Vom 9.-16. März wird in Wien die 55. Commission on Narcotic Drugs des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen tagen.
Die internationalen Drogenkontrolleure kommen aus dem Feiern nicht heraus: Diesmal wird es der hundertste Jahrestag des Haager Opiumabkommens von 1912 sein, des ersten internationalen Drogenabkommens. Im letzten Jahr feierte man den fünfzigsten der UN Single Convention on Narcotic Drugs von 1961, des heute gültigen rechtlichen Rahmenabkommens. Doch zum Feiern gibt es – auch nach den eigenen Zahlen der UNO – keinen Anlass: 210 Millionen Menschen konsumieren illegale Substanzen, das ist eine Steigerung um rund 50 Prozent in den letzten zehn Jahren; 200.000 Menschen sterben jedes Jahr daran.
Am häufigsten wird Cannabis konsumiert, das für die internationale Drogenkontrolle praktische keine Rolle mehr spielt, weil Produktion und Konsum zu weit verbreitet sind. Ähnliches gilt für die ATS-Gruppe, die Amphetamin-type-stimulants. Sie sind das große Sorgenkind. Herstellung im behelfsmäßigen Labor und Vertrieb können im Prinzip durch einen Einpersonenbetrieb organisiert werden. Eingriffsmöglichkeiten für Zoll oder Polizei sind minimal. Ständig kommen neue Substanzen auf den Markt, die von den Listen der Single Convention (noch) nicht erfasst werden: So genannte Legal Highs, die im Internet teilweise als Düngemittel oder Badesalz angeboten werden. Der Konsum von ATS-Substanzen ist heute höher als der von Heroin und Kokain zusammen. Bei letzteren, den „klassischen“ Drogen pflanzlichen Ursprungs, hat der angebotsorientierte Ansatz der Kontrolle zu einer Stagnation des Angebots geführt. Doch die Nachhaltigkeit dieser Maßnahmen ist zweifelhaft, die „Nebenkosten“ sind enorm. In Mexiko hat der „Drogenkrieg“ im Jahr 2010 mehr als 15.000 Tote gefordert.
Es herrscht Reformstau: Eine Global Commission on Drug Policy aus lateinamerikanischen Expräsidenten und anderen Honoratioren wie Kofi Annan, Javier Solana oder George Shultz ist im letzten Jahr mit einem Reformkatalog hervorgetreten. Doch der realpolitisch bisher weitreichendste Vorstoß, ein Antrag Boliviens auf Streichung zweier Absätze der Single Convention (49/1c und 2e), die das Kokakauen verbieten, wurde abgewiesen. Weil diese im Widerspruch zu seiner Verfassung stehen, die das Kokablatt als andines Natur- und Kulturerbe schützt, ist Bolivien im letzten Jahr aus der Konvention ausgetreten. Ein historischer Präzedenzfall! Denn längst macht eine wachsende Zahl von Ländern stillschweigend Politik an den Bestimmungen der Konvention vorbei. Ein bolivianischer Antrag auf Wiederbeitritt zur Konvention unter Vorbehalt bezüglich der beiden Unterparagraphen sorgt dementsprechend für Debatten hinter den Kulissen der Wiener UNO-City. Doch nach außen feiert man sich weiter lieber selbst.
www.globalcommissionondrugs.org
Robert Lessmann ist promovierter Soziologe und Politologe, Lateinamerika- und Drogenexperte.
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