Sabrina Simader und die Abenteuerlücke

Von Monika Schneider-Mendoza · · 2024/Nov-Dez
Sabrina Simader beim Skifahren
Sabrina Simader

Wenn Sabrina Simader im Starthäuschen steht, dann geht sie nicht nur für ein Land ins Rennen.

Professionell Skifahren bedeutet kontinuierlich die eigene Komfortzone zu verlassen. Nach der Skimittelschule Schladming hat sich Sabrina Simader mit 16 Jahren entschieden in den Rennsport einzusteigen. Soweit nichts Ungewöhnliches in der österreichischen Alpenrepublik. Doch Simader heißt Wanjiku im zweiten Namen und wurde in Kenia geboren. „Ich bin aus der Norm und das ist okay. Ich glaube, dass jede Herausforderung uns wachsen lässt. Früher habe ich mir schon gedacht: Warum ich? Aber mittlerweile denke ich mir: Cool! Einzigartig und außergewöhnlich sind wir doch alle. Und das zu erkennen, ist ganz wichtig“, sagt die 26-Jährige im Gespräch mit dem Südwind-Magazin.

Weißer Wintersport. Der Schnee knirscht unter den Ski. Es ist eine Welt in Weiß mit vielen bunten Farbflecken. Skitrikots und Werbungen leuchten in gelb, rot und blau. Sieht man genauer hin, ist das Bild weniger bunt. People of Color (PoC) sind im 21. Jahrhundert im Wintersport immer noch die Ausnahme.

Dabei hat sich die Gesellschaft in Österreich verändert. Das Statistische Jahrbuch 2024 hat festgestellt, dass mehr als ein Viertel der Personen in Österreich eine Zuwanderungsgeschichte hat. Besonders hoch ist der Anteil in Wien, wo rund 40 Prozent der Menschen im Ausland geboren sind. Aber auch in Salzburg und Tirol ist der Anteil bei über 20 Prozent. Sabrina Simader war die erste Sportlerin, die Kenia 2017 im Alpinen Skiweltcup vertrat – und 2018 bei den Olympischen Winterspielen.

„Die Unterstützung von Kenia zu bekommen, war nicht einfach, weil das Verständnis gefehlt hat, was es an Material für Wintersport braucht“, erzählt sie. Im ostafrikanischen Land ist das Klima vorrangig tropisch, schneebedeckt ist nur der Mount Kenya am Äquator. Simader: „Wir haben viel Geduld gebraucht, schon allein um die FIS-Codes zu bekommen, die man braucht, um an internationalen Wettkämpfen teilnehmen zu können. Das war alles sehr neu für Kenia. Es hat zwar mit Philip Boit in den 2000er Jahren einen Skilangläufer gegeben, aber noch keinen Bezug zum Skifahren.“ In Kenia gibt es keinen Wintersportverband. Für die Teilnahme an zwei Olympischen Spielen hat Simader Stipendien vom Olympischen Komitee bekommen, welche Kenia unterzeichnen und bestätigen musste. Direkte finanzielle Hilfe von Kenia bekommt sie keine. Trotzdem ist sie stolz, ihr Heimatland präsentieren zu dürfen.

Die Abenteuerlücke. Der Weg in die Berge ist nicht für alle gleich zugänglich. 2015 hat die New York Times erstmals die Frage gestellt: „Warum sind unsere Nationalparks so weiß?“ Es gibt eine Lücke und sie ist groß. Der afroamerikanische Journalist James Edward Mills hat dem Phänomen einen Namen gegeben: Adventure Gap – und dazu ein gleichnamiges Buch verfasst. Ihm war aufgefallen, dass er bei Bergsportaktivitäten kaum auf andere PoC traf. Laut Mills fehlen einerseits die Vorbilder. Andererseits sind Sportarten wie Klettern, Skifahren und Bergsteigen mit hohen Einstiegskosten verbunden. Frieren am Berg ist ein Privileg. Dazu kommt, dass gesellschaftliche Spielregeln und Gesetze bis heute nachwirken dürften. In den USA waren die Nationalparks bis in die 1950er Jahre den weißen Menschen vorbehalten. 2022 wurde bei einer Erhebung der Nationalparks in den USA festgestellt, dass nur 23 Prozent der Besucher:innen nicht weiß sind. Die Nationalparks in Österreich führen diesbezüglich bislang keine Zahlen.

