Der neue Trend: Frauen treffen sich zum Stricken – selbst zum Internationalen Frauentag. Ist das jetzt die Rückkehr ins Biedermeier oder der neue Feminismus?
Vor Kurzem stand im „Einserkastl“ der Tageszeitung Standard sinngemäß: Die Welt geht unter, die Weltwirtschaftskrise hat den Globus fest in der Hand, und was tun die Frauen? Sie rotten sich zusammen, um zu stricken. Die Autorin empörte sich: Das sei wahrlich die Rückkehr ins Biedermeier. Denn Stricken ist Trend. Auf dem Wiener Yppenplatz hängt in einem der angesagten Cafés ein Schild: „Jeden Mittwoch Gruppenstricken“ steht darauf. Seit Kurzem gehöre ich selbst einer Strickgruppe an. Wir essen, wir tratschen, wir stricken, daneben wird ein Baby gestillt. Unsere Gruppe besteht ausschließlich aus Frauen. Die banale Frage, die ich mir stelle: Darf ich als Feministin stricken? Oder besser: Tut das dem Feminismus gut, wenn ich stricke? Ich bin verwirrt. Wieso löst eine doch eher harmlose Tätigkeit wie Stricken so viele Fragen und Emotionen in mir aus?
Noch verwirrter bin ich, als ich auf den Blog knitherstory stoße: Am 19. März 1911 fand in Wien eine Demonstration für Frauenrechte statt, bei der an die 20.000 Menschen, vor allem Frauen, teilnahmen. Ein Aufbegehren, das mithalf, den Internationalen Frauentag am 8. März zu etablieren. Um dieses 100-jährige Jubiläum zu begehen, ist eine Aktion geplant: Die Wiener Ringstraße soll „eingestrickt“ werden. „Guerilla-Knitting“ nennt sich die Aktion, bei der Frauen für gewisse Orte an der Ringstraße, wie Brückengeländer, Straßenlaternen, Bänke, etc. etwas stricken und es dort einen Monat als sichtbares Zeichen für Frauenrechte hängen lassen.
Was nun? Ist jetzt Stricken Biedermeier oder feministische Aktion?
Tatsache ist wohl: Stricken ist zuallererst einmal Stricken. Sonst nix. Weitere Tatsache scheint zu sein: Diese simple Tätigkeit ist extrem symbolisch aufgeladen. Es ist eine klassische Frauenarbeit. Tätigkeiten, die lange Zeit vor allem von Frauen ausgeführt wurden, wie Pflegen, Handarbeiten, Hausarbeiten, Kochen haben einen niedrigen Stellenwert. Nicht umsonst ist einer der klassischen Frauenberufe, das Nähen, einer der schlecht bezahltesten Berufe in Österreich. Hausarbeiten wie Putzen wälzen wir auf mit Minimalbezahlung ausgebeutete Migrantinnen ab.
Was bringt es also, (wieder) Freude am Stricken mit anderen Frauen zu finden und die Ringstraße einzustricken? Es ist eine Aufwertung dieser Tätigkeit. Frauen werten die damals typischen Frauenarbeiten wieder auf. Aber was heißt da „damals“? Stricken liegt offensichtlich nur bei Frauen im Trend. Schade. Jetzt wartet frau nur noch darauf, dass auch Männer stricken. Denn eigentlich wäre es ja schön, wenn es um ein Aufbrechen der Rollenverteilung gehen würde. Doch ich bin der Meinung: Besser Frauen werten die damals (oder noch immer) typischen Frauentätigkeiten selber wieder auf, anstatt darauf zu warten, dass Männer das tun. Denn dann vergehen wohl noch weitere 100 Jahre.
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