Raus aus der Umklammerung

Von Robert Poth · · 2005/02

Das ultimative Umschuldungsangebot Argentiniens ist zwar kein Rezept für die Zukunft, könnte aber einer autonomeren Wirtschaftspolitik den Weg bereiten.

Mitte Jänner gab die Regierung Argentiniens den offiziellen Startschuss für den weltweiten Umtausch jener Staatsanleihen, deren Bedienung sie Anfang 2002 in Folge des wirtschaftlichen Kollaps des Landes einstellen musste. Mit mehr als 100 Mrd. US-Dollar (inklusive Zinsen) handelt es sich um die größte Umschuldung öffentlicher Schuldtitel aller Zeiten. Auch der geforderte „Haircut“ ist so hoch wie nie zuvor: Entweder ein Umtausch gegen neue Anleihen mit bis zu 66 Prozent geringerem Nennwert, niedrigeren Zinsen und bis 2045 erstreckten Laufzeiten zzgl. wachstumsabhängige Zahlungen – oder nichts, so die ultimative Position von Buenos Aires. 50 Prozent auf den Nennwert (Bulgarien 1995) war bisher das Maximum. Auch die Zahl der GläubigerInnen ist ein Rekord: Neben US-Investmentfonds sowie argentinischen Pensionsfonds, Banken, Versicherungen und Privatpersonen (letztere halten zusammen 38,5 Prozent der Schuldtitel) sind auch hunderttausende KleinanlegerInnen in Europa und Japan betroffen.
Insofern hat die Umschuldung einen Platz in der Geschichte, nicht aber als Musterbeispiel für das Management einer Staateninsolvenz. Erstens droht ein jahrelanger rechtlicher Schwebezustand: Das Global Committee of Argentina Bondholders (GCAB), das eigenen Angaben zufolge rund 39 Mrd. Dollar oder drei Viertel aller außerhalb Argentiniens gehaltenen Schuldtitel vertritt, fordert eine wesentliche Angebotsverbesserung. Notfalls, so wird überlegt, könnten Zahlungen auf die neuen Anleihen in den USA gerichtlich blockiert werden – ein Teil jenes Pokerns um die Gunst der AnlegerInnen, das bis zum Ende der Umtauschfrist am 25. Februar andauern dürfte: Je höher ihre Beteiligung, desto besser die Position der Regierung in Buenos Aires – und umgekehrt.

Mit 50 Prozent hat sich die Regierung die Latte sehr niedrig gelegt: Bei früheren Umschuldungen lag die Beteiligung stets über 90 Prozent (92 Prozent etwa 2003 im Falle Uruguays). Immerhin hatten, wie erwartet, die betroffenen argentinischen Pensionsfonds, Banken und Versicherungen ihre Anleihen umgehend vorgelegt. Als wahrscheinlich gilt eine Quote von 70 Prozent; der Internationale Währungsfonds (IWF) würde laut inoffiziellen Quellen erst bei 80 Prozent von einem „Erfolg“ sprechen (sein Übereinkommen mit Argentinien wurde wegen der Umschuldung suspendiert). Widerstand existiert vor allem in Italien und Deutschland, wo Betroffene mit Klagen gegen Banken (mangelnder Hinweis auf Risiko der Anleihen) bzw. die deutsche Regierung drohen (wegen ihrer Unterstützung der IWF-Politik).
Womit wir beim zweiten Makel wären. Im Unterschied zu den von hohen Renditen verleiteten, aber unschuldigen KleinanlegerInnen braucht der IWF auf keinen einzigen Dollar zu verzichten, den ihm die Regierung schuldet – trotz seiner Mitverantwortung für den Kollaps Argentiniens, die 2004 in einer internen Evaluierung des IWF bestätigt wurde. „Es sollte anerkannt werden, dass diese Institution den Mut hat, ihre eigenen Fehler ans Licht zu bringen und zu analysieren“, kommentierte der aktuelle argentinische Wirtschaftsminister Roberto Lavagna. Irrtümer einzugestehen wäre allerdings nur der erste Schritt: „Der zweite Schritt ist es, Verantwortung für Misserfolge zu übernehmen, nämlich die Last der Beseitigung ihrer Folgen mitzutragen.“

Das wäre gerecht. Stattdessen hat die argentinische Bevölkerung nicht nur die Fehler früherer Regierungen, sondern auch die des IWF auszubaden. Und selbst nach der Umschuldung – und das ist ihr dritter Mangel – wird die öffentliche Verschuldung Argentiniens mit 80 bis 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erdrückend sein. Für vergleichbare Länder wären eigentlich nur 25 Prozent tragbar, schloss – ja, tatsächlich – der IWF in seinem World Economic Outlook 2003.
Um diese Schulden zu bedienen, will die Regierung jährlich Primärüberschüsse im Budget von 3% des BIP erzielen – für den IWF eine Untergrenze. Ob so die verbreitete Armut (mehr als 40% der Bevölkerung) und Arbeitslosigkeit bekämpft werden kann? Denn das starke Wirtschaftswachstum – 2004 wurde bereits wieder der Stand von 1998 erreicht – geht mit höherer Arbeitsproduktivität (minus 15% Beschäftigte in der Industrie!), geringeren Reallöhnen und steigenden Unternehmensgewinnen einher. Selbst wenn sich die Wachstumsprognosen der Regierung bewahrheiten, würde die Arbeitslosigkeit bis 2014 nicht unter 13,5% fallen, schätzt das Instituto de Estudios y Formación (IDEF) der argentinischen Gewerkschaft CTA: Allenfalls eine radikale Änderung der Steuer- und Wirtschaftspolitik zur Stärkung der Massenkaufkraft könnte Abhilfe bringen. Mit einem IWF im Genick scheint das unrealistisch. Eine erfolgreiche Umschuldung wäre aber auch eine Chance, mehr Autonomie zu gewinnen. Das wäre dann ihr wichtigster Effekt.

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