Der Ort ist von seiner Symbolik perfekt für eine Zeremonie der Versöhnung. Ein Kind hat auf dem Platz neben der Markthalle eine Plane in der Sonne ausgebreitet und legt Kakaobohnen darauf aus. Auf der anderen Straßenseite ragt das Minarett einer Moschee über die Szenerie. Kakao wächst im klimatisch feuchteren Süden von Elfenbeinküste. Der Ort Adzopé liegt rund hundert Kilometer von Abidjan und der Atlantikküste entfernt am Rand des Kakaogürtels. Dagegen gehören Moscheen eher im Norden als im Süden des Landes zum Straßenbild.
An diesem Ort, der die beiden Identitäten vereint, wollen der Minister für Bergbau und Energie von der Regierungspartei Front Populaire Ivoirien (FPI) und sein Kollege für Tourismus und Handwerk von der Ex-Rebellenbewegung Forces Nouvelles (FN) ihre neue Einigkeit zelebrieren. Seit Ende März dieses Jahres führt Guillaume Soro, Chef der FN, als Premierminister an der Seite von Präsident Laurent Gbagbo, Parteichef der FPI, die Regierungsgeschäfte. Soros Aufstieg zum Premier gehört zu den größten Überraschungen des neuen Abkommens zwischen den beiden Konfliktparteien, das am 4. März in Ouagadougou, Hauptstadt des benachbarten Burkina Faso, unterzeichnet wurde. Dort haben sich die beiden Kontrahenten Anfang März dieses Jahres auf einen neuen Versuch geeinigt, die Krise und Spaltung von Elfenbeinküste nach fast fünf Jahren zu beenden.
Nach einer Reihe erfolgloser Friedensabkommen und internationaler Vermittlungen liegt die Besonderheit des Abkommens von Ouagadougou in den direkten Gesprächen zwischen den beiden Lagern. Der Süden wird von Präsident Laurent Gbagbo und seinen Getreuen regiert, während die „Neuen Kräfte“, wie sich die Rebellen nennen, seit 2002 den Norden kontrollieren. Ihre Rebellion gründete sich vor allem auf den sich zuspitzenden Konflikt zwischen „IvorerInnen“ und „Zugewanderten“, wie er von ivorischen PolitikerInnen in den Jahren zuvor bewusst geschürt worden war.
Der erste und 33 Jahre lang einzige Präsident des Landes, Félix Houphouët-Boigny, hatte für die Produktion des Devisenbringers Nr. 1, Kakao, massiv ArbeiterInnen aus den beiden nördlichen Nachbarländern Mali und Burkina Faso angeworben. Wie auch anderswo in der Welt fanden die GastarbeiterInnen ein neues Zuhause, gründeten Familien und entfremdeten sich mehr und mehr von ihrem Herkunftsland. Das einzige, was viele noch mit Mali und vor allem Burkina Faso verband, war die Staatsangehörigkeit. Teilweise bestanden sie nicht auf Einbürgerung, für die meisten waren aber die behördlichen Hürden zu hoch. Solange der wirtschaftliche Erfolg des Landes währte, das nach Südafrika und Nigeria die drittgrößte Volkswirtschaft in Afrika südlich der Sahara hatte, herrschte friedliche Koexistenz. Mit dem Verfall der Kakaopreise und der Verdrängung einheimischer KleinbäuerInnen aus dem Sektor, die neben dem Preisverfall auch an der Ausbeutung durch Mittelsmänner und die Bürokratie litten, wuchs die Unzufriedenheit. Die Zugewanderten dagegen, die in der Plantagenwirtschaft Fuß fassten, forderten immer stärker volle BürgerInnenrechte ein. Sie fühlten sich mehr und mehr von Behörden und Polizei schikaniert. Nach dem Tod von Houphouët-Boigny 1993 begann sein Nachfolger Henri Konan Bédié die Propaganda mit der „Ivoirité“, einer Art „Abstammungsnachweis“ für IvorerInnen. Auf einmal zählte es offiziell für die politische Karriere, dass man über einen ivorischen Stammbaum verfügte. Schnell wurde klar, dass damit bestimmte, populäre Politiker aus dem Norden ausgeschlossen werden sollten.
Eine Pufferzone mit französischen Friedenssoldaten und Blauhelmen trennte bis vor kurzem die Kriegsgegner im Süden und im Norden. Vor ein paar Wochen wurde nun damit begonnen, einige dieser Wachposten ausländischer Truppen aufzulösen. Ermöglicht hat dies das Ouagadougou-Abkommen. Zwar waren die Ex-Rebellen wie auch die politische Opposition schon zuvor an der Regierung beteiligt. Doch war es den Vorgängern des neuen Premiers trotz unterstützenden Mandats der Vereinten Nationen nicht gelungen, die Krise des Landes zu lösen. Auch jetzt sind die wichtigsten Streitpunkte weiterhin ungeklärt: Entwaffnung zuerst der Pro-Gbagbo-Milizen und dann der Rebellen; Rückkehr des Nordens in die staatliche Verwaltung; Feststellung der ivorischen Staatsangehörigkeit für Millionen aus den nördlichen Nachbarländern Zugewanderte und ihre Nachkommen.
