Rufmord Antisemitismus

Von Redaktion · · 2002/07

Erich Hackels Monats-Kolumne

Im Literaturbetrieb herrschen dieselben Wolfsgesetze wie in der freien Wirtschaft: Die Zirkulationsagenten treten in Rudeln auf, wer sich ihrem Kurs widersetzt, wird totgebissen oder ausgestoßen. Ob ein Werk gelingt, spielt keine Rolle – Hauptsache, es produziert öffentliche Erregung. Etliche AutorInnen unterwerfen sich dieser Regel – und sind beleidigt, wenn sie dann nicht nur als Stümper, sondern als politische Verbrecher hingestellt werden.
Dieses Schicksal ist Martin Walser mit seinem neuen Buch „Tod eines Kritikers“ widerfahren, das den selbstgerechten Kritiker und Alleinunterhalter Marcel Reich-Ranicki auf dessen menschliches Mittelmaß zurechtstutzen will. Da Reich-Ranicki jüdischer Herkunft ist, wurde Walsers plumpe Satire von der alldeutschen „FAZ“ als antisemitisch denunziert. Das ist sie zwar nicht, aber die aufgeregt-abgeklärten Medienheinis zwischen Rhein und Oder haben den Skandal, den sie suchen. „Wer moralisch etwas gelten will“, schreibt Lothar Baier, „muss fortan Antisemiten jagen“

Dieser Tage ist ein Waidmann auch des Österreichers Karl-Markus Gauß ansichtig geworden. Der klarsichtige Essayist hatte in seinem Journal „Mit mir, ohne mich“ den Intendanten der Wiener Festwochen, Luc Bondy, bei der Entgegennahme des Nestroy-Preises beobachtet und den Eindruck gewonnen, „dass man jetzt, wenn Eitelkeit streichfähig wäre, Brot für ein ganzes Internat bestreichen könnte“. Im März hatte Bondy, als er auf diese Passage stieß, Gauß mit dessen Buch beworfen, im Juni nutzte er die mediale Konjunktur, um sich als Vertreter eines Kollektivs aufzuplustern und die Kritik an seiner Person der Rhetorik des Antisemitismus zuzuordnen. Bondy kann seine Behauptung zwar nicht belegen, aber irgendwas, denkt er, wird schon hängen bleiben.
Der Rufmord an einem Menschen ist schlimm, ebenso schlimm wie der opportunistische Missbrauch eines Begriffs, der dadurch seine Fähigkeit einbüßt, einen Sachverhalt oder eine Haltung zu benennen. Der falsche Vorwurf des Antisemitismus entlastet die wahren Antisemiten. Sie werden es Bondy und der „FAZ“ zu danken wissen.

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