„Rote“ gegen „Gelbe“

Von Redaktion · · 2009/02

Schwer nachzuvollziehen ist der innenpolitische Machtkampf in Thailand. Und schwer vorstellbar ist, dass der neuen, von der „Demokratischen Partei“ geführten Regierung ein langes Leben beschieden sein wird. Aus Bangkok Nicola Glass.

Dieses Mal waren es die „Roten“. Am letzten Montag im Dezember hatten sie alle Zufahrtsstraßen zum Parlament blockiert. Dabei wollte Thailands neuer Regierungschef Abhisit Vejjajiva an diesem Tag seine Antrittsrede halten. Genau das wussten die DemonstrantInnen zu verhindern: „Abhisit ist eine Marionette des Militärs“ war auf ihren Transparenten zu lesen. Und: „Gebt uns Thaksin Shinawatra zurück, den besten Premier, den wir je hatten.“ Flugs suchte sich die neue Regierung eine Alternative: Abhisit hielt seine Rede einen Tag später im Außenministerium.
Die jüngsten Proteste sind Ausdruck eines andauernden Machtkampfes, der Thailand seit nunmehr drei Jahren in Atem hält. Es geht um Einfluss, Privilegien und um die Abrechnung mit politischen Rivalen. Es ist ein Konflikt zwischen „den Gelben“ und „den Roten“, wie es hierzulande mittlerweile heißt. Die DemonstrantInnen in Rot bezeichnen sich als „Vereinigte Front für Demokratie gegen die Diktatur“. Sie sind AnhängerInnen von Ex-Ministerpräsident Thaksin, der im September 2006 vom Militär gestürzt worden war. „Die neue Regierung ist nicht von der Mehrheit des Volkes gewählt worden, Abhisit hat kein Mandat, um das Land zu regieren“, sagen sie. Das Parlament müsse aufgelöst und Neuwahlen angesetzt werden.
Die Umstände, unter denen die Koalition unter Führung von Abhisits „Demokratischer Partei“ (DP) zustande kam, waren tatsächlich durchaus fragwürdig: Angehörige der früheren, mittlerweile aufgelösten Regierungspartei „People Power Party“ (PPP) waren kürzlich zu den „Demokraten“ übergelaufen. KritikerInnen monierten zudem, einflussreiche Militärs hätten bei der neuen Regierungsbildung „nachgeholfen“.
Kein Wunder also, dass sich die Anhängerschaft Thaksins betrogen fühlt. Aus ihren Reihen hatte sich überwiegend die Vorgänger-Regierung unter Führung der „People Power Party“ zusammengesetzt. Jene war Anfang Dezember aus dem Amt gehievt worden. Wegen Wahlbetrugs hatte Thailands Verfassungsgericht die PPP und zwei ihrer Koalitionspartner auflösen lassen und außerdem für dutzende Spitzenpolitiker ein fünfjähriges Berufsverbot verhängt. Für die „People Power Party“ war dieses Urteil wie ein „Dejà-vu“, denn die PPP war Nachfolgerin der einstigen Regierungspartei „Thais lieben Thais“, die Thaksin 1998 gegründet hatte und die – acht Monate nach dem Putsch – im Mai 2007 ebenfalls per Gerichtsbeschluss aufgelöst worden war.

Den jüngsten Entscheid des Verfassungsgerichts von Anfang Dezember geißelte der Politikwissenschaftler Giles Ungpakorn als „politischen Urteilsspruch“. Es sei darum gegangen, die Thaksin nahestehenden Politiker zu zermürben. Das Urteil war nur vorläufiger Schlusspunkt der Krise. Voraus gegangen waren monatelange Proteste eines außerparlamentarischen Bündnisses, der sogenannten „Volksallianz für Demokratie“. Diese gilt als Erzrivalin aller Thaksin-Getreuen, unter anderem der PPP-Nachfolgepartei „Puea Thai“ (Für Thais), die jetzt die Oppositionsbank drückt. Markenzeichen der „Volksallianz“ sind gelbe T-Shirts – Gelb ist die Farbe, welche König Bhumibol Adulyadej symbolisiert. Allerdings hat der im ganzen Land hoch verehrte Monarch während des gesamten Konflikts nicht erkennen lassen, auf wessen Seite er steht.

