Tägliches Auto-Chaos ist ein Markenzeichen der urbanen Zentren im Süden. Aber es gibt auch Hoffnungsschimmer, berichtet ťNew-InternationalistŤ-Autorin Stephanie Boyd: etwa den heimlichen Traum von einer elektrischen Schnellbahn in Lima.
Die verstaubten Büros der Behörde sind im Ministerium für Industrie, Tourismus und Handel untergebracht, wo sie, versteckt in einem Winkel des stalinistisch anmutenden Gebäudes und unbeachtet von der peruanischen Öffentlichkeit, die dunklen Zeiten des Fujimori-Regimes überstanden haben. Man habe „sehr ruhig, fast schon im Geheimen“ gearbeitet, erklärt Miguel Torres, Präsident der Behörde, und 200 Millionen US-Dollar investiert, um fünf Züge kaufen sowie eine 9,8 km lange Schienenstrecke in Betrieb nehmen zu können.
Da die Regierung offiziell mit staatlichen Dienstleistungen nichts am Hut hatte, wurden die Fortschritte streng geheim gehalten. Geplant war, private Investoren mit eindrucksvollen, hohe Erträge versprechenden Charts und Grafiken an die Leine zu bekommen. Doch Torres ist seit vier Jahren am Ruder, ohne dass jemand angebissen hätte. Die Zielgruppe der Schnellbahn hat kaum Geld für ihre Grundbedürfnisse, geschweige denn für Bahntickets zu Marktpreisen. Ein in Lateinamerika verbreitetes Dilemma: Regierungen, die auf der neoliberalen Welle reiten, aber sichere und saubere öffentliche Massenverkehrsmittel bräuchten wie einen Bissen Brot.
Die sozialen und gesundheitlichen Kosten der um sich greifenden Autoepidemie in Lateinamerika sind beträchtlich: Mehr als 100 Millionen Menschen atmen regelmäßig eine Luft, deren Schadstoffbelastung die Grenzwerte der WHO übersteigt. Das Resultat sind unzählige Gesundheitsprobleme, von Atemwegserkrankungen über Herz-Kreislauf-Probleme bis zu Lungenentzündung. Kinder und ältere Menschen sind besonders gefährdet. In Lima nehmen Atemwegsinfektionen bei Kindern bis fünf Jahren zu, sagt das städtische Notfallkrankenhaus Grau. Etwa 80 Prozent der Luftschadstoffe in der Stadt, Stickoxide, Kohlenmonoxid, Blei und Staubpartikel, stammen von Kraftfahrzeugen. Größere Kreuzungen weisen eine Schadstoffkonzentration auf, die die WHO-Grenzwerte zumindest um das Zweifache übertrifft, was die Gesundheitsbehörden veranlasst hat, vor einem Aufenthalt in diesen Bereichen zu warnen. Nicht einfach, wenn man jeden Tag unterwegs ist.
Genauso schaut es überall in den urbanen Zentren im Süden aus, ob in Lagos, Jakarta oder Mexiko-Stadt. In der peruanischen Hauptstadt haben überlastete Autobahnen und das Fehlen einer effektiven Verkehrskontrolle eine explosionsartige Zunahme von Verkehrsunfällen bewirkt – auf ihr Konto gehen 45 Prozent aller gewaltsamen Todesfälle in Lima, sagt Torres.
Rund 80 Prozent der fast acht Millionen Menschen in Lima haben kein Auto zur Verfügung und sind auf ein chaotisches Verkehrsnetz angewiesen, das von privaten Kleintransportern, dahinrumpelnden alten Bussen und nicht zugelassenen Taxis bereitgestellt wird. Viele Städte im Süden ohne ausgebauten öffentlichen Verkehr werden von privaten Kleinbussen überflutet. Sie tragen zwar verschiedene Namen, etwa Matatus in Nairobi oder combis in Lima, ihre Standards sind aber überall dieselben: rücksichtsloser Fahrstil, wie Sardinen zusammengepferchte Fahrgäste und der jeweils billigste, verbleite Treibstoff im Tank – die automatische Folge dieser ruinösen Variante eines freien Markts im Transportgeschäft.
Genau jetzt biete sich eine Gelegenheit, die man nicht versäumen dürfe, meint Torres: „Wir müssen diese verärgerten Fahrgäste jetzt erwischen und an umweltfreundliche Massenverkehrsmittel gewöhnen, bevor sich die wirtschaftliche Lage verbessert und sie anfangen, Autos zu kaufen.“
Tatsächlich sind StadtplanerInnen gut beraten, das Übergreifen der Autokultur zu fürchten. Der zunehmende Gebrauch von Autos hat in allen Entwicklungsländern bereits schwer wiegende gesundheitliche Auswirkungen. „Wären Autos in jedem Land so verbreitet wie in den USA, hätten wir weltweit fünf Milliarden davon – zehnmal mehr als heute“, heißt es im Bericht des World Watch Institute von 1999. Eine „unbegreifliche Zahl“, bedenkt man, dass „viele Städte bereits jetzt unter den Schadstoffen und den Verkehrsstaus leiden, die durch Autos verursacht werden“. Lima etwa wird derzeit von 800.000 Kraftfahrzeugen geplagt, die alles andere als strengen Abgasvorschriften werden zumeist nicht kontrolliert, und eine Überprüfung der Fahrzeugsicherheit ist nicht erforderlich.
In Mexiko und Chile, deren Hauptstädte die höchste Luftverschmutzung des Subkontinents aufweisen, werden seit langem an besonders smoggefährdeten Tagen Fahrverbote auf Basis von Autokennzeichen verhängt. Aber die „Smogalarme“ werden jedes Jahr schlimmer. Während der letzten 15 Jahre haben verzweifelte chilenische Behörden das U-Bahn-Netz von Santiago ausgebaut, Bäume gepflanzt und die Einfuhr neuer Autos ohne Katalysatoren für bleifreies Benzin verboten, aber den Smog gibt es noch immer. Kein Wunder: Das oft gepriesene Wirtschaftswachstum in Chile hat die Brieftaschen der Reichen und der oberen Mittelschicht gefüllt und die Nachfrage nach Importautos in die Höhe getrieben.
Und Chile ist nicht allein, wie ein kurzer Blick auf Asien zeigt, den Fahrrad fahrenden Riesen der Welt. In den letzten Jahren ist der Gebrauch von Rädern in vielen Städten des Kontinents zurückgegangen, während die Zahl der Motorräder und PKWs zunimmt. Die wachsende Lust an der Motorisierung in Asien hängt mit der offiziellen Förderung der mächtigen Autoindustrie der Region zusammen, die ein Drittel der weltweiten Autoproduktion stellt und 17 Prozent der Weltflotte selbst beherbergt.
Städte wie Jakarta, Shanghai und Beijing haben den Gebrauch von Rädern eingeschränkt, um Platz für Autos zu schaffen. In Peru wiederum versprach die Regierung Mitte der neunziger Jahre, dafür zu sorgen, dass in jeder Garage (der Mittelklasse) auch ein Auto steht. Billige Zweitautos überschwemmen den Markt, und das Importgeschäft blüht. Die Bevölkerung wird angehalten, auf Kredit zu kaufen und die Autos als „schwarze“ Taxis zu betreiben, um die Raten bezahlen zu können.
Stadtplaner wie Torres scheinen aber das Licht inmitten der Finsternis erblickt zu haben. Wenn er seine Pläne für die zukünftige Schnellbahn in Lima schildert, die täglich eine Million meist armer PeruanerInnen transportieren soll, wird der Verfechter der elektrischen Bahn zu einem Visionär vom Schlag eines Martin Luther King: Die Strecke würde nicht nur die Verbindungen zwischen abgelegenen Elendsvierteln verbessern, sondern den Armen der Stadt auch den täglichen Besuch des historischen Zentrums von Lima, der Einkaufszonen und der Enklaven der oberen Zehntausend an der Küste ermöglichen. „Aber es geht nicht bloß darum, ein schnelles Massenverkehrsmittel zu bauen“, erläutert Torres. „Es geht darum, lebenswerte Räume für die Armen der Stadt zu schaffen. Wir möchten ihnen neuen Mut geben, damit sie sehen, dass sie eine bessere Zukunft haben könnten.“
Torres entrollt Stapel von Konstruktionsplänen und zieht Miniaturmodelle heraus, um die Grünflächen plastisch darzustellen, die er rund um die Schnellbahnstationen in der trockenen, wüstenartigen Umgebung von Lima anlegen will. Dort wird es weder Müll geben noch Verbrechen, dafür Fahrradstreifen zwischen Bahn- und Buslinien, die kreuz und quer durch die sich ausbreitende Stadtlandschaft führen – ein Traum, den er mit Kindern aus Schulen der Umgebung teilt. Für sie organisiert er Probefahrten entlang der fertiggestellten Streckenkilometer, und sie dürfen auch ihre eigenen Visionen einer grüneren Zukunft malen – auf die halb fertigen Betonpfeiler der Avenida Aviación.
Copyright: „New Internationalist“
Stephanie Boyd schreibt aus Lima über verschiedenste Themen. Sie hat sich auch mit ihren humoristischen E-Mails einen Namen im Cyberspace gemacht. stephtito@chavin.rcp.net.pe
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