Reiche Ernte

Von Rudi Lindorfer · · 2008/12

Lange vor Weihnachten bereitet sich der Buchhändler unseres Vertrauens lesend auf die umsatzstärkste Zeit des Jahres vor. Sein Resumee: 2008 ist ein guter Buchjahrgang.

Weihnachten verbinden wir mit Hoffnung, ob gläubig oder nicht. Viele denken dabei an einen reich gedeckten Gabentisch. Wie viele denken wohl an „… und Friede den Menschen auf Erden“ – für wirklich alle auf der ganzen Welt und in dem Sinne, dass Friede mehr als die Abwesenheit von Krieg ist? Wenn es auch viele nicht glauben: Ich glaube, dass Literatur in all ihren Facetten etwas zum Guten in unserer Welt beiträgt, alleine wenn sie Themen wie Armut, Ungleichheit usw. anspricht. Wir BuchhändlerInnen haben das Glück, von Verlagen schon lange vor dem Fest mit „Leseexemplaren“ eingedeckt zu werden, mit dem Hintergedanken, dass uns die Bücher begeistern und wir diese dann empfehlen. Immer wieder gibt es da qualitativ magere Jahre. 2008 allerdings ist ein fruchtbares, sodass mir die Auswahl schwer fällt (noch dazu, wenn ein Nobelpreisträger dazu kommt). Dieser ist zwar in Österreich noch nicht sehr bekannt, auf jeden Fall aber lesenswert: „Der Afrikaner“ ist J. M. G. Le Clézios unsentimentales und doch berührendes Porträt seines Vaters. Den lernte er 1948, als Achtjähriger, in Nigeria kennen, wo dieser als Tropen(land)arzt arbeitete. „Der Afrikaner“ ist auch ein eindringlicher Text gegen den Kolonialismus und eine poetische Erinnerung an eine Reise, die den Autor für sein Leben prägte.

Mit dem nach dem Nobelpreisträger Wole Soyinka benannten Preis wurde Sefi Atta für ihren Roman „Sag allen, es wird gut!“ ausgezeichnet. Sie schreibt, wie zwei Frauen, cool, modern, intelligent, die auf der Suche nach einem selbstbestimmten Leben in Lagos unterschiedliche Wege gehen, oft scheitern. Nur ihre Freundschaft hat Bestand. Der Roman lässt nicht nur in die jüngere Geschichte Nigerias blicken, er zeigt einen Mut, an dem Zivilgesellschaften – nicht nur in Afrika – wachsen könn(t)en.
Zwei Frauen stehen auch im Mittelpunkt in Julia Álvarez‘ „Die Mission der Isabel Gómez“ (Isabel Gómez, eine spanische Ordensschwester, segelte 1803 nach Südamerika, um dort die Menschen gegen Pocken zu impfen). Eine erfolgreiche Autorin liest über Isabel Gómez. Beeindruckt von deren Willensstärke beschließt sie, sich jetzt, 200 Jahre später, dem Kampf gegen ein anderes verheerendes Virus zu stellen. Dabei stellt sich beim Lesen unterschwellig immer wieder die Frage, welche der beiden Frauen, die historische oder die Romanfigur, in ihrer jeweiligen Zeit die selbst gestellten Aufgaben für sich befriedigend(er) löst.
Und ebenfalls zwei Frauen, Schwestern, stellt Frances de Pontes Peebles in „Die Schneiderin von Pernambuco“ in den Mittelpunkt ihres opulenten Romans, in den man hineinfällt und schlaflos bleiben möchte, bis man ihn ausgelesen hat. Die Schicksale der beiden Schwestern, die eine heiratet reich in die obere Gesellschaftsschicht von Recife ein, die andere wird Anführerin einer Gruppe von Cangaceiros, die gegen die Ausbeutung durch die Landbarone kämpft, spiegeln die Verhältnisse der brasilianischen Gesellschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider. Dazu kommt, dass die Autorin zwar detailreich und lebendig schreibt, aber – wie die AutorInnen der obigen Werke auch – auf die Schilderung plumpen Heldentums verzichtet.

Ein Jugendbuch, das von TIMES-LeserInnen zu den „100 Lieblingsbüchern aller Zeiten“ gewählt wurde, ist Malorie Blackmans „Himmel und Hölle“. In einer Welt, in der die Alphas das Sagen haben, ist ein Zero ein Bürger zweiter Klasse. Und so ist die Liebe zwischen Sephy und Callum etwas Ungeheuerliches. Dazu kommt, dass Sephy die Tochter eines der mächtigsten Männer des Landes ist. In einer Welt, die in Vorurteilen, Hass, Gewalt und Terror versinkt, hat ihre Liebe keine Chance, in ein geglücktes Dasein zu münden. Ein berührender, ein trauriger und trotzdem irgendwie hoffnungsvoller Roman – weil auch er auf den Widerstand gegen Ungerechtigkeit, gegen Armut und für ein Menschsein im Sinne von Weihnachten setzt.

Rudi Lindorfer ist Buchhändler bei Südwind-Buchwelt und lebt in Wien.

Sefi Atta
Sag allen, es wird gut!
Peter Hammer, Wuppertal 2008; 378 Seiten; € 22,70

Julia Álvarez
Die Mission der Isabel Gómez
Piper, München 2008; 506 Seiten; € 12,40

Frances de Pontes Peebles
Die Schneiderin von Pernambuco
Bloomsbury, Berlin 2008;
766 Seiten; € 22,70

Malorie Blackman
Himmel und Hölle
Boje, Köln 2008; 510 Seiten; € 20,50

J. M. G. Le Clézio
Der Afrikaner
Hanser, München 2007; 136 Seiten; € 15,40

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