Für kurze Zeit schien Optimismus gerechtfertigt. Die neue Regierung unter Guillaume Soro wurde zügig gebildet und die Pufferzone an einigen Stellen durch gemeinsame Patrouillen ersetzt. Endlich tat sich etwas, das Abkommen schien kein bloßes Papier zu bleiben wie so oft zuvor. Vier Monate nach der Unterzeichnung kehrt allerdings langsam wieder Ernüchterung ein. Der geplante gemeinsame Militärstab der beiden Lager funktioniert nicht, weil es Streitereien über die Anerkennung der Dienstgrade gibt. Das verzögert den Prozess der Entwaffnung, der unter Aufsicht des integrierten Kommandos bereits vor Wochen beginnen hätte sollen. Milizionäre weigern sich, die Waffen abzulegen, weil sie meinen, dafür eine größere finanzielle Gegenleistung erhalten zu müssen. Das wiederum verschiebt die Anhörungen aller, die auf die lang ersehnten Dokumente für die ivorische Staatsbürgerschaft drängen. Ein erster Anlauf für diese Identifikations-Prozedur, der vor einem Jahr gestartet worden war, musste nach teils gewalttätigem Widerstand von Gbagbo-getreuen Jugendmilizen abgebrochen werden. Es geht nicht bloß um die offizielle Einbürgerung von Millionen von Menschen, die teils seit vielen Jahrzehnten in Elfenbeinküste leben oder dort geboren sind, sondern um zukünftige Wählerverhältnisse. Das Gbagbo-Lager fürchtet nicht zu Unrecht, dass die neuen WählerInnen dem politischen Lager ihrer „Befreier“ zulaufen. Immerhin hat das Ouagadougou-Abkommen aber eine technische Lösung für diese Anhörungen gefunden. 60 mobile Teams sollen dafür durch das westafrikanische Land touren. Die wichtigste Gruppe der Jugendmilizen hat bereits bekannt gegeben, dass sie dieses Mal den Identifikationsvorgang nicht behindern wird.
Es ist dieser Geist des Ouagadougou-Abkommens, der unzweifelhaft eine neue Dynamik im Friedensprozess eingeleitet hat. Das allgegenwärtige Gefühl von „weder Krieg noch Frieden“ lähmte jeglichen wirtschaftlichen und politischen Fortschritt. Jetzt bewegen sich die unterschiedlichen politischen Lager innerhalb der Fraktionen aus ihren Gräben heraus. Im Norden stellt sich die Frage, wer der führende Politiker für die Zukunft und die anstehenden Präsidentschaftswahlen sein wird. Der Chef der Ex-Rebellen und jetzige Premierminister Guillaume Soro arbeitet zur Zeit konstruktiver mit seinem jahrelangen Gegenpart, Präsident Laurent Gbagbo, zusammen als mit dem langjährigen politischen Führer des Nordens, Alassane Ouattara. Soro und Gbagbo waren sich bereits an der Universität in Abidjan nahe, als der junge Rebellenführer – Soro ist erst Anfang 30 – seine politische Laufbahn in der studentischen Organisation begann. Damals war Gbagbo Professor und gehörte zur politischen Opposition. In den 1990er Jahren studierte Soro in Frankreich und organisierte dort die oppositionelle ivorische Diaspora – immer noch im selben politischen Lager wie Gbagbo, der als links-sozialistisch galt.
Im Süden sind sich die Gbagbo-MobilisiererInnen längst nicht mehr einig und booten einander gegenseitig aus, um sich für die politische Zeit nach der Krise zu positionieren. Eine der vielen Pro-Gbagbo-Splittergruppen unter der Führung von Eugène Djué droht gar, eine eigene Rebellion loszutreten. Aber auch Hardliner bei den Rebellen sehen die Annäherung ihres politischen Flügels an den beschworenen Feind, Präsident Gabgbo, mit Skepsis.
In diesem Umbruch der vergangenen Monate werden neue Allianzen geschmiedet. Die Chefs der Jugendabteilungen der beiden Lager besuchen sich gegenseitig. FN-Minister treten zusammen mit Amtskollegen der Gbagbo-Partei auf, um Geschlossenheit zu demonstrieren. Dass diese Karawane des Friedens aber kein Selbstläufer ist, zeigt sich an diesem Tag Ende Mai in Adzopé. Die Zelte stehen zwar bereit. Aber nur ein paar dutzend Gäste haben auf den rund 300 Plastikstühlen Platz genommen. Obwohl Samstag ist und kein richtiger Markttag ansteht, herrscht in der Markthalle mehr Treiben als auf dem Platz daneben. Kurzerhand blasen die beiden Minister die Versöhnungszeremonie wegen zu geringer Beteilung ab. In zwei Wochen wollen sie es nochmals probieren.