Schicksalsjahr für Nigeria

Von Hakeem Jimo · · 2007/04

Der nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo hat die Weichen für die Wahlen im Land gestellt. Gleichzeitig arbeitet er an seinem Vermächtnis und seinem zukünftigen Einfluss.

Umaru Musa Yar’Adua kauft seine Zigaretten immer noch selbst. Obwohl ihm seine Bodyguards davon abraten, die Bauchläden aufzusuchen. Vielleicht hätten ihm auch Ärzte davon abraten sollen. Denn die Gesundheit des Präsidentschaftskandidaten lässt einige Zweifel aufkommen, ob er überhaupt körperlich fähig ist, nach einem Wahlsieg den Vielvölkerstaat zu führen. Zweifler fordert er zu zwölf Sätzen Squash auf. Aber wegen akuter Kurzatmigkeit riet ihm sein Leibarzt Anfang März, zu einer intensiven medizinischen Untersuchung nach Deutschland zu fliegen.
Umaru Musa Yar’Adua ist zwar nur einer von knapp 30 Kandidaten aus 50 registrierten politischen Parteien, die sich im April um das nigerianische Präsidentenamt bewerben. Aber er ist der chancenreichste. Denn er wurde von der mächtigsten Partei Nigerias nominiert, die auch die Regierung stellt. Ohne die Patenschaft des amtierenden Präsidenten Olusegun Obasanjo wäre dies wohl kaum möglich gewesen. Um das zu erreichen, wurden einflussreichen Gouverneuren mit eigenen Präsidentschaftsambitionen die Flügel gestutzt.
In der Bundespolitik zwar noch ein relativ unbeschriebenes Blatt, stammt Umaru Musa Yar’Adua doch aus einem der „alten politischen Geschlechter“ des Landes. Sein Vater wurde in der Nachkolonialregierung zum Minister berufen. Sein verstorbener, älterer Bruder diente als Vize-Staatschef unter der Militärregierung von Olusegun Obasanjo in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre. Später in den 1990er Jahren wurden Obasanjo und sein einstiger Vize unter der Diktatur von General Sani Abacha wegen Putschversuchs angeklagt und verbüßten eine mehrjährige Haftstrafe, die der ältere Bruder Yar’Adua nicht überlebte.
Der junge Yar’Adua ging zunächst einen anderen Weg und wurde Chemielehrer. Mit dem weit verzweigten wirtschaftlichen und politischen Netz der Familie schaffte es aber auch der Chemielehrer zum Gouverneur des nordnigerianischen Bundesstaats Katsina. Dort regiert er seit knapp acht Jahren. Yar’Adua ist einer der wenigen nigerianischen Gouverneure, gegen die kein Korruptionsverfahren läuft und die bei Amtsantritt ihr Vermögen offen legten. Die Haushaltsführung in Katsina hat einen guten Ruf. Dennoch gibt es auch KritikerInnen, die bemängeln, dass eine Reihe öffentlicher Aufträge an Firmen ging, die dem Yar’Adua-Imperium gehören oder nahe stehen.

Es bahnt sich ein Generationswechsel in Nigeria an. Wo steht das bevölkerungsreichste Land Afrikas nach acht Jahren Demokratie unter Olusegun Obasanjo? Die Entschuldungskampagne, vorangetrieben mit Hilfe der Ex-Finanzministerin und ehemaligen Vize-Chefin der Weltbank, Ngozi Okonjo-Iweala, lässt Nigeria heute fast ohne Schulden dastehen. Vor einem Jahr noch beliefen sich die Verbindlichkeiten auf über 35 Milliarden US-Dollar bei offiziellen Gläubigern wie dem Londoner und dem Pariser Club. Heute ist der über 140-Millionen-EinwohnerInnen-Staat nur noch mit wenigen hundert Millionen Dollar bei der Weltbank und durch einige wenige bilaterale Abkommen verschuldet. Nigeria wurde von der schwarzen Liste für Kreditnehmer gestrichen und hat im Länder-Rating einen ähnlichen Rang wie die Türkei oder die Ukraine.
Die gewöhnlichen Nigerianer und Nigerianerinnen warten aber nach wie vor auf eine „Dividende der Demokratie“. Zu Beginn seiner ersten Amtszeit erklärte Obasanjo die Energieversorgung zur Chefsache. Doch auch jetzt, kurz vor seinem Ausscheiden aus der Politik, liefert die staatliche Stromgesellschaft weiter nur durchschnittlich vier Stunden am Tag Strom, manchmal auch gar nicht. Die industrielle Produktion sank in den vergangenen Jahrzehnten auf ein Niveau ähnlich wie zur Unabhängigkeit im Jahr 1960. Ein Mittelstand existiert kaum. Jedes dritte Kind, das in Afrika an Malaria stirbt, kommt aus Nigeria. Rund zwei Drittel der Bevölkerung leben nach wie vor unterhalb der Armutsgrenze von einem Dollar am Tag.
Im neuesten Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen steht Nigeria auf dem 159. Platz des „Human-Development-Index“, eine Position schlechter als im Vorjahr. Somit gehört das Land zu den 30 am wenigsten entwickelten Staaten der Welt. Die Wissenselite und ehrgeizige, junge Leute wandern in Scharen aus und riskieren oft eine selbstmörderische Reise nach Europa. Sie hinterlassen eine Gesellschaft mit noch weniger Potenzial, ihre Probleme in den Griff zu bekommen.

