Wenn irgend jemand einen Grund hat, nicht dafür zu sein, ist es der Journalist Jean Baptiste Kayigamba.
Die Entscheidung der Regierung Ruandas, die Todesstrafe abzuschaffen, war für viele überraschend. Nach dem Völkermord von 1994, dem eine Million Tutsi und gemäßigte Hutu zum Opfer fielen, schien das undenkbar. Aber nach einer Abstimmung im Parlament im Juni 2007 unterzeichnete Präsident Paul Kagame ein Dekret, mit dem die Strafe aus dem Strafgesetzbuch entfernt wurde.
Auch 13 Jahre nach dem Massenmord sind die Wunden noch frisch und werden vielleicht nie heilen. Es gibt sehr tiefsitzende Gründe für dieses endlose Trauma, das mein Leben prägen wird, das meiner Kinder und vieler tausender anderer Überlebender. Während des Völkermords wurden mein Vater Gabriel, meine Mutter Domitila, meine Brüder Gérard, Benoit, Alphonse und Amabilis, meine 15-jährige Schwester Espérance und mein Neffe Aimable brutal ermordet – ganz zu schweigen von zahlreichen Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen, Freunden und früheren KollegInnen an der Sekundarschule und der Universität, oder von den Menschen, mit denen ich zusammenarbeitete, als ich Lehrer und später unabhängiger Journalist in Kigali war. Nur meine Nichte Louise überlebte wie durch ein Wunder.
Sie alle wurden Mitte April 1994 Opfer der mörderischen Regierungsarmee, der Polizei, der berüchtigten Hutu-Milizen und des Hutu-Pöbels. Ich hatte nie eine Chance, meine Verwandten ordentlich zu begraben. Einige wurden in Massengräber geworfen, andere notdürftig verscharrt und später von den Behörden exhumiert, bevor wir ihre sterblichen Überreste finden konnten. Sie wurden von Nachbarn getötet, mit denen wir jahrzehntelang ohne Probleme zusammengelebt hatten. Ich kenne diese Mörder, etwa die Person, die mit einem Prügel dreimal auf Gérards Kopf einschlug und ihn umbrachte. Einige wurden für kurze Zeit verhaftet und dann freigelassen; andere lebten ganz normal weiter in meinem Dorf oder flüchteten ins Ausland.
Trotz meiner Verbitterung wünsche ich mir keine Maßnahmen, die als Racheakte interpretiert werden könnten. Die Verbrechen sind zwar unentschuldbar. Aber trotz des Leids und der Traumatisierung würde die Tötung derjenigen, die meine Eltern und Verwandten umbrachten, sie nicht zurückbringen. Die Regierung kann nicht Zigtausende hinrichten. Täte sie das, würde sie dieselbe Barbarei wie frühere Regime begehen, die einem Menschenleben jeden Wert entzogen.
Ruanda hat mit der Abschaffung der Todesstrafe ein wesentliches Hindernis für die Auslieferung mutmaßlicher Völkermörder wie etwa von Leo Mugesera in Kanada beseitigt. Er gehörte zum „Akazu“, der Gruppe der Verwandten und Vertrauten des damaligen Hutu-Präsidenten Juvénal Habyarimana. Mugesera hielt eine Rede vor 1.000 Hutu-Parteimitgliedern, in der er sie aufforderte, Tutsi zu töten und sie dorthin zu schicken, wo sie herkamen (nach Abessinien) – über eine Abkürzung, also sie einfach in den Nyabarongo zu werfen, einen Zufluss des Nil. Hunderte Tutsi wurden in seiner Heimatregion im Nordwesten Ruandas und in anderen Regionen massakriert.
Einige der meistgesuchten „genocidaires“ (für den Völkermord Verantwortliche; Anm.) verstecken sich in westlichen Ländern, darunter Großbritannien und die USA. Der Schritt der Regierung wird diesen Ländern Gewissheit geben, dass die genocidaires im Fall ihrer Auslieferung nach Ruanda nicht getötet werden. Ich bin mir dessen bewusst, dass nicht alle Überlebenden des Völkermords die Entscheidung begrüßt haben. Es braucht Mut, in die Zukunft zu blicken und dieses gewaltige Leid hinter sich zu lassen, das die jüngste Geschichte über uns gebracht hat.
Aber wir RuanderInnen, sowohl Opfer als auch Täter, können dadurch viel gewinnen. Louise Arbour, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, bezeichnete die Entscheidung Ruandas als „energische Bekräftigung der Wichtigkeit, der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen und dabei Gewalt in jeder Form abzulehnen“. Die Abschaffung der Todesstrafe sollte auch dazu beitragen, die nationale Versöhnung abzusichern, und einen Standard vorgeben, dem andere afrikanische Länder nacheifern können.
Jean Baptiste Kayigamba ist Journalist und lebt heute in Großbritannien.
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