Putschversuch in Kinshasa

Von Simone Schlindwein · · 2024/Jul-Aug
mehrere Menschen auf einem Protest in der demokratischen Republik Kongo
© Arlette Bashizi / REUTERS / picturedesk.com

Die Kämpfe im Osten der Demokratischen Republik Kongo haben fast sieben Millionen Menschen vertrieben. Ende Mai kam es zu einem Putschversuch in der Hauptstadt.

Jede Nacht, wenn der Lärm der Großstadt verstummt, ist es zu hören: Das Dröhnen der Kampfjets, die am Himmel kreisen, das Wummern der Geschütze, die von Panzern abgefeuert werden. Die Bevölkerung verharrt in einem Zustand des kollektiven Traumas – im Überlebensmodus, jeden einzelnen Tag.

Seit fast zwei Jahren hält der Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo schon an. Fast sieben Millionen Menschen hat er bereits zur Flucht gezwungen. Hunderttausende suchen am Rand der Provinzhauptstadt Goma Schutz vor den Kämpfen, die ihre Äcker und Häuser in den Bergen nördlich der Millionenmetropole zerstört haben.

Aus Ästen und löchrigen Zeltplanen haben sie sich Behausungen errichtet. Ihre Situation ist katastrophal: Sie leiden an Mangelernährung und Krankheiten, berichten Hilfswerke. Kinder gehen nicht zur Schule und ab und zu schlagen Geschosse in den Lagern ein. Anfang Mai wurden dadurch 14 Menschen getötet, 34 schwer verletzt.

Marode Armee. Eigentlich ist die Stadt Goma am Ufer des Kivusees ein Handelszentrum. Kartoffeln, Kaffee, und Käse werden üblicherweise von hier exportiert. Mineralien und Seltene Erden finden von Goma aus ihren Weg auf den Weltmarkt.

Derzeit steht jedoch alles still. Die Tutsi-Kämpfer der M23 (kurz für Bewegung des 23. März) haben entlang der Grenze zu Ruanda und Uganda seit 2022 einen Landstrich erobert, den sie wie einen eigenen Staat verwalten. Unterstützt werden sie dabei von Ruanda, das Soldaten und Militärausrüstung liefert. Um Kongos Regierung in der weit entfernten Hauptstadt Kinshasa unter Druck zu setzen, haben die M23-Rebellen Goma eingekesselt. An manchen Tagen erreicht kein Lastwagen die Großstadt. Die Lebensmittelpreise haben sich mittlerweile vervierfacht, die Kriminalität nahm exorbitant zu.

Schuld daran ist auch die Regierung, die sämtliche lokale Milizen angeheuert hat, um Kongos maroder Armee zu helfen. Sie nennen sich „Wazalendo“, was auf Suaheli Patrioten bedeutet. Zu Tausenden sitzen diese Milizionäre nun in alten Armeeuniformen, mit Sturmgewehren in den Stellungen rund um Goma. Doch sie werden von der Regierung nicht bezahlt – und so schleichen sie nachts durch die Vertriebenenlager, um den hungrigen Menschen ihre letzten Vorräte abzuknöpfen.

Mittlerweile sind zudem Truppen aus befreundeten Ländern eingetroffen. Im Rahmen eines Militärmandates der SADC (Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft), deren Mitglied Kongo ist, wurden Soldaten aus Malawi, Tansania und Südafrika in den Dschungel geschickt. Auch private Sicherheitsfirmen aus Rumänien und Bulgarien wurden von der Regierung angeheuert. Deren Söldner sollen die Soldaten im Gebrauch neuer Waffensysteme trainieren. Aufklärungs- und Kampfdrohnen wurden eingekauft, Panzer und Kampfflugzeuge angeschafft. Das Verteidigungsbudget wird wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Klar ist nur eins: Jeder Dollar, der im Krieg verfeuert wird, fehlt dann in den Bereichen Bildung, Gesundheit oder Straßenbau und bringt das Land und die Menschen somit keinen Schritt vorwärts.

Prahlende Geschäftsmänner. Mittlerweile spitzen sich auch in der Hauptstadt die Machtkämpfe zu. Am Pfingstsonntag, den 19. Mai, stürmten rund 20 bewaffnete Männer den Palast der Nation. Er ist der offizielle Wohn- und Amtssitz von Präsident Félix Tshisekedi und eines der bestbewachten Gebäude des Landes. Videos, die die Angreifer per Livestream ins Internet stellten, zeigen, wie sie vor dem Haupteingang herumstolzieren. Ihr Anführer, Christian Malanga, hat lässig eine Kalaschnikow über die Schulter gehängt.

