Frauen haben die Hauptlast der Jahre des Kriegs, der Sanktionen und der Besatzung getragen. Hadani Ditmars hat in Bagdad mit einigen von ihnen über ihr Leben gesprochen.
In der verkehrten Welt des neuen Bagdad gibt es im öffentlichen Raum kaum mehr Platz für Frauen. Frauen sehe ich nur freitags, wenn sie mit ihren Ehemännern und Familien spazieren gehen, beinahe ausschließlich in einer Abaya, dem traditionellen schwarzen, mantelartigen Übergewand vom Hals bis zu den Füßen. Oder im Hidschab, der den Kopf und den ganzen Körper bedeckt.
Mir geht etwas nicht aus dem Kopf, was mir eine junge Schauspielerin, die 28-jährige Shams (der Name bedeutet Sonnenschein) gesagt hat. „Ich komme mir wie eine kleine Puppe vor, wie ein Kind“, beklagte sie sich, als ich sie bei einer Probe traf. Auf der Bühne konnte sie tanzen, ihr dramatisches Talent zur Geltung bringen, mit anderen Männern und Frauen zusammen sein, ansonsten aber beschränkte sich ihr Leben auf die eigene Wohnung oder „Marktbesuche im Auto, mit meiner Tante und meinem Bruder. Ich kann nicht einmal allein Lebensmittel einkaufen. Es ist einfach zu gefährlich“.
Einmal lädt mich mein Freund Haydar, ein Dokumentarfilmer, in ein bekanntes Kebab-Restaurant ein. Ich nehme die Einladung an, wenn auch widerwillig. Ich bin die einzige Frau, und obwohl ich völlig verhüllt bin und einen Hidschab trage, werde ich ununterbrochen angestarrt, während ich lustlos im Essen herumstochere. Die künstlichen Blumen und die Bilder von Imam Hussein überall im Restaurant haben mir den Appetit verdorben.
Kann das wirklich die Stadt sein, von der ich früher fand, dass man nirgendwo in der arabischen Welt als Frau so problemlos einer Berufstätigkeit nachgehen konnte wie hier? In einem Land, in dem vor 20 Jahren die Hälfte der ÄrztInnen und BeamtInnen Frauen waren, das mit den staatlichen Subventionen für Kinderbetreuung und Familienplanung progressiver war als so mancher US-Bundesstaat? Das auf die erste Ministerin und die erste Richterin in der arabischen Welt stolz war?
Ein Besuch einer Ausstellung irakischer Künstlerinnen in der Galerie Hewar in Wasirija beruhigt mich dann doch etwas. Männer und Frauen – manche mit Hidschab, manche ohne Kopfbedeckung und geschminkt – gehen hier ungezwungen miteinander um, und Nermin Mufti, ein Journalist, der bei den Wahlen kandidiert, betätigt sich als begeisterter Händeschüttler. Trotzdem ist eine gewisse Beklemmung zu spüren, so als ob uns irgendjemand von irgendwoher beobachten würde.
Bei meinem Versuch, mit den Künstlerinnen ins Gespräch zu kommen, erinnere ich mich an die schlimmen alten Zeiten, wie schwierig es damals war, die Hürde der baathistischen Gemeinplätze zu überwinden. Eine junge Frau mit Hidschab steht vor ihrer Skulptur – eine Frauengestalt, gefangen in einem Würfel aus Plexiglas, aus dem sie verzweifelt zu entkommen versucht. Als ich sie nach der Bedeutung des Werks frage, bleibt sie unerträglich vage.
„Das Leben ist schwer für irakische Frauen“, meint sie, „aber wir haben es immer geschafft zu überleben.“ Eine andere Künstlerin, deren Werk ganz offensichtlich den Kampf der irakischen Frau thematisiert, verweigert jede Antwort auf meine Frage, was sich für die Frauen seit der Invasion geändert hätte. Die Gewalt gegen Frauen hat doch zugenommen? Und das alte Zivilrecht und das liberale Familienrecht, das wurde doch abgeändert, an die überkommene Scharia angepasst? Sie bleibt wortkarg, sagt dann aber immerhin: „Naja, es gibt hier ein Problem mit den Witwen. Mein Mann war in der irakischen Armee und wurde 2006 bei den Kämpfen zwischen den Religionsgruppen getötet. Seine Pension habe ich noch immer nicht bekommen.“
Auf mein Drängen gibt sie zu: „Ich will nichts gegen die Regierung oder irgendeine Partei sagen. Ich befürchte, dass es Repressalien gegen mich oder meine Familie geben könnte.“ Die irakischen Fernsehkameras drehen sich, lokale Paparazzi machen Fotos von den Künstlerinnen, aber ihre Arbeiten müssen für sich selbst sprechen.
Als Nächstes fahre ich mit Haydar zu einem Frauenzentrum in Baladijat. Wir parken bei einem etwas post-apokalyptisch wirkenden Markt. Ein Kind verkauft alte Radios und alte Batterien; der Abfall türmt sich auf den Straßen, offene Abwasserkanäle überall. Haydar weist mich an, meinen Kopf gesenkt zu halten. „Lächle niemanden an. Schau traurig drein, wie eine irakische Frau.“
In diesem Viertel befand sich früher die Zentrale des Generaldirektorats für Sicherheit des alten Regimes. Hier hatte Saddam auch Wohnungen für palästinensische Flüchtlinge bauen lassen, die unter früheren irakischen Regierungen ins Land gekommen waren. Nach der Invasion wurden sie jedoch vertrieben. Es gilt als sunnitisches Gebiet; viele SunnitInnen sind hierher geflüchtet. Heute wird das Viertel regelmäßig mit Katjuscha-Raketen aus der schiitischen Bastion Sadr City beschossen.
