Schlecht durchdachte Maßnahmen zur Verhinderung des Sexhandels schaden SexarbeiterInnen. Eine durchaus übliche Folge ist der Verlust der Bewegungsfreiheit. Etwa stempelte man rumänischen Frauen, die nach Griechenland reisten, „Prostituierte“ in den Pass, was ihnen jede Möglichkeit nahm, legal außer Landes zu reisen. Wird die legale Migration schwieriger, werden Dienstleistungen angeboten, um den Migrationswilligen beim Reisen zu helfen – legal oder illegal. Für MigrantInnen, die auf solche Dienste angewiesen sind, erhöht sich das Missbrauchsrisiko. MigrantInnen – einschließlich SexarbeiterInnen -, die missbraucht werden, haben kaum Zugang zum Recht, wenn bereits ihre Bewegung von einem Ort zum anderen illegal ist.
Razzien in Bordellen gehören heute ebenfalls zu den bei Regierungen beliebten Verfolgungsmaßnahmen. Solche Razzien schaden jedoch oft gerade den SexarbeiterInnen, denen damit eigentlich geholfen werden soll. In Bangladesch etwa verlieren sie dabei in der Regel ihren gesamten Besitz. Da sie kein Bankkonto bekommen, bewahren die meisten Frauen ihre Ersparnisse in Form von Schmuck oder Bargeld auf, Dinge, die im allgemeinen Durcheinander während einer Razzia oft beschlagnahmt oder gestohlen werden. Viele Frauen verschulden sich erneut, um sich aus den Heimen für Nichtsesshafte freizukaufen, in die sie nach ihrer „Rettung“ gesteckt werden.
Doch Maßnahmen gegen Sexhandel wie verstärkte Grenzkontrollen und Razzien in Bordellen schaden nicht nur den SexarbeiterInnen, sie können sie auch daran hindern, selbst zu seiner Bekämpfung beizutragen. SexarbeiterInnen und ihre Kunden sind vielleicht am ehesten in der Lage, den Opfern zu helfen. Gerade Strategien, die von SexarbeiterInnen selbst entwickelt wurden, gehören zu den effektivsten Projekten zur Bekämpfung des Sexhandels überhaupt.
Eines davon, die Arbeit des Durbar Mahila Samanwaya Committee im indischen Kolkata (eher bekannt als „Sonagachi Project“), hat vielen Frauen und Mädchen geholfen, die gegen ihren Willen in der Sexindustrie arbeiten mussten. Das Projekt nahm seinen Anfang, als Mala Singh, ein Mitglied der Organisation, einem jungen Mädchen half, das Rotlichtmilieu zu verlassen und zu ihrer Familie zurückzukehren. Heute werden Neuankömmlinge in Rotlichtgebieten ausführlich befragt, um herauszufinden, wie sie hierher kamen, welche Arbeit sie sich erwartet hatten und ob sie dazu gezwungen wurden.
Dass SexarbeiterInnen selbst die Initiative ergreifen, ist keine Ausnahmeerscheinung, bestätigt Juju Thukral, Direktor des Sex Workers Project des Urban Justice Center in New York: „Viele der Frauen und Mädchen, die gezwungen wurden, in Bordellen zu arbeiten, konnten entkommen, weil die anderen Sexarbeiterinnen oder sogar Männer, die in diesen Bordellen andere Tätigkeiten verrichten, erkannten, dass sich unsere Klientinnen in einer Zwangslage befanden und ihnen halfen, sich daraus zu befreien. Mehr Sexarbeiterinnen die Möglichkeit zu verschaffen, Personen zu identifizieren, die zu ihrer Arbeit gezwungen wurden und ihnen zu helfen, ist die effektivste Methode, den Sexhandel zu bekämpfen.“
Solange alle SexarbeiterInnen ausschließlich entweder als Opfer oder als Kriminelle behandelt werden, müssen solche Ansätze scheitern. Alle SexarbeiterInnen leiden auf die eine oder andere Weise unter dem Sexhandel. Insofern liegt es im Interesse aller Beteiligten, für mehr Bewusstsein zu sorgen und gegen dieses Geschäft vorzugehen. Sie müssten vielmehr bei Entscheidungen über Maßnahmen gegen den Menschenhandel unbedingt einbezogen werden, weil sie davon unweigerlich betroffen sind.
Der Kampf gegen den Sexhandel ist zu oft zum Kampf gegen die Sexarbeit geworden. Da es unter diesem Titel immer wieder zu Übergriffen kommt, haben SexarbeiterInnen sogar Vorbehalte gegen den Begriff „Sexhandel“ an sich. Meiner Ansicht nach besteht die langfristig effektivste Maßnahme zur Verbesserung der Bedingungen der SexarbeiterInnen inklusive ihrer Sicherheit am Arbeitsplatz darin, den Schwerpunkt der Debatte zu verlagern: Man sollte den Sexhandel weniger als Kriminalitätsproblem betrachten, sondern vielmehr von einem menschenrechtlichen Ansatz ausgehen, um die ArbeiterInnenrechte der Personen jeden Geschlechts zu fördern, die Sex gegen Waren oder Geld tauschen.
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