Im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung hat die somalische Gesellschaft noch einen weiten Weg vor sich. In Somaliland beteiligen sich ehemalige Beschneiderinnen an einer Aufklärungskampagne.
Langsam füllt sich der Raum mit Frauen unterschiedlichen Alters. Sie haben zweierlei gemeinsam: Ihre gegenwärtige Rolle als Aktivistinnen im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM – Female Genital Mutilation), und ihre frühere Tätigkeit als Beschneiderinnen. Nachdem alle Stühle besetzt sind, beginnen Erzählungen und schmerzhafte Erinnerungen den Raum zu füllen. Sie reichen vom Verlust der eigenen Tochter bis hin zu Ehescheidungen und langwierigen klinischen Behandlungen. Derartige Erfahrungen haben die Frauen dieser Gruppe hier in Hargeisa, der Hauptstadt Somalilands, dazu veranlasst, das Messer niederzulegen und stattdessen ihre Energie der Kampagne gegen die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane zu widmen.
Anders als in den Nachbarländern Kenia und Äthiopien, wo nur Teile der Bevölkerung diese „Operation“ praktizieren, ist sie unter den SomalierInnen universal. Beinahe 100 Prozent aller Frauen werden hier während ihrer Kindheit Opfer der Praktik, jährlich kommen Tausende hinzu. Umso schwieriger ist es, das Schweigen zu brechen und in einen offenen Dialog mit direkt und indirekt betroffenen Personen zu treten. „Erst als meine eigene Tochter während der Geburt ihres Kindes starb, wurde ich Mitglied einer Gruppe von Aktivistinnen“, erzählt Amina von der Women Interaction Group (WIAG). „Die künstlich veränderte Vaginalöffnung war zu eng, die Geburt dauerte zu lange.“ Nun ist Amina bestrebt, andere Frauen in ihrer Gemeinde über die fatalen Folgen des Eingriffs aufzuklären.
Ein Gedicht, das eine der anwesenden Frauen rezitiert, gibt diesen Folgen Ausdruck: „Bei der Geburt: Blut / Während der Beschneidung: Blut / Während der Menstruation: Blut / Blut in der Ehe, Blut während der Geburt / Ein Leben lang: bluten.“
WIAG wurde 1995 in Hargeisa gegründet und wird von der internationalen Frauenrechtsorganisation Equality Now finanziert. Hargeisa ist die Hauptstadt von Somaliland, dem Nordteil von Somalia, der sich 1991 abgespalten hat und international nicht anerkannt wird (siehe SWM 12/2005).
Heute unterhält WIAG mehrere Zentren, führt Aufklärungskampagnen und Alphabetisierungskurse durch. Aktivistinnen zufolge ist die Mehrheit der Eltern in Somaliland überzeugt, eine Beschneidung würde ihre Töchter von Sexualkontakten außerhalb der Ehe abhalten und sie vor Vergewaltigung schützen. Unbeschnittene Frauen müssen mit Sanktionen wie sozialer Isolation rechnen oder werden nicht als Erwachsene anerkannt.
Versuche von oben, FGM zu stoppen, reichen in einigen Ländern bis in die Kolonialzeit zurück. In Kenia erließ die Kolonialregierung in den 1950er Jahren ein Verbot, musste es jedoch aufgrund starken Widerstandes von den praktizierenden Volksgruppen kurze Zeit später wieder aufheben. In Somalia bemühte sich der frühere Diktator Siad Barre gemeinsam mit einer italienischen Entwicklungsagentur, gegen den Brauch anzukämpfen. Der Bürgerkrieg und der anschließende Zusammenbruch des Landes beendeten die Aktion frühzeitig.
Heute sind es insbesondere lokale und internationale Nichtregierungsorganisationen, die gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen kämpfen und öffentlich darüber informieren. Sie stützen sich auf die UNO-Konvention für die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) wie auf die Konvention über die Rechte von Kindern. FGM wird heute international als Verletzung grundlegender Menschenrechte verstanden, wie etwa des Rechts auf Gesundheit, auf physische Integrität und Schutz vor Diskriminierung, aber auch des Rechts auf eigene Entscheidung.
Konventionen ergeben jedoch erst Sinn, wenn sie von betroffenen Staaten ratifiziert und in die nationale Legislatur übernommen werden. 16 afrikanische Länder haben seit den 1990er Jahren Gesetze zum Verbot dieser und anderer schädlicher traditioneller Praktiken erlassen. Eine Kriminalisierung kann aber auch gegenteilige Effekte erzielen: Als Folge verschärfter Gesetze entwickelte sich zum Beispiel in Kenia der Trend, Mädchen früher zu beschneiden. Auch nehmen Frauen seither bei Folgeschäden seltener medizinische Unterstützung in Anspruch. Solche negativen Auswirkungen können nur vermieden werden, indem VertreterInnen betroffener Gruppen in die Gesetzgebung einbezogen werden.
Jüngere Kampagnen bemühen sich daher zunehmend um einen ganzheitliche Ansatz: Neben umfangreichen Aufklärungsaktivitäten in Schulen, Mutter- und Kindzentren, Gemeindetreffpunkten und über lokale Radiostationen zielen viele Projekte auf Empowerment von Frauen durch Bildung und Jobtraining ab. Junge Männer und Frauen sind neben Müttern und Eltern eine wichtige Zielgruppe für Interventionen geworden.
Der Paradigmenwandel zeigt Erfolg: In Ländern wie Kenia, Senegal und Sudan ging in den vergangenen Jahren die Zahl der Opfer deutlich zurück, die nationale Gesetzgebung gegen die Tradition ist mittlerweile gut etabliert.
Andere Länder wie Somalia und Somaliland, die in den vergangenen Jahren keine oder nur teilweise funktionierende Regierungen hatten, hinken hinten nach. Doch auch dort sind positive Veränderungen sichtbar: Mehr Menschen, besonders in urbanen Zentren, reden heue offen über das Thema. Jugendliche erklären sich bereit, die Praktik in Bezug auf ihre eigenen Kinder aufzugeben. Fusia, Mitarbeiterin im Sozialministerium in Somaliland und anwesend während des Treffens, ist überzeugt, dass auch für die Töchter Somalilands eines Tages die Praktik Vergangenheit sein wird. „Ein Wandel von Traditionen ist schmerzhaft und geschieht nicht über Nacht, aber jede Tradition kann verändert werden, solange wir daran glauben und den Kampf nicht aufgeben.“
Johanna Dellantonio studierte Internationale Entwicklung und Afrikanistik und hat im Auftrag von CARE International als Beraterin für FGM-Aufklärung in Somaliland gearbeitet.