Hanser Verlag, München 2004,
895 Seiten, EUR 25,60
Ein Flug in andere Welten. In Welten, wo Sippen Straßen und Gefühle kontrollieren, wo Putsche so alltäglich wie die brütende Mittagshitze sind und Kaffee mit Kardamon gewürzt wird.
In den 1970er Jahren verließ Rafik Schami seine Heimat Syrien, in welche ihm heute die Einreise auf Grund seiner Bücher und Standpunkte verboten ist. Über fast 900 Seiten hinweg zeichnet er nun ein Bild seiner trotz allem geliebten Heimat. Eine Komposition aus den gelben Tönen der Wüste, roten Spritzern der blutigen Vergangenheit, dem Grün der fruchtbaren Höhen und schwarzen Striemen der politischen Wirren und Religionen, die ein Volk nie zur Ruhe kommen ließen.
Der Autor nimmt uns mit auf einen wilden Ritt durch das Damaskus seiner Kindheitstage. Nicht in eine Stadt, sondern in „ein Märchen, das sich mit Häusern und Gassen, Geschichten, Gerüchen und Gerüchten kleidet“.
Mit einer bezaubernd einfachen Sprache erweckt er die Gerüche der Vergangenheit zum Leben und gibt uns einen Einblick in die arabische Gerüchtewelt: eine Verkettung von Eifersucht, Stolz, Neid, Spitzfindigkeit und Lust. Verfeinert durch die Intensität eines Lebens, in dem es süße Fenchelsamen regnet und Lebensweisheiten schon bei Kindern zum täglichen Gesprächstoff zählen.
Gekonnt zelebriert er den Alltag als Märchen, in welchem Farids erster Besteigung eines Tretrollers die gleiche Wichtigkeit zukommt wie einem weiteren Putsch des Militärs. Dieses Gemälde bildet den Hintergrund einer blutigen Fehde zweier Clans. Drei Generationen lang regieren Mord, Hass und Ehre, ein buntes Bild einzelner Menschen, die so eigen und facettenreich sind wie die verwinkelten Gassen von Damaskus.
Je länger man sich vom Charme der Worte Schamis liebkosen lässt, desto mehr versteht man seinen Ausspruch: „Die schönste aller Farben ist die geheime Farbe der Worte.“