Wie sich in Indonesien PunkmusikerInnen gegen Korruption und Repression einsetzen, berichtet Tina Fazekas.
"Wir lieben dieses Land, aber wir hassen das bestehende System, erinnert euch! Es gibt nur ein Wort: Lawan!“ Der Frontmann der indonesischen Hardcore-Punkband Jeruji, auf Deutsch „Gitter“, aus Bandung, der Hauptstadt der indonesischen Provinz West-Java, donnert seine Worte dem Publikum entgegen. Die Fans tanzen dazu ausgelassen und schütteln dabei ihre bunten Irokesenfrisuren ordentlich durch. Eine Mischung aus Metal, Hardcore und Punk dröhnt aus den Boxen. Die Musiker geben Vollgas.
„Lawan“ bedeutet Gegner. Wer damit gemeint ist, ist kein Geheimnis: Korrupte PolitikerInnen und EntscheidungsträgerInnen. In Songs wie „anjingkorupto“ – korrupter Hund – drücken sie ihren Unmut gegen das „System“ mit unverblümten Worten und harten Tönen aus.
Während die Punkkultur in den USA und Europa nicht mehr die Bedeutung als sozialkritische Bewegung wie einst hat und Punk für manche nur noch mit „Mode-Accessoires“ verbunden wird, blüht sie in Indonesien erst richtig auf.
Ob auf dem Land oder in Städten, die indonesische Punkszene ist vielerorts aktiv und mittlerweile global vernetzt. Sie dient als Plattform für Forderungen nach Veränderung.
Die Demokratisierung des Landes schreitet nach Jahrzehnten autoritärer Regierungen (zwischen 1967 und 1998 regierte Haji Suharto das Land diktatorisch) nur langsam voran. Korruption ist weiterhin verbreitet. Die Todesstrafe wird immer noch praktiziert.
Alternative Jugendbewegungen sind konservativen und orthodox-religiösen Gruppen ein Dorn im Auge. Die Regierung duldet die Punkszene mittlerweile mehr als früher.
Am ausgeprägtesten und gut organisiert ist sie auf der Insel Java, wo die Hälfte aller EinwohnerInnen Indonesiens leben. Hier veranstalten Punks Konzerte und schließen sich zu Kollektiven zum gemeinsamen Wohnen sowie zum politischen, sozialen und kreativen Austausch zusammen. Gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung bilden sie Arbeitsgemeinschaften, um die Wohn-und Lebenssituation zu verbessern – etwa sogar um Straßen zu bauen. Der allgemeine Tenor der Szene lautet: Nicht nur raunzen, sondern machen – Wir schaffen das!
Punk lebt!
Die Subkultur Punk ist in den späten 1960er Jahren in den USA entstanden. Berühmte Vertreter sind Bands wie MC5 oder The Stooges, mit Frontman Iggy Pop.
Im London der 1970er Jahre wurde die Subkultur zu einer Jugendbewegung. Als Ausdruck ihrer Unzufriedenheit mit dem „System“ provozierten Jugendliche die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft mit ihrem Verhalten, heruntergekommener Kleidung oder Sicherheitsnadeln durch Nasenflügeln und Ohrläppchen. Ihr gesellschaftspolitischer Anspruch drückte sich im Antiautoritarismus, Antirassismus und Antikapitalismus aus. Heute gibt es im globalen Norden immer noch eine politisch aktive Punkszene, die sich in Europa vor allem in der HausbesetzerInnen-Szene wiederfindet.
Die ersten indonesischen Punkbands wurden bereits in den 1980er Jahren gegründet. Mit ihren regimekritischen Texten hatten sie aber während der Suharto-Dikatur (1967-1998) keine Chance auf Veröffentlichung. Erst nach Suhartos Rücktritt blühte die Szene auf.
Pioniere der Punkszene waren unter anderm die Hardcore-Band Antiseptic, die sich schon 1990 formierte. Mittlerweile erlangten viele Punkbands auch international Bekanntheit. Jeruji und Marjinal tourten 2017 durch Europa. Die 1995 gegründete Band Superman is dead tourte schon durch Australien und in Europa. T.F.
