Schlüssel zum Königreich

Von Redaktion · · 2010/02

Die saudi-arabische Feministin Wajeha al-Huwaider nutzt jede Gelegenheit, ihre Botschaft zu verbreiten.

In Reaktion auf meinen Kampf um Frauenrechte in meinem Land zeigen einige Leute, die nicht im Königreich leben, gern mit dem Finger auf die saudi-arabischen Männer. Ich aber sage: Sind die Gesetze schlecht, sind auch die Männer schlecht – ihre schlechte Seite wird dann sichtbar. Sie können es sich leisten, zu tun, was sie wollen, ohne überhaupt wahrzunehmen, dass das, was sie ihren Frauen antun, nicht richtig ist.

Ich liebe mein Land – es ist besser, hier für Veränderungen zu kämpfen. Wer sich von außerhalb des Landes äußert, wird nicht so ernst genommen. Wenn man das im Land selbst tut, beeindruckt das die Menschen mehr. Deshalb will ich nicht gehen. Manche hier glauben, bei meiner Arbeit ginge es darum, unsere Gesellschaft zu verwestlichen: Ich war im Ausland, ich habe diese seltsamen Vorstellungen, die ich durchsetzen will. Aber so ist es nicht. Es geht nicht um östlich oder westlich – es geht um Menschenrechte.

Tatsächlich hatten meine Mutter und meine Großmutter mehr Rechte und Freiheiten als wir heute. Sie konnten auf Reisen gehen, ohne um Erlaubnis zu fragen. Es gab keine religiösen Vorschriften über die Art der Kleidung. Frauen arbeiteten auf den Feldern, auf den Märkten. Heute können Frauen solche Jobs nicht bekommen, sie dürfen es nicht einmal. Damals war es für Frauen leichter, den Mann zu heiraten, den sie wollten. Ihre Väter rackerten sich auf den Feldern ab und waren froh, wenn ihre Töchter einen eigenen Haushalt gründeten – dann gab es ein Maul weniger zu stopfen. Heute ist die Gesellschaft stärker urbanisiert, viele Frauen arbeiten in Büros und viele Väter werden nicht zulassen, dass sie heiraten, weil sie ihre Gehälter kassieren wollen.

Meine Großmutter väterlicherseits war dreimal verheiratet. Ihr erster Mann starb. Von ihrem zweiten Mann ließ sie sich in den 1930er Jahren scheiden – damals war das für eine Frau viel leichter. Sie stritten einmal miteinander, er schlug sie und sie sagte: „Das reicht – ich will eine Scheidung.“ Heute gibt es viele Frauen, die missbraucht werden, aber weiter mit ihren Männern leben und nicht davonlaufen, weil sie keinen Ausweg sehen. Es kann Jahre dauern, bis eine Frau eine Scheidung bekommt, selbst wenn sie von ihrem Mann missbraucht wird. Auf eine Frau, die ihren Mann verlässt, wird herabgesehen. Noch in den 1970er Jahren, als Mädchen, reiste ich mit meiner Mutter problemlos in den Irak, nach Kuwait. Wir brauchten weder einen Mann dazu noch seine Erlaubnis.

Die Situation hat sich allmählich verändert. Einer der Hauptgründe war die wirtschaftliche Entwicklung. Vor dem Erdölboom hatten die Frauen mehr Freiheiten, weil die Kultur noch nomadisch war. Als wir nach und nach mehr Geld hatten und die Urbanisierung begann, nach der Gründung der Ölindustrie, begannen wir uns, voneinander zu trennen. Wir konnten uns zwei Schulen leisten, eine für Buben und eine für Mädchen; zwei verschiedene Universitäten, eine für Frauen, eine für Männer.