Dann treffen weitere Einheiten der Armee ein und beenden das Spektakel. Auf einem weiteren Video sieht man später Malanga tot im Gras liegen, anscheinend von einer Kugel in die Brust getroffen. Vier seiner Kameraden wurden bei den Gefechten getötet, 14 wurden festgenommen. Sie alle trugen die grüne Flagge mit der Fackel in der Mitte: die Nationalflagge von Zaire, wie die DR Kongo bis 1997 hieß, unter der Herrschaft von Diktator Mobutu Sese Seko. „New Zaire“ nennt sich die Gruppe.

Die Hintergründe erscheinen bizarr: Malanga, ehemaliger Armeehauptmann, war in den 1990er Jahren in die USA geflüchtet. Laut seiner Internetseite war er Gründer und Vorsitzender der Vereinten Kongolesischen Partei (UCP), einer „Regierung im Exil“ wird sie da genannt.

In Afrika war Malanga geschäftlich aktiv, u. a. im Goldhandel, gemeinsam mit zwei jungen Männern aus den USA. Jetzt wurden seine US-Geschäftspartner von kongolesischen Soldaten aus dem Kongo-Fluss gezerrt, in den sie sich nach dem Putschversuch hinter dem Präsidentenpalast retten wollten.

Unklare Inszenierung. Die Ereignisse in Kinshasa haben in Kongos Elite Panikstimmung verbreitet. Seit Jahren drohen auch die M23-Rebellen im Osten des Landes, die Regierung in Kinshasa stürzen zu wollen. Doch der Ostkongo ist 2.000 Kilometer von der Hauptstadt entfernt, dazwischen liegt dichter Dschungel. Man fühlte sich in Kinshasa also sicher. Malangas Putschversuch hat die Armee und die Geheimdienste kalt erwischt. Deswegen  spinnen sie jetzt die absurdesten Geschichten: Malanga und seine Gefährten seien CIA-Spione. Staatstreue Medien vermuten Ruanda hinter dem Angriff. Auch russische Geheimdienste werden in Erwägung gezogen.

Manche glauben, dass der Angriff inszeniert wurde. Der berühmte Politiker Vital Kamerhe, dessen Residenz ebenso von den Putschisten angegriffen wurde, wird als nächster Parlamentspräsident gehandelt, das wichtigste Amt in Kongos Staat nach dem des Präsidenten und des Premierministers. Der enge Zirkel um Tshisekedi sieht Kamerhe als Konkurrenz, weil er mächtige Netzwerke im Osten pflegt, wo er herkommt, und in der Südregion Katanga (Provinzhauptstadt: Lubumbashi), wo die meisten Minen liegen.

Der Pfingstangriff fällt mitten in die Zuspitzung der politischen Rivalitäten in Kongos noch laufender Regierungsneubildung. Im Dezember hatte Präsident Tshisekedi die Wahl mit 73 Prozent der Stimmen gewonnen. Derzeit versucht er eine halbwegs stabile Regierung zu formieren, die seinen Krieg im Osten unterstützt.

Simone Schlindwein lebt und arbeitet als freie Journalistin seit 2008 in Uganda.

Landkarte Demokratische Republik Kongo
SWM / NordNordWest / CC BY-SA 3.0

Demokratische Republik Kongo

Hauptstadt: Kinshasa, gilt mit über 16 Millionen Einwohner:innen als größte Stadt Afrikas.
Fläche: 2.344.858 km2 (28-mal größer als Österreich)
Einwohner:innen: 100 Millionen (2023)
Human Development Index (HDI): Rang 180 von 193 (Österreich 22)
BIP pro Kopf: 653,7 US-Dollar (2022, Österreich: 52.084,7 US-Dollar)
Regierungssystem: Semipräsidentielles Regierungssystem. Félix Tshisekedi ist seit Ende 2018 Staatspräsident der DR Kongo. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 20. Dezember 2023 wurde Tshisekedi mit großer Mehrheit für eine zweite und letzte Amtszeit bestätigt.

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen