Schema F auf allen Kanälen

Von Antje Krüger · · 2005/07

Chiles Medienlandschaft ist karg, langweilig und konservativ. Von Mediendemokratie kann keine Rede sein, und die Medienpolitik ist vielmehr eine Desinformationspolitik.

Guten Abend und willkommen zu den Nachrichten von TVN-Chile“, begrüßt die Nachrichtensprecherin des staatlichen Fernsehkanals die ZuschauerInnen. Es ist zwanzig Uhr. Während der nächsten Stunde können sich die ChilenInnen darüber informieren, was in ihrem Land und der Welt geschieht – oder auch nicht. Denn was folgt, sind 60 Minuten lang Beiträge über zwei Ertrunkene im Pazifik, Autounfälle, das Ende der Ferienzeit. Immer wieder Werbeblöcke. Im letzten Drittel eine Erwähnung, die darauf hinweist, dass es auch noch eine restliche Welt gibt, und abschließend ein kurzes Statement von Präsident Ricardo Lagos. Das waren und sind die chilenischen Nachrichten: Schema F auf allen Kanälen, Tag für Tag.
An den Zeitungskiosken sieht es ähnlich aus. Einen Stapel El Mercurio, Chiles dominierende Zeitung, hat der Verkäufer griffbereit. Daneben liegen drei, vier weitere Tageszeitungen und eine Zeitschrift für politische Karrikatur. Hie und da erhält man noch den Punto Final, die einzig überlebende Zeitschrift der linken Opposition. Ansonsten nur Hochglanzmagazine über Autos und Frauen. Wer sich anderweitig informieren will, hat Pech gehabt.
Dabei sprachen nach einer Umfrage des UN-Programms für Entwicklung 2004 die Befragten den Medien, vor allem dem Fernsehen, die größte Macht im Lande zu. Auf einer Skala von 1 bis 10 erhielten sie 8,6 Punkte. Ihnen folgten die Wirtschaftsministerien (8,3), die großen Wirtschaftsgruppen (8) und die Zentralbank (7,4). Erst später tauchen politische Institutionen, die katholische Kirche und die Justiz auf der Machtskala auf.
„Dass die Medien in einem Atemzug mit den führenden Wirtschaftsinstitutionen genannt werden, verwundert mich wenig. Chiles Medienlandschaft ist monopolistisch geprägt“, sagt Mario Garcés, Direktor der Bildungs- und Kommunikations-NGO ECO. Über fast 80 Prozent der Presse bestimmen zwei Gruppen: Saieh/COPESA und Edwards. Im Fernsehen sind vier der fünf öffentlichen Kanäle privat, zwei davon gehören katholischen Universitäten. Und das Radio, das meistgenutzte Medium in Chile, dominieren zwei transnationale Unternehmen sowie die katholische Kirche mit allein 300 Sendern. Die Zensur nach katholischen Maßstäben war noch bis vor kurzem an der Tagesordnung.
„Platz für alternative Medien gibt es da nicht. Einzig die Zeitschrift Punto Final hat mit Spenden und ehrenamtlicher Arbeit bislang überlebt. Ganze Themenbereiche wie etwa der der Menschenrechte werden dadurch vor der Öffentlichkeit ausgeblendet“, sagt Gabriel Zoto, der in der Diktatur (1973-1990) im Untergrund lebte und jetzt vergeblich nach der demokratischen Medienlandschaft sucht, für die er gekämpft hat. Eine Mitschuld an der konservativen und rechtslastigen Einseitigkeit der chilenischen Medien gibt Zoto auch der Regierungskoalition mit der Sozialistischen Partei als Mehrheitspartner. „Die Regierung könnte ihre Veröffentlichungen ja auch in Medien wie dem Punto Final bringen und diese somit unterstützen. Statt dessen publizieren sie im Mercurio, der ohnehin genug Werbung und Geld hat“, so Zoto.

Auf die Frage nach Alternativen zuckt Mario Garcés von ECO nur resigniert die Schultern. „Seit langem versuchen wir, ein Gesetz durchzubringen, das die Existenz von kommunalen Radios absichert. Anfang der 1990er Jahre hatten diese Radios großen Zulauf, bis die Marktführer um ihre Hegemonie bangten und die Schließung der Radios durchsetzten“, erinnert sich Garcés. Jahre der Lobbyarbeit folgten, bis kommunale Radios zwar erlaubt, ihre Reichweite aber beschränkt und Werbung verboten wurde – eine Existenz ist so kaum möglich. „Alternative Medienarbeit wird weiterhin behindert. Eine demokratische Grundlage auch für kritische Berichterstattung gibt es in Chile nicht“, so Garcés.
Einzige Lücke: das Internet. Hier kann man sich auf Seiten wie piensachile.cl (Denk Chile) oder purochile.cl (Nur Chile) auch anderweitig informieren – vorausgesetzt man hat einen Internet-Zugang. Die Diskussionsforen im Netz werden viel genutzt und zeigen, dass vor allem bei jungen Leuten sehr wohl auch ein Interesse an demokratischer Berichterstattung vorhanden ist.
Trotzdem verharrt der chilenische Journalismus noch stark in Strukturen, welche die Diktatur vorgab. Mario Garcés erklärt: „Damals wurden die Medien komplett den Gesetzen des Marktes unterworfen und eine einzige, an den herrschenden Militärs orientierte und kritiklose Berichterstattung verlangt. Heute, 15 Jahre später, ist das noch immer zu spüren.“

Antje Krüger ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Sie hielt sich in den letzten Jahren mehrmals längere Zeit in Argentinien auf und bereiste kürzlich auch Chile (vgl. Titelgeschichte in SWM 3/05).

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen