Die mexikanische Journalistin Lydia Cacho gewann in mehrjährigen Recherchen über Frauenhandel und Zwangsprostitution einen tiefen Einblick in die Professionalität und die Macht dieses organisierten Verbrechens.
Das Recherchieren oder gar Aufdecken von mafiösen Strukturen, von Syndikaten organisierter Gewalt ist für JournalistInnen gefährlich. Und je stärker sich diese Strukturen bereits eines Staates bemächtigt haben, um so geschlossener und bedrohlicher wird die Phalanx, der sich die AufdeckungsjournalistInnen gegenübersehen.
Die Mexikanerin Lydia Cacho hat ihre Recherchen in ihrer Heimat beinahe mit dem Leben bezahlt. Sie ermittelte in der Touristenhochburg Cancún in Sachen Zwangsprostitution und Kinderpornographie. Und sie fand heraus, dass führende Persönlichkeiten aus der Fremdenverkehrsbranche, der Wirtschaft und der Politik dieses Geschäft betreiben und decken.
Lydia Cacho wurde inhaftiert, geschlagen, mit Vergewaltigung bedroht, ihr Auto manipuliert, um einen Unfall zu provozieren. Doch sie gab nicht auf, ganz im Gegenteil: Sie gründete ein Zentrum für die Opfer von Geschlechtergewalt, das sie heute noch führt. Schon in diesen Jahren, 2006/2007, begann die mexikanische Journalistin mit einem Buch-Projekt, das als Standardwerk zu einem der schlimmsten Verbrechen der Menschheit in die Geschichte eingehen wird: Zwangsprostitution und Sexhandel weltweit.
Das 21. Jahrhundert erlebt eine regelrechte Explosion krimineller Organisationen, die Frauen und Mädchen kaufen, rauben, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in ihre Gewalt bringen, um sie in den internationalen Sexhandel einzuschleusen. Auf 1,4 Millionen Personen jährlich beziffert die Journalistin die Zahl dieser „Sklavinnen der Macht“, wie die Originalausgabe des eben auf Deutsch erschienenen Buches heißt.
Es erscheint immer wieder unglaublich, wie es der mexikanischen Journalistin gelingt, ohne Verkleidung, ohne gefälschte Identität in die Zentren der organisierten Kriminalität vorzustoßen. Ihr Besuch in Burma zum Beispiel, einer der schlimmsten Diktaturen der Welt, in dem journalistische Aktivitäten durch die allgegenwärtige Armee und ein Heer von Spitzeln so gut wie unmöglich gemacht werden. Doch das Wort „unmöglich“ scheint es im Wortschatz der Mexikanerin nicht zu geben. Mit einem gehörigen Batzen Schmiergeld für die thailändischen und birmanischen Grenzsoldaten und einen lokalen Führer schafft sie es schließlich, jenes Land zu betreten, dessen militärische Gewaltherrscher direkt am Geschäft von Frauenhandel und Zwangsprostitution beteiligt sind.
Der Militärkommandant Myo Win befahl vor einigen Jahren 15 Dörfern im Gebiet der Mon-Minderheit, ihm pro Ort je zwei Frauen zwischen 17 und 25 Jahren und über 160 cm Körpergröße zur Verfügung zu stellen. Nachdem sie in der Kaserne tagelang den Gelüsten der Soldaten zur Verfügung stehen mussten, wurden sie wieder nach Hause geschickt. Nach Angaben der Koalition gegen den Frauenhandel (CATW) wurden von Burma aus 200.000 Frauen und Mädchen als Sexsklavinnen und Bettlerinnen nach Pakistan verkauft. „Burma ist ein Ausrottungslager für Frauen“, ist die Schlussfolgerung von Lydia Cacho nach ihrem Besuch.
Bereits auf der ersten Etappe ihrer Reise durch die Welt des Frauenhandels, in der Türkei, erfährt sie, was ihr auch auf den späteren Stationen immer wieder begegnet: die gute Zusammenarbeit von verschiedenen, auch internationalen Mafiaorganisationen und Verbrechersyndikaten. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Doppelmoral des Staates. In der Türkei etwa ist die Prostitution seit 1930 verboten – und gleichzeitig arbeiten geschätzte 100.000 Frauen und Mädchen illegal und ungehindert im Land. „Für die Chefs von Polizei und Armee ist die Prostitution ein Geschäft, und sie selbst sind die Kunden“, erzählt ein Informant, selbst Polizeibeamter, der mexikanischen Journalistin in Istanbul.
Frauenhandel und Zwangsprostitution sind jedoch nicht nur ein Tummelplatz von Abscheulichkeiten. In ihrem Gefolge haben sich auch zahlreiche Hilfsorganisationen gebildet, die die Opfer dieser kriminellen Aktivitäten betreuen und versuchen, sie wieder in ein „normales“, ziviles Leben zurückzuführen. Internationale Organisationen wie ECPAT, die IOM (Internationale Organisation für Migration) und unzählige lokale Initiativen sind in diesem Bereich tätig.
Etwa Somaly Mam in Kambodscha, einst selbst ein Opfer der Zwangsprostitution, heute ein internationales Symbol für den Kampf um die Befreiung von Frauen und Mädchen aus der Sexsklaverei. Lydia Cacho hat ihr im Buch eine berührende Würdigung gewidmet: „Somaly hat die Haltung einer Prinzessin, die Kraft einer Kriegerin und den Gleichmut einer weisen alten Frau.“ Die Kambodschanerin ist für die mexikanische Journalistin der lebende Beweis, dass man die sexuelle Ausbeutung überleben und seelisch, geistig und körperlich gesund werden kann.
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