Mitten in dieser Szenerie des Verfalls taucht ein Fußballplatz auf, wo sich ein paar Kinder gerade ein Match liefern. Es ist zu riskant, ein Foto zu machen, also bemühe ich mich weiter, den Kopf gesenkt zu halten und nicht zu lächeln, bis wir das Zentrum betreten haben. Das Zentrum, geleitet von einer beherzten Frau Anfang vierzig namens Sabah, halb irakisch, halb palästinensisch, hat sich zu einer kleinen Oase der Hoffnung in einer Wüste der Verzweiflung entwickelt. Das Angebot reicht von Computerschulungen über Nähkurse bis zum politischen Empowerment von Frauen. Abgesehen von Freizeitaktivitäten für Kinder organisiert Sabah auch ein Bildungsprogramm, mit dem Jugendliche davon abgehalten werden sollen, sich einer Miliz anzuschließen. Eine der Methoden besteht darin, sunnitische und schiitische Jugendliche zusammenzubringen, die in Anbetracht der aktuellen religiösen Segregation in Bagdad sonst vielleicht nie die Möglichkeit hätten, sich an einem neutralen und relativ friedlichen Ort zu treffen.
Für viele Frauen hier ist das Zentrum zweifellos ein Rettungsanker, und einige wollen mir unbedingt ihre Geschichte erzählen. Vorerst frage ich aber Sabah, was sich für Frauen seit 2003 verändert hätte. „Die Lage der Frauen hat sich definitiv verschlechtert. Eine der größten Veränderungen ist die neue irakische Verfassung, mit der das alte Zivilrecht durch ein religiöses ersetzt wurde.“ Es erleichtert mich, dass sich endlich jemand dazu äußert. „Wenn sich eine Frau scheiden lassen will, die Obsorge für die Kinder regeln oder die Erbschaft ihres Mannes antreten, dann muss sie sich jetzt an die Vorschriften der Religionsgemeinschaft halten, der ihr Mann angehört. Ist sie Christin und er Schiit, muss sie die schiitische Scharia einhalten. Eine andere Wahl hat sie nicht.“
Wie mir Sabah erzählt, würden jetzt viele Männer eine zweite Frau heiraten, womit oft beide Frauen in eine prekäre rechtliche und wirtschaftliche Lage geraten. Frühe Verheiratungen von Mädchen und sogar Zwangsheiraten auf Anordnung von Milizen hätten dramatisch zugenommen.
Frauen und Kinder leiden immer, wenn Gewalt zum Mittel der Politik wird. Von der Invasion und der Besatzung haben Kriegsgewinnler, ausländische Kontraktoren und korrupte Beamte profitiert, doch 43 Prozent der Bevölkerung leben in absoluter Armut. Es ist zwar schwierig, das Leiden der irakischen Frauen vom Leiden der Gesellschaft im Allgemeinen zu trennen, aber durch die Kombination von Gesetzlosigkeit und Fundamentalismus nach der Invasion hat sich das Risiko von Vergewaltigungen und Ehrenmorden erhöht. Heute werden im Irak drei Millionen Haushalte von Frauen geführt, darunter mindestens eine Million Witwen. Aber das größte Problem für die Frauen ist die Unsicherheit, sagt Sabah. Gewalt droht heute an allen Ecken und Enden.
Eine Frau in den Sechzigern mit einem freundlichen, etwas teigigen Gesicht sagt mir stolz, sie hätte heute ihre Arbeit im Finanzministerium beendet und wäre in Pension gegangen. Als sie ins Erzählen kommt, ändert sich ihr Gesichtsausdruck jedoch. „Die ganzen Probleme begannen 2006. Wir lebten in Hurrija (im Norden Bagdads), und eines Tages geriet meine Tochter, die Medizinstudentin war – sie war die beste ihrer Klasse“ – kurz blitzt wieder der Stolz in ihrem Gesicht auf – „in ein Gefecht zwischen einer sunnitischen Miliz und amerikanischen Truppen und wurde getötet. Bald danach wurden wir von der Mahdi-Armee (eine schiitische Miliz) gezwungen, in dieses Viertel zu flüchten. Wir mussten alles zurücklassen.“ *)
Ich halte einen Moment inne, um diese tragische Geschichte zu verdauen. Haydar bedeutet mir, wir wären bereits zu lange hier. In diesen Zeiten ist es niemals gut, zu lange an einem Ort zu bleiben. Aber was könnte ich dieser Frau schon sagen? „Nun“, mache ich einen Versuch, „hat sich das Leben heute wirtschaftlich etwas verbessert?“ „Ja“, räumt sie ein und sagt, ihr Gehalt bei der Regierung hätte sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt – gegenüber umgerechnet zwei US-Dollar am Höhepunkt der Sanktionen. „Aber was hilft mir Geld ohne meine Tochter? Ich würde alles geben, um sie wiederzubekommen.“ Ich verabschiede mich von Sabah und den anderen und gehe, traurig dreinblickend wie eine irakische Frau.
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*) Nach Angaben der US-Armee sind bisher nur 16 Prozent der 300.000 vertriebenen Familien in Bagdad an ihre früheren Wohnorte zurückgekehrt.
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