird.
Während in Nagaland viele materielle Träger der Tradition auch buchstäblich zu Asche verbrannt sind, ist der Schmuck der Vorväter auf Museen in der ganzen Welt verteilt, wo er heute von der nachkommenden Generation neu entdeckt wird. Eine der spektakulärsten Sammlungen liegt im Museum für Völkerkunde in Wien. Auch sie ist für die Naga eine Quelle auf der Suche nach ihrer Identität.
Die meisten in der Ausstellung „Naga – Schmuck und Asche“ präsentierten Objekte sammelte der Wiener Ethnologe Christoph von Fürer-Haimendorf im Zuge einer 13-monatigen Feldforschung in den Jahren 1936–1937. Er bemühte sich, den vorgefundenen Status quo der materiellen Kultur der Naga in das Wiener Museum zu transferieren. Den größten Teil der Objekte kaufte er, wobei Naga, die sich an ihn erinnerten, erzählten, dass er dafür sehr gute Preise zahlte.
Naga – Schmuck und Asche
Die Ausstellung im Museum für Völkerkunde in Wien ist vom 1. Februar bis zum 11. Juni 2012 täglich außer Dienstag von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
Neue Burg, Heldenplatz, 1010 Wien.
www.ethno-museum.ac.at/ausstellungen
Seine Sammlung reduziert die Kultur der Naga nicht auf die Kopfjagd, wie dies für viele, die sich mit ihr beschäftigen, so verführerisch ist. Vielmehr berichtet sie, wie die Naga ihre Gesellschaft organisierten, welchen Platz das Individuum darin einnahm, wie sie Feste feierten, wie sie ihre freie Zeit genossen oder wie sie Land in fruchtbare Äcker verwandelten.
Die Naga werden in dieser Ausstellung als Menschen mit einem beeindruckenden Sinn für Ästhetik ebenso vorgestellt wie als begnadete Geschichtenerzähler. Diese Züge werden von westlich erzogenen Naga selbst so hoch geschätzt, dass sie Programme in Nagaland initiierten, die diese Werte einer von jahrzehntelangen blutigen Kämpfen geschädigten jungen Generation wieder nahebringen wollen.
In der Ausstellung werden die in der alten Zeit gesammelten Dinge für die BesucherInnen zum Sprechen gebracht, jüngst erworbene zeigen Wandel und Rückbesinnung. Auch Naga selbst erzählen über sich, sei es durch auf Video aufgezeichnete Erklärungen direkt an die BesucherInnen adressiert, oder sie singen Lieder, in denen Exponate eine Rolle spielen.
Der österreichische Ethnologe Christian Schicklgruber ist Leiter der Abteilung für Süd- und Südostasien sowie Himalayaländer im Wiener Museum für Völkerkunde.
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