Dominoeffekt. Der erste große Fan und Unterstützer von Sabrina Simader war ihr Stiefvater. Josef Simader hat ihr am eigenen Skilift nicht nur Skifahren beigebracht, sondern sie zu Rennen begleitet und unzählige Stunden damit verbracht Ski zu schleifen und zu wachsen. Die Nachwuchsförderung im Skisport in Österreich beginnt früh. Mit zehn Jahren sind die Kinder schon im Internat und schulisch und sportlich unter Druck. Nicht alle Kinder halten dem Druck stand: „Ich denke, dass Kinder und Jugendliche, bis sie in die FIS-Rennen einsteigen, viel freifahren sollten. Da hat auch mein Papa viel Wert draufgelegt, mehr auf die Technik und den Spaß zu setzen. Mit ihm Tiefschneefahren gehen, gemeinsam in der freien Natur unterwegs sein, das sind die schönsten Erinnerungen.“

Die Geschichte von Sabrina Simader hat das Potenzial, viele junge Menschen zu erreichen, auch die, die keine Skirennen schauen. Die Athletin hat auf Instagram bereits über 70.000 Follower:innen und ist sich ihrer Verantwortung als Vorbild bewusst: „Als erste afrikanische Skirennläuferin im Weltcup, hoffe ich schon, dass ich da was mitgeben darf und die Reichweite nützen kann, um zu zeigen, was möglich ist. Ich hoffe, es ist ein Dominoeffekt.“

Sabrina Simader

Den Unterschied machen. Bis heute ist der Bergsport sehr weiß und sehr männlich. Das ist auch sichtbar in den Nachwuchskadern der zwei großen Bergsportorganisationen in Österreich. Die Naturfreunde haben 2024 erstmals einen weiblichen Alpinkader auf die Beine gestellt. Bislang waren Frauen in vorherigen Jahrgängen des Naturfreunde Alpinkader, als auch in den Teams der Jungen Alpinisten des Alpenvereins unterrepräsentiert. Menschen anderer Hautfarben, egal welchen Geschlechts, waren bisher nicht dabei. Laut Joanna Kornacki vom Alpenverein und Martin Edlinger von den Naturfreunden gab es bisher noch keine Bewerbungen von Menschen mit nicht weißer Hautfarbe für die Nachwuchsteams. Beide Organisationen bemühen sich um mehr Inklusion. Die Situation dürfte in anderen europäischen Ländern ähnlich sein. Beim Treffen im Herbst 2024 der verschiedenen Kaderteams aus Österreich, Deutschland, Frankreich, Schweiz und Italien waren alle Teilnehmer:innen ausschließlich weiß. Die Abenteuerlücke ist riesig. Aber junge Menschen wie Sabrina Simader zeigen, dass vereiste Vorstellungen durchbrochen werden können und Veränderung schon stattfindet. Mit ihrer Entscheidung für Kenia an den Start zu gehen, hat sie Wintersport-Geschichte geschrieben. „Ich glaube, dass ich anderen Menschen zeigen kann, dass es okay ist, anders zu sein in einem Sport, wo man schnell als Exotin oder Außenseiter beschrieben wird. Ich will zeigen, dass auch die Underdogs ganz vorne mitmischen können.“

Unterstützung bekommt Simader von Fans und Sponsor:innen. In ihrem Fanshop gibt es neben Halstüchern auch den Rennanzug im Leopardenmuster. Shop – sabrinasimader.com

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