Und nach der Revolution im Iran hatten die Leute natürlich einen weiteren Grund, sich restriktiver zu verhalten. Saudi-Arabien ist die Heimat des Islam, also sind wir verpflichtet, sogar noch religiöser zu sein als der Iran. Man machte sich auch Sorgen, dass die iranische Revolution wegen unserer schiitischen Minderheit in das Königreich importiert werden könnte. Und die Entstehung der Dschihadi-Bewegung während der Kriege in Afghanistan verschaffte den religiösen Gruppen ebenfalls mehr Einfluss.

Wir wissen, dass die Taliban oder Dschihadis vom CIA ausgebildet wurden, mit Geld aus Saudi-Arabien, vom Golf. Jordanien und Ägypten haben auch Dschihadis finanziert. Das Ziel war, den Kommunismus zu vernichten. Aber der Preis ist sehr hoch – für den Westen und auch für uns hier. Diese Leute kamen zurück nach Saudi-Arabien. Auch bei uns gab es Terroranschläge.

Am internationalen Frauentag im Jahr 2008 bat ich meine Schwester, mich beim Autofahren zu filmen. Wir fuhren an den Strand. Nachdem ich das Video auf Youtube veröffentlicht hatte, setzten sich einige junge Frauen ebenfalls ans Lenkrad, und eine wurde schwer verletzt, weil einige Männer sie dabei erwischten und versuchten, sie von der Straße zu drängen. Vor zwei Jahren wurde ich festgenommen, weil ich auf der Straße mit einem Schild mit der Forderung nach Frauenrechten im Königreich herumspazierte. Sie sagten mir, ich bräuchte einen männlichen Vormund, sonst würden sie mich einsperren. Also kam mich mein Bruder abholen. Ein anderes Mal zogen sie meinen Reisepass ein, und es war ein Glück, dass ich ihn wiederbekam.

Ich drehte einen Film über die Verheiratung von Kindern, machte im ganzen Land Interviews mit jungen Mädchen und fragte sie, ob sie heiraten wollten. Alle sagten „Nein“. Das habe ich auch im Internet veröffentlicht. Ich bin ständig auf der Suche nach Möglichkeiten, wie ich Frauen dazu motivieren kann, einfach „Nein“ zu dieser ganzen Unterdrückung zu sagen. Ich schreibe Artikel, ich protestiere, ich organisiere. Aber die Frauen haben Angst – sogar davor, eine Petition zu unterzeichnen. Sie fürchten, dass ihre Männer oder Väter gewalttätig werden, wenn sie das tun. Das ist mein großer Kampf: die Frauen dazu zu bringen, um ihre Befreiung zu kämpfen. Einige Frauen, die ich dazu ermutigte, das Gesetz über die männliche Vormundschaft zu missachten, wurden von ihren männlichen Verwandten oder der Polizei daran gehindert. Eine Frau mit zwei Kindern, die mit einem gewalttätigen Drogensüchtigen verheiratet ist, versuchte, das Land zu verlassen. Die Polizei hielt sie am Flughafen fest – ein Mann muss bei der Polizeistation ein spezielles Formular ausfüllen, damit seine Frau ins Ausland gehen darf.

Das Gesetz über die männliche Vormundschaft ist das größte Problem im Leben der Frauen. Wenn wir dieses Gesetz los werden, wird sich die Situation der Frauen enorm verbessern. Wir würden unser Leben zurückbekommen. Wir könnten studieren, reisen, heiraten und uns scheiden lassen, allein leben, ein Mobiltelefon besitzen … tun und lassen, wie es uns beliebt. Die feministische Bewegung hier wird stärker, und viele Autorinnen und Journalistinnen machen mit. Wir hoffen, inschallah, dass sich etwas verändert.

Nach Aufzeichnungen von Hadani Ditmars

Die saudi-arabische Feministin und Autorin Wajeha al-Huwaider ist auf Youtube unter http://tinyurl.com/37kkcp zu sehen; einige ihrer Texte sind unter http://tinyurl.com/2bvm86 veröffentlicht. Sie wurde 2004 mit dem PEN/NOVIB Free Expression Award ausgezeichnet.

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