In die Bildung und Integration geflüchteter Frauen zu investieren wirkt doppelt auf die Gesellschaft, weiß Judith Kohlenberger.
In Ihren Studien schreiben Sie, dass Unterstützungsangebote für Frauen doppelt wirken. Inwiefern?
Frauen haben einen ganz wichtigen Multiplikatorinneneffekt. Sie geben die Bildung, die sie erhalten, stärker an die Kinder und die gesamte Community weiter als es Männer tun. Wir wissen das auch aus Studien der Entwicklungsökonomie: Der Schlüssel zur Entwicklung liegt in der Bildung der Frauen. Höher gebildete Mütter haben auch höher gebildete Kinder. In Österreich ist die Bildungsvererbung vor allem unter Migrantinnen und Migranten sehr hoch. Die fehlende Möglichkeit zur Bildungsmobilität und zum sozialen Aufstieg ist ein ganz großes Thema. Bildung führt zur Selbstermächtigung und regt eine nachhaltige Integration an. Deshalb wäre es notwendig, da zu investieren.
Welche speziellen Angebote braucht es für geflüchtete Frauen?
Eine flächendeckende Kinderbetreuung in den Deutschkursen, damit die Frauen überhaupt teilnehmen können. Es wäre zudem wichtig, auf den Themenkomplex psychische Gesundheit zu schauen. Geflüchtete Frauen sind stärker von Depressionen betroffen als Männer. Wesentlich finde ich niederschwellige Integrationsangebote. Ganz am Beginn hilft es Räume zu schaffen, wo sich geflüchtete Frauen austauschen können und Männer nicht hindürfen.
Judith Kohlenberger ist Kulturwissenschaftlerin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Identitäts-und Repräsentationspolitik.
Geflüchtete Frauen werden in Politik und Medien oft als Opfer dargestellt. Warum werden sie selten in positiven, aktiven Rollen gezeigt?
Es ist ein Kennzeichen des Patriarchats, dass viele Debatten sprichwörtlich am Körper der Frau ausgetragen werden. Geflüchtete Frauen sind Projektionsfläche für viele Erwartungen. Sie werden einerseits als Opfer wahrgenommen, gleichzeitig ist der Druck da, sich zu emanzipieren. In der öffentlichen Debatte kommen geflüchtete Frauen gar nicht vor, außer es geht ums Kopftuch. Dabei sind sie eine wachsende Gruppe, deren Bedürfnisse nicht wahrgenommen werden. Mir fallen kaum Maßnahmen ein, die in den letzten Jahren konkret für Frauen geschaffen wurden.
Wo sehen Sie konkret Versäumnisse in der Integrationspolitik?
Frauen wurden oft als Anhängsel ihrer Männer betrachtet. Ein klassisches Beispiel ist die sogenannte Gastarbeitergeneration. Man hat die Männer angeworben und die Frauen sind irgendwie mitgekommen, aber auf ihnen lag überhaupt kein Augenmerk. Man hat sich nicht darum gekümmert, dass sie integriert werden, dass sie teilhaben an der Gesellschaft. So haben viele Frauen nicht Deutsch gelernt und waren nicht in den Arbeitsmarkt integriert. Das Problem wird dann auch in zweiter und dritter Generation vor allem an die Töchter weitergegeben. Dabei wäre es eine so wichtige Gruppe, die man viel stärker in den Blick nehmen sollte.
Interview: Marina Wetzlmaier
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