Die Proteste der „Volksallianz“ hatten die Vorgänger-Regierung nahezu lahmgelegt: Unter anderem hatte die „Volksallianz“, deren Wachleute schwarz gekleidet, teils vermummt und bewaffnet waren, den Regierungssitz gestürmt und kurzzeitig beide Bangkoker Flughäfen blockiert. Hinter den „Gelben“ stehen weite Teile der Mittelschicht sowie einer konservativen Elite aus Militärs, Technokraten und Bangkoker Geldadel. Sie favorisieren eine sogenannte „Neue Politik“. Der „Volksallianz“ schwebt nach eigenen Angaben vor, einen Großteil der Parlamentarier durch bestimmte Berufsgruppen und soziale Verbände bestimmen zu lassen. Eine andere Idee lautet, den größten Steuerzahlern auch die meisten Sitze zu garantieren. Faktisch laufen die diversen Vorschläge einer „Neuen Politik“ nur auf eines hinaus: Die Abschaffung des Prinzips „Ein Wähler, eine Stimme“.
Mit eben diesem Prinzip „Ein Wähler, eine Stimme“ war Thaksin Shinawatra Anfang 2001 an die Macht gelangt und 2005 haushoch wiedergewählt worden. Er konnte sich dabei auf die Zustimmung der armen Reisbauern und Tagelöhnerinnen im Norden und Nordosten Thailands stützen. Diese bilden die Mehrheit der thailändischen Wählerschaft. Aber die „Volksallianz für Demokratie“ und ihre Verbündeten sprechen jenen Armen die politische Mündigkeit ab. Nutznießerin des vergangenen turbulenten Jahres ist nun Abhisit Vejjajivas „Demokratische Partei“. Seit langem war es ein offenes Geheimnis, dass etliche „Demokraten“ mit der „Volksallianz“ sympathisieren. Ein DP-Mitglied gehört gar zum Führungszirkel dieser außerparlamentarischen Bewegung.
Einen ersten Test hat Abhisits neue Regierungskoalition offenbar bestanden: Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts vom Dezember war aufgrund des fünfjährigen Berufsverbots für dutzende Spitzenpolitiker eine entsprechende Anzahl von Parlamentssitzen unbesetzt geblieben. Das machte Mitte Jänner Nachwahlen erforderlich. Laut vorläufigen Ergebnissen ergatterten Abhisits „Demokratische Partei“ und ihre Koalitionspartner mindestens 20 von insgesamt 29 Sitzen. Thailands Wählerschaft wollte der neuen Regierung damit eine Chance geben, so Analysten. Die Mehrheit des Volkes habe den politischen Zwist einfach satt. Die Thaksin-nahe „Puea Thai“ hingegen mochte das Argument erwartungsgemäß nicht so einfach hinnehmen: Schließlich sei die Partei erst kürzlich gegründet worden und die KandidatInnen hätten nicht genug Zeit für den Wahlkampf gehabt.

Trotz des jüngsten Wahlsiegs ist zweifelhaft, ob Abhisit Vejjajiva langfristig eine nationale Aussöhnung erreichen kann. Der politische Druck auf die neue Regierung ist enorm – von innen wie von außen. Wesentliche Frage ist, wie lange die teilweise aus Überläufern bestehende Koalition halten wird. Abhisits Politik dürfte von allen Seiten aufs Korn genommen werden. Die „Roten“ werden ihm weiterhin die Legitimation absprechen, das Land zu regieren. Aber auch die vermeintlichen Verbündeten, die „Gelben“, werden langfristig keine Ruhe geben, falls ihnen der neue Premier „ironischerweise nicht gelb genug erscheine“, wie der Politikwissenschaftler Thitinan Pongsudhirak anmerkte. Denn die Führung der „Volksallianz“, die offen einen neuen Militärputsch provozieren wollte, setze im Prinzip weiterhin auf außerparlamentarische Wege aus der Krise.

Die Autorin ist freie Südostasien-Korrespondentin für Hörfunk und Printmedien. Sie lebt in Bangkok.

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