Punkrock mit Hijab. 87,2 Prozent der indonesischen Bevölkerung sind Muslime. Die Bandbreite reicht von strenggläubig bis moderat. Familie und Traditionen werden in vielen Regionen Indonesiens groß geschrieben. In einem Land, in dem es keine oder nur wenig staatliche soziale Unterstützung gibt, ist man bei Krankheit und Alter auf den Nächsten angewiesen.
Die Punks reagieren mit Solidaritätsbekundungen mit der Bevölkerung. Man will nicht nur anecken oder provozieren, sondern bemüht sich um einen gemeinsamen Konsens.
Ein Punkkonzert zu unterbrechen, um die Gebetstunde nicht zu stören, geschieht aus Respekt und Rücksichtnahme. Viele der Bandmitglieder und Fans sind selbst praktizierende Muslime und sehen keinen Widerspruch. Im Gegenteil – zu seinem Glauben zu stehen ist für viele AnhängerInnen der alternativen Musikszene Ausdruck ihrer Unabhängigkeit vom „westlichen antireligiösen Diktat“.
Ein Beispiel dafür ist die Band Voice of Baceprot, übersetzt „Laute Stimme“, dreier Teenagerinnen aus Westjava. Harte Riffs, dröhnende Gitarren und ein gnadenloses Schlagzeugspiel stehen im starken Kontrast zu den drei zierlichen Musliminnen. Im Song „The Enemy on Earth is you“ scheuen sie nicht vor Gesellschaftskritik zurück, stolz tragen sie ihren Hijab auf der Bühne.
Das im Westen dominante Bild der unterwürfigen und rechtlosen muslimischen Frau kümmert sie nur wenig. Moderate religiöse Vereinigungen sehen darin keine Verletzung der islamischen Werte.
Widerstand. Die Hardcore-Punkband Jeruji wurde Mitte der 1990er Jahre gegründet, in einer Zeit, als das Militärregime unter Haji Mohamed Suhartov Indonesien noch fest im Griff hatte. Massendemonstrationen mit anschließender gewaltsamer Eskalation zwischen ZivilistInnen und Militärs waren keine Seltenheit. Lange Haare und Tätowierungen galten als Erkennungszeichen Krimineller und Oppositioneller. Das Regime sah in der die Autoritäten ablehnenden Haltung der Punkszene eine akute Bedrohung des Staates und begegnete der Subkultur mit voller Härte. Die Militärpolizei stürmte regelmäßig Punkkonzerte, und die Veröffentlichung regierungskritischer Texte war zu dieser Zeit unmöglich.
In Banda Aceh, einer Region im nordwestlichen Sumatra, löste die Sittenpolizei 2011 ein Punkkonzert auf und verhafteten insgesamt 65 Punks, darunter Frauen und Minderjährige. Sie rasierten ihnen die Köpfe und zwangen sie, sich im Fluss zu waschen – als eine symbolische und spirituelle Reinigung von ihrem Lebensstil. Im anschließenden zehntägigen Umerziehungslager erhielten die Punks Unterricht in militärischer Disziplin und Religion. Auch heute noch stören immer wieder streng konservativ-religiöse und nationalistische Gruppen Veranstaltungen der Szene.
Thema Drogen. Die Band Jeruji unterstützt die internationale Kampagne „Support, don’t punish“, die sich gegen die Diskriminierung und Kriminalisierung von Drogenabhängigen und mit HIV infizierten Personen einsetzt und von zahlreichen NGOs unterstützt wird. „Wir glauben, dass Widerstand nicht nur in unserer Musik stattfinden soll. Für uns ist Widerstand ein direktes Teilnehmen am sozialen Wandel in der Gesellschaft. Wir schreien nicht nur ins Mikrophon, sondern wir bewegen auch etwas“, betonen die Mitglieder von Jeruji.
Tina Fazekas studiert Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien.
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