Risiko und Chance

Von Irmgard Kirchner · · 2006/03

Anfang Februar diskutierten in Wien AkteurInnen und internationale Fachleute über die Zukunft der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in der Entwicklungszusammenarbeit.

Schrill war der Weckruf von Jean Bossuyt, dem Eröffnungsredner. Würden die NGOs die neuen internationalen Trends in der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) weiterhin verschlafen, so drohe ihnen Marginalisierung, Bürokratisierung und wachsende Konkurrenz untereinander. Bossuyts Kritik hat Substanz, er ist als Mitarbeiter des European Centre for Development Policy Management in Belgien professioneller Beobachter der europäischen Entwicklungspolitik. Verglichen mit den 1970er Jahren hätten die NGOs im Bereich Entwicklungspolitik in der EU beträchtlich an Terrain verloren. Heute müssten sie sich unter vielen anderen AkteurInnen positionieren, ihren politischen Raum neu definieren und besetzen. Doch Bossuyt betonte neben den Risken auch die Chancen, die sich in Zukunft böten. Der Trend gegen die NGOs sei umkehrbar.

Die Arbeitsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit (AGEZ) und die EU-Plattform, die beiden Dachverbände der entwicklungspolitischen Zivilgesellschaft in Österreich, hatten die von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit finanzierte „Fachtagung zur Rolle der Nichtregierungsorganisationen – Perspektiven 2015“ organisiert. Inspiriert von präsentierten Beispielen entwicklungspolitischer Praxis in anderen europäischen Ländern versuchten die heimischen NGOs, sich politisch-gesellschaftlich und gegenüber den staatlichen AkteurInnen der EZA in Österreich zu positionieren. „Die Trends 2015 erfordern eine Debatte über Rolle, Mehrwert und Finanzierung der NGOs“, resümierte Heinz Hödl von der Koordinierungsstelle der österreichischen Bischofskonferenz (KOO). Die Debatte ist hierzulande besonders aktuell. Schließlich erarbeitet die Austrian Development Agency (ADA), die österreichische Entwicklungsagentur, gerade im Auftrag des Außenministeriums strategische Leitlinien für die zukünftige Kooperation mit den NGOs.

Die geänderten internationalen Rahmenbedingungen für Entwicklungszusammenarbeit skizzierte Botschafterin Irene Freudenschuss-Reichl, die Leiterin der Sektion Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium. Die NGOs sollten sich mit der Pariser Erklärung der OECD-Staaten vom März 2005 auseinandersetzen. Dieses für die Gebergemeinschaft verpflichtende Dokument betont u.a. die Eigenverantwortung der Partner, die Notwendigkeit, die EZA in nationale Strategien der Armutsbekämpfung einzubinden, fordert eine Harmonisierung der Geberpraktiken und Kohärenz der Maßnahmen. Wichtig sei auch der Begriff des „Ergebnisorientierten Managementes“.

International wird direkte Budgethilfe für Länder des Südens zu einem immer häufiger eingesetzten Instrument der Entwicklungszusammenarbeit. Laut einem internen Papier sollen in Österreich bis Ende 2008 zehn Prozent der bilateralen Entwicklungshilfegelder in die Budgethilfe fließen. Die österreichischen NGOs begrüßen Budgethilfe, die staatliche Strukturen stärkt, inhaltlich in vielen Punkten unter gewissen Voraussetzungen – jedoch auf jeden Fall nur in Kombination mit Programm- und Projekthilfe. Schließlich wird Budgethilfe nur an Staaten mit guter Regierungsführung vergeben. „Good Governance“ müsse ständig von der Zivilgesellschaft im Süden kontrolliert werden. Diese aufzubauen, zu stärken und im Norden hörbar zu machen, sei eine wichtige zukünftige Aufgabe der NGOs im Norden. Und würden Staaten mit guter Regierungsführung kippen, könnten NGOs die Zusammenarbeit fortsetzen.

Eine wesentliche Aufgabe der Zukunft sehen die heimischen NGOs in der „Anwaltschaft“, einer Rolle, die der Staat nicht erfüllen kann: „Advocacy“ ist eine Art entwicklungspolitischer Zusammenschau im Sinne des Südens, die Widersprüche zwischen formulierten EZA-Zielen und anderen Politikbereichen, etwa dem Außenhandel, aufgreift.
In Belgien, berichtete Jean Bossuyt, werde diese Anwaltschaft vom Staat gefördert. Die NGOs hätten sich aus der Projektarbeit zurückgezogen. Die österreichischen NGOs wollen die Projektarbeit jedoch auf jeden Fall weiterführen. Schließlich nehmen sie für sich in Anspruch, Projekte billiger und effizienter umsetzen zu können als staatliche oder kommerzielle Akteure. Eine Einschätzung, die auch die Schweizer Entwicklungs-NGOs teilen, wie Michèle Laubscher vom Dachverband Alliance Sud darlegte.
Zum Thema Dialog zwischen NGOs und staatlichen Stellen forderte Elfriede Schachner, die Geschäftsführerin der AGEZ, am Ende der Tagung „echte Partizipation“. Höflichkeit im Umgang oder eine Feigenblatt-Funktion für die NGOs seien entschieden zuwenig.

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