Schlechte Startnummern

Von Brigitte Pilz · · 1999/09

Was sagt uns das: Guinea ist die Nummer 161, Angola die Nummer 160? Wenn Nummer 174 das Schlußlicht ist, zählen jene kurz davor auf jeden Fall zu den Verlierern. Die Rede ist vom HDI, einer Meßgröße für menschliche Entwicklung. Dahinter steckt jedenfalls

Vorweg ein Bekenntnis: Ich bin ein Fan des jährlich erscheinenden „UNDP-Berichts über die menschliche Entwicklung“. Nicht nur werden darin Zahlen in geradezu vorbildhafter Weise aufgearbeitet und präsentiert. Es wird auf Basis von gründlich recherchierten Fakten klar und engagiert Stellung bezogen, wie man es von UN-Organisationen nicht unbedingt gewohnt ist, sind sie doch eher der Sprache der Diplomatie verpflichtet.

Kürzlich ist die Ausgabe 1999 des UNDP-Berichts erschienen. Heuer wird das Thema Globalisierung näher beleuchtet. Da heißt es zum Beispiel: „Die zwischenstaatlichen politischen Entscheidungen hinsichtlich der Weltwirtschaft liegen in den Händen der einflußreichen Industriestaaten und der internationalen Institutionen, die sie kontrollieren – der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Die Regeln, die sie verabschieden, mögen ein sicheres Umfeld für offene Märkte erzeugen. Es fehlen jedoch die sie in Schranken haltenden Regeln zum Schutz der Menschenrechte und zur Förderung der menschlichen Entwicklung.“ Die Aufgaben und dringend zu ergreifenden Maßnahmen für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheiten in den meisten Ländern der Dritten Welt werden klar benannt, auch die Verantwortlichen im Norden und im Süden.

Dann lese ich die aktuellen Zeitungen: Zwei verzweifelte Jugendliche aus Guinea sterben im Fahrwerkschacht einer Maschine auf dem Flug nach Europa. Sie bringen eine schriftliche Botschaft mit: „Helfen Sie uns, wir leiden zu viel in Afrika.“

Oder: Caritaspräsident Franz Küberl zeigt sich nach seiner Rückkehr aus Angola entsetzt: „Es ist unvorstellbar, unter welchen Bedingungen die Menschen ums Überleben kämpfen.“

Oder: Die spanischen Auffanglager für illegale Grenzgänger sind überfüllt. Die meisten, die den doppelten Stacheldrahtzaun an der EU-Außengrenze überwunden haben, kommen aus Schwarzafrika. „Der im Fernsehen gezeigte Luxus macht aus Europa eine unwiderstehliche Verlockung“, sagt ein Betreuer.

Was im UNDP-Bericht schön und klar aufbereitete Grafik ist, wird durch solche Meldungen plötzlich lebendig. Die letzten 22 von 174 Ländern des Human Development Index (HDI – auch eine anschauliche Erfindung des UNDP-Berichts) sind afrikanische. Guinea ist Nr. 161, Angola Nr. 160. Hinter Statistiken verbergen sich Menschen. Nein, hier wird nicht die Mitleidsmasche gefahren, nicht die Tränendrüse gedrückt. Das sind Sie vom SÜDWIND-Magazin nicht gewohnt. Ist auch gut so, denn ich bin nach wie vor davon überzeugt, daß Mitleid und wohltätige Gaben Leid im einzelnen lindern können. Sie ändern aber nichts am grundsätzlichen Übel und an ungerechten Strukturen.

Angesichts solcher Nachrichten aus Afrika befallen mich aber Zweifel, ob noch so gute, noch so engagierte Berichte und Forderungskataloge je den Durchbruch zum Positiven einleiten werden. Es fehlt – oft wurde es erfolglos beklagt – am politischen Willen. Wo bleibt die große Umsetzung von guten einzelnen Konzepten? Wo bleibt so etwas wie ein Marshall-Plan für Afrika? Wo – um bescheidener zu sein – der große Durchbruch bei der Entschuldung? Wir tun, als hätten wir alle Zeit der Welt. Irgendwann kann es zu spät sein. Für viele Opfer ist es das bereits.

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