Nach zehn Jahren Krieg und 13.000 Toten herrscht in Nepal wieder Frieden. Die Beteiligung der maoistischen Rebellen an der Macht löst bei den Menschen gemischte Gefühle aus. Jetzt schon sind sie die entscheidende politische Kraft im Lande.
Kathmandu. Phadmavati Shukla, traut dem Frieden nicht. Ihr Heimatdorf hat sie verlassen. Die Maoisten, schimpft sie, hätten ihre Kinder für die „Volksbefreiungsarmee“ rekrutieren wollen. Außerdem hätte sie ein Viertel ihrer Getreideernte abgeben sollen. Dass nun seit neun Monaten Waffenstillstand herrscht, beruhigt sie wenig. Schließlich kontrollierten die Maos noch immer das gesamte öffentliche Leben der Zone.
Seit die RebellInnen, die sich offiziell „Kommunistische Partei Nepals (Maoisten)“ nennen, im Jahr 1996 aus dem parlamentarischen Leben ausschieden und ihren „Volkskrieg“ begannen, wurden mehr als 13.000 Menschen getötet. Der Krieg wurde von beiden Seiten mit großer Brutalität geführt. Menschenrechtsverletzungen waren an der Tagesordnung. Die Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen (UNHCR) rechnet mit 100.000 Binnenvertriebenen, doch deren genaue Zahl kenne im infrastrukturschwachen Himalaya-Land niemand. UNHCR-Sprecher Roland Schönbauer ist sich darüber im Klaren, dass die Bedingungen für eine Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatdörfer – „in Sicherheit und Würde“, wie er betont – vielerorts noch nicht gegeben sind.
„Der Friedensprozess kommt voran“, sagt Tirtha Koirala, Nachrichtenchef von Kantipur-Television, einem der wichtigsten Fernsehkanäle Nepals: „Aber sehr langsam.“ Am 15. Jänner, sechs Wochen später als ursprünglich vorgesehen, trat eine Interimsverfassung in Kraft. Gleichzeitig übernahm eine Übergangsregierung unter Einschluss der Maos das Amt. Sie soll die für Juni vorgesehenen Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung vorbereiten. Bei der Vorbereitung helfen die Vereinten Nationen ebenso wie bei der Entwaffnung und Registrierung der Rebellen. Doch Anfang Jänner waren erst 13 der 35 vorgesehenen UN-Beobachter im Land und erst sechs Depots eingerichtet.
„Wenn die Volksbefreiungsarmee 35.000 Mann hat, wie die Maos sagen, wie kommt es dann, dass der Leiter des UN-Teams, General Jan Erik Wilhelmsen, an jedem der vorgesehenen Posten kaum 200 von ihnen zu sehen bekam?“, fragte die „Times of Nepal“ enttäuscht am Beginn der Entwaffnungsprozedur Ende November. Ein Grund sind logistische Probleme, das Hauptproblem aber heißt: Vertrauen. Die Maos sind als klare Sieger aus der Konfrontation hervorgegangen und nunmehr die beherrschende Kraft im politischen Leben. Die seit der Entmachtung des Königs regierende Sieben-Parteien-Allianz ist uneins und mit dem Stigma von Korruption und Unfähigkeit der Vergangenheit belastet. Doch den Maos ist es bisher nur zum Teil gelungen, ihre militärische Stärke in einen politischen Sieg umzumünzen. Sie wissen, dass sie ihre Macht den Waffen verdanken.
Umgekehrt zweifelt die Regierung, dass die Maos wirklich zu allen acht Punkten der Vereinbarung vom 16. Juni vergangenen Jahres stehen, die den Friedensprozess einläutete: Die Unterzeichner verpflichteten sich unter anderem zu demokratischen Werten und Normen, Bürger- und Menschenrechten, der Pressefreiheit und zu einem Mehrparteiensystem. Das Friedensabkommen vom 21. November, mit dem der Krieg offiziell beendet wurde, sah dann auch die Schließung der „Volksgerichte“, das Ende der Entführungen politischer Gegner und der Erhebung von Zwangsabgaben sowie der Zwangsrekrutierungen für die „Volksbefreiungsarmee“ vor; des Weiteren die Kasernierung der Rebellen unter Kontrolle der UN sowie UN-Aufsicht über die Waffen sowohl der Aufständischen als auch der Armee. Die Zeit seither war kurz. So ist es kein Wunder, dass noch längst nicht alle Aufgaben erledigt sind. Auf dem Lande haben die Feuergefechte aufgehört, doch es gibt immer noch Fälle, wo die Zivilbevölkerung von den Konfliktparteien terrorisiert wird. In Kathmandu haben tägliche Demonstrationen Einzug gehalten. Die Maos lassen politisch die Muskeln spielen und versuchen, sich als Parallelregierung in Szene zu setzen: durch Reinigungskolonnen zur großflächigen Abfallbeseitigung, aber auch durch illegale Straßenkontrollen, Zwangsabgaben und Paralleljustiz gegen vermeintliche Kriminelle. Ob das durch ihren Eintritt in die Regierung besser wird? Es besteht zumindest die Hoffnung. Die meisten BeobachterInnen glauben an den Friedenswillen der Führung. Doch die Herausforderung besteht darin, aus den militärischen Kadern eine politische Partei zu machen, die sich nach zivilen Regeln benimmt.
Immerhin: Der Friede hält. Die Waffen schweigen. Der verhasste König ist entmachtet und die Weichen in Richtung Demokratie sind gestellt. Und: Die Gesellschaft ist offener geworden. Nicht nur, weil heute die Chefs der Maos als allzeit bereite und auch kritisierbare Interviewpartner zur Verfügung stehen. „Wir können heute auch Themen wie Frauenrechte, Autonomieforderungen ethnischer Gruppen oder die Aufhebung der Kastenschranken diskutieren“, sagt Sangeeta Lama, die es als Angehörige einer diskriminierten Volksgruppe zur Top-Journalistin geschafft hat: „Wir können die Regierung und sogar den König kritisieren“, fügt sie hinzu, „was vor einem Jahr noch ganz undenkbar war.“
Der Autor ist promovierter Politologe. Er arbeitet als Konsulent und Journalist vor allem zu Lateinamerika und Nepal.