Sakarija Tamer: Die Hinrichtung des Todes

Von Michael Schwarz · · 2005/05

Unbekannte Geschichten von bekannten Figuren

Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich und Ulrike Stehli-Werbeck.
Lenos Verlag, Basel 2004, 139 Seiten, EUR 16,-

In „Tausendundeine Nacht“ erfindet Schahrasad für den König Schahrijar jede Nacht eine Geschichte. Damit will sie verhindern, dass er sie umbringt. Er befürchtet nämlich, sie könnte ihm untreu werden. Aber vielleicht ist es ganz anders gewesen?
Sakarija Tamer erzählt in einer seiner „unbekannten Geschichten“ die Entstehungslegende neu: Hier muss der König Märchen erfinden. In der tausendundersten Nacht erzählt er jedoch nicht mehr weiter. Aber Königin Schahrasad braucht die Geschichten, damit sie die Sorgen der Herrschaft und die Tatsache, dass Männer ihren Frauen untreu sind, vergessen kann. Aus Ärger lässt sie ihn umbringen und befiehlt, die Erzählungen von Tausenundeiner Nacht mit den nötigen Anpassungen aufzuschreiben.
Der Autor bietet eine weitere Variante: Schahrasad, die Tochter eines Schumachers, möchte ihrem Mann, dem Schuhputzer Schahrijar, Geschichten erzählen. Aber der will jeden Abend nur Fußballspiele, Soapserien und Filme im TV sehen: Er droht, sie umzubringen und spurlos verschwinden zu lassen, wenn sie ihn weiter stört. Da schweigt die Frau und sagt kein Wort mehr.
Die 14 kurzen Geschichten handeln von im arabischen Raum bekannten historischen oder legendären Figuren. Die Erklärungen der Übersetzer zeigen, dass Sakarija Tamer die Eigenarten der Figuren verfremdet. Da wird umgedeutet, auf den Kopf gestellt und Grenzen werden überschritten. Ein toter Dichter wird aus dem Grab geholt, um ihm den Prozess zu machen. Tiere – auffallend oft sind es Esel – reden in menschlicher Sprache. So sind die teilweise absurden Texte voll versteckter Kritik und höchst subversiv. Sie wenden sich gegen die Arroganz der Macht, gegen Überheblichkeit und Ungerechtigkeit und sind von brennender Aktualität. Dazu hilft die ausgezeichnete Übersetzung, die die dichte Sprache in die Gegenwart zu übertragen vermag. „Ich schreibe für ein menschenwürdigeres Leben der Araber“, sagte der Autor einmal. In diesen Kurzgeschichten gelingt ihm das auf wundervolle und tiefsinnige Weise.

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