Auch die massiven Privatisierungen im Land machen die NigerianerInnen misstrauisch. Nicht wenige vermuten eine Günstlingswirtschaft unter Eliten. Die nigerianische Mega-Holding-Gruppe „Transcorp“, an der auch Obasanjo nicht unbeträchtlich beteiligt ist, gewann viele dieser Privatisierungsausschreibungen.
Gerade was seine Anti-Korruptionspolitik angeht, scheint der mehrfache Ehemann Obasanjo auf zwei Pferden gleichzeitig zu reiten. Nigerianische Anti-Korruptionsbehörden, vor allem die Kommission für Wirtschafts- und Finanzverbrechen EFCC, arbeiten so effizient, dass das Klima der Gesetzlosigkeit im Land beendet wurde. Vom Gouverneur bis zu den Internet-TrickbetrügerInnen in den unzähligen Internet-Cafés – keiner fühlt sich mehr so stark und sicher wie noch zu Anfang der Obasanjo-Ära. Um massive Unterschlagungen künftiger Regierungschefs vorzubeugen, richtete der Präsident zudem einen Fonds ein, in den die Profite aus der Erdölförderung fließen sollen und der direkt von einer US-amerikanischen Bank verwaltet wird.
Dennoch fließen nach wie vor jedes Jahr gewaltige Reichtümer illegal aus dem Land. Ein Großteil der jüngsten Korruption findet in den Bundesstaaten statt und weniger auf der Bundesebene, die von Obasanjo kontrolliert wird. Die Hälfte des Staatsvermögens soll sich nach Angaben der Antikorruptionsbehörde auf Bundesstaatenebene befinden. Bis auf wenige Ausnahmen laufen gegen alle der 36 Bundesstaaten-Gouverneure Korruptionsuntersuchungen. Warum hat es Obasanjo nicht geschafft, diesem Treiben ein Ende zu setzen? Die Antwort findet sich in den jetzigen Präsidentschaftswahlen. Dass sich ein Großteil der politischen Klasse illegal bereicherte, spielt ihm in die Hände. Dadurch konnte er sie sich gefügig machen. Deutlich wurde dies bei der seinen Parteimitgliedern nahezu aufgezwungenen Wahl „seines“ Kandidaten Yar’Adua.
Was aber das Prinzip der einkalkulierten Erpressbarkeit von politischen Freunden und Feinden für Nigerias politische Kultur bedeutet, ist wohl auch für ein strategisches Genie wie Obasanjo schwer abzusehen. Wie kontraproduktiv diese Herrschaftsmethode ist, zeigt sich bereits in der eigenen Partei, die nur noch mit Zwang und Erpressung zusammen zu halten ist.

Einer, der dies nicht länger mitmachen wollte, ist der Vize-Präsident Atiku Abubakar. Nachdem er sich im vergangenen Jahr gegen die aus dem Obasanjo-Lager initiierte Bewegung zur Änderung der Verfassung gestellt hat, die dem Präsidenten eine dritte Amtszeit ermöglichen hätte sollen, sind der Präsident und sein Vize heillos verfeindet. Mit Korruptionsklagen, Partei-Ausschluss und Schikanen versuchte Obasanjo, seinen Vize von einer Präsidentschaftskandidatur abzuhalten. Abubakar ließ sich von einer anderen Partei aufstellen und scheint alle juristischen Attacken bislang zu parieren.
Noch mehr Probleme dürfte es bei den Wahlen für die Gouverneursposten geben. Auf Bundesstaatenebene haben viele Kandidaten keine Skrupel, Schlägertruppen für ihre politischen Ambitionen einzusetzen. Die Entscheidung könnte im Nigerdelta fallen, wo tausende Jugendliche in Milizen organisiert sind und bereits in vielen Gebieten die Kontrolle übernommen haben. Nigerias Wirtschaft hängt mit Gedeih und Verderb von der Erdölwirtschaft im Nigerdelta ab. Über 90 Prozent der Deviseneinnahmen des Landes werden hier erwirtschaftet. Trotzdem konnte Präsident Obasanjo dort die Lage nicht beruhigen. Zu Beginn seiner Amtszeit setzte er noch auf eine militärische Lösung. Aber heute sagen selbst hochrangige Offiziere, dass sie die Lage in den schwer zugänglichen Gebieten nicht kontrollieren können.

Olusegun Obasanjo gilt schon jetzt als eine Schicksalsfigur der nigerianischen Geschichte. Ende der 1960er Jahre nahm er die Kapitulationsurkunde der Biafra-Armee entgegen, deren Abspaltungsbürgerkrieg zwei Millionen Opfer forderte, der verheerendste afrikanische Bürgerkrieg bis dato. Ein Jahrzehnt später war er der erste afrikanische Militärmachthaber, der freiwillig die Macht an eine Zivilregierung übergab, was ihn zum Liebling der internationalen Politik machte. Und in wenigen Monaten wird der 69-Jährige der erste gewählte Präsident Nigerias sein, der die Macht an einen gewählten Nachfolger weitergibt. Aber das wird nicht das Ende sein. Nach der Präsidentschaftswahl wird er Vorsitzender des „Board of Trustees“, sozusagen der Aufsichtsratsvorsitzende der Partei, der wesentlich die Finanzen und die inhaltliche Politik steuert. Da kann kommen, wer will.

Hakeem Jimo ist seit sieben Jahren Westafrika-Korrespondent der Berliner Tageszeitung taz und des ARD-Hörfunks.

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