Prognose: unsicher

Von Johannes Schwäbl · · 2014/02

Am 24. November fanden in Honduras Präsidentschaftswahlen statt, das internationale Interesse war überraschend groß. Fazit: Die Zweiparteienherrschaft ist ebenso Geschichte wie die Hoffnung auf einen tiefgreifenden Machtwechsel.

Honduras führt nicht allzu viele internationale Statistiken an, eine jedoch kontinuierlich: Auch 2013 ist der kleine mittelamerikanische Staat mit 86,5 Morden pro 100.000 EinwohnerInnen laut UN-Berechnungen jener mit der höchsten Mordrate weltweit. Bis auf zweifelhafte Ehren wie diese findet sich Honduras relativ selten in den internationalen Medien. Zuletzt massiv 2009, als der damalige Präsident José Manuel Zelaya im Juni in einer Nacht-und Nebel-Aktion von der Macht geputscht und im Pyjama vom Militär nach Costa Rica verfrachtet worden war. Zelaya suchte während seiner Amtszeit den Dialog mit Bauern- und Indigenenorganisationen und unter seiner Federführung trat Honduras dem von Venezuela und Kuba ins Leben gerufenen Staatenbündnis ALBA bei. Mit seinen Plänen für eine Volksbefragung über die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung brachte er die traditionellen Machteliten endgültig gegen sich auf. Der Staatsstreich führte zu einer breiten Protestbewegung in Honduras. Auf eine Übergangsregierung folgten Wahlen im November desselben Jahres, die Porfirio Lobo gewann.

Der neuen Regierung unter Lobo gelang es nicht, die politische, soziale und ökonomische Krise in dem mittelamerikanischen Land zu entschärfen. Knapp 70 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Armut und Perspektivlosigkeit treiben viele Jugendliche in die Migration oder in den Einflussbereich gewalttätiger Jugendbanden, der sogenannten Maras, die vor allem in den größeren Städten ganze Viertel kontrollieren. Allgemeine und organisierte Kriminalität nehmen seit Jahren weiter zu.

Als Antwort auf den Putsch entstand eine breite und vielfältige Widerstandsbewegung. Die sozialen und politischen Proteste im Land verstärkten sich. Porfirio Lobo, der seit Anfang 2010 Präsident war, führte die Politik, mit der die Übergangsregierung nach dem Putsch auf die massiven Proteste reagierte, fort. Politische Morde nahmen stark zu, die Aufhebung demokratischer Grundrechte, Militarisierung und Repression wurden durch Dekrete und Gesetze zum Dauerzustand.

In diesem Kontext setzten vor allem die ärmeren und marginalisierten Bevölkerungsteile große Hoffnungen in die neu entstandene Partei LIBRE (Libertad und Refundación). Diese war aus Teilen des Widerstandsbündnisses gegen den Putsch hervorgegangenen und bestritt den Wahlkampf mit Xiomara Castro, der Ehefrau Manuel Zelayas, als Präsidentschaftskandidatin. Die Umfragen sagten ihr gute Chancen im Kampf um das Präsidentenamt voraus, das offizielle Wahlergebnis blieb allerdings hinter den Erwartungen ihrer AnhängerInnen zurück. Zwar wurde LIBRE bei den Wahlen im November auf Anhieb zweitstärkste Kraft im Kongress, der Abstand zur nationalen Partei mit ihrem Spitzenkandidaten Juan Orlando Hernández war aber deutlicher als erwartet. Obwohl LIBRE und die ebenfalls zum ersten Mal angetretene Antikorruptionspartei PAC die Wahlergebnisse weiterhin nicht anerkennen und diese beim Obersten Wahltribunal TSE und beim Obersten Gerichtshof angefochten haben, erklärte das TSE Juan Orlando am 11. Dezember zum endgültigen Sieger.

Laut den vom TSE veröffentlichten Wahlergebnissen liegt Orlando mit 36,8 Prozent der Stimmen vor Xiomara Castro (28,7 Prozent). „Die Rechte feiert die Durchsetzung des Wahlbetrugs“, schrieb Ricardo Salgado, außenpolitischer Verantwortlicher der Partei LIBRE. Auch zahlreiche internationale BeobachterInnen kritisierten den Wahlprozess scharf und berichteten von massiven Unregelmäßigkeiten im Wahlregister, Stimmenkauf und Repressionen. Der Interimsbericht der EU-Delegation (s. Interview) wurde von vielen als zu positiv empfunden, sogar innerhalb der Delegation kam es zu Unstimmigkeiten über die Beurteilung.

LIBRE spricht von einem erneuten Putsch, dieses Mal an den Urnen. Abgesehen von zwei Demonstrationen der Partei und Protesten von StudentInnen blieben die erwarteten Massenproteste jedoch vorerst aus. Stattdessen war in den Tagen nach den Wahlen eine angespannte Stille in der Hauptstadt des Landes zu spüren. Die Enttäuschung unter den AnhängerInnen LIBREs ist groß und mischt sich mit der Ungewissheit und Besorgnis über die zukünftige Regierung. Auch AktivistInnen aus der Zivilgesellschaft befürchten das Schlimmste. „Mit Xiomara wäre ein Dialog zwischen der Regierung und den sozialen Bewegungen möglich, Juan Orlando wird mit Repression antworten“, erklärte der Publizist Ismael Moreno.

Juan Orlando Hernández, der am 27. Jänner das Amt des Präsidenten antritt, war seit 2010 Kongressvorsitzender und hat vor allem in den letzten beiden Jahren zunehmenden Einfluss auf die Politik der Regierung Porfirio Lobos ausgeübt. Orlando oder „Juan Robando“, der diebische Juan, wie ihn seine KritikerInnen nennen, repräsentiert für diese vor allem den neoliberalen Ausverkauf des Landes, die Militarisierung der öffentlichen Sicherheit und das teilweise Aushebeln der staatlichen Gewaltenteilung.

Zentrales Wahlkampfthema von Orlando war die vorherrschende Kriminalität und Gewalt in Honduras. Während LIBRE für die Säuberung der korrupten Polizei und deren Wiederannäherung an die Bevölkerung eintritt, steht Orlando für die Politik der harten Hand. „Voy a hacer lo que tengo que hacer“, „Ich werde tun, was ich tun muss“, war einer seiner Wahlslogans. Vor allem die seit Oktober im Einsatz befindliche militärische Polizei für öffentliche Ordnung verteidigte Orlando stets. Menschenrechtsorganisationen äußern scharfe Kritik an der aus dem Militär rekrutierten neuen Spezialeinheit und vergleichen diese mit den Todesschwadronen der 1980er Jahre.

Stark kritisiert wird auch der Ausverkauf des Landes, für den in den letzten vier Jahren eine legale Basis geschaffen wurde, wie Pedro Landa von der Nationalen Koalition der Umweltverbände konstatiert: Unter der Federführung Orlandos verabschiedete der Kongress das neue Bergbaugesetz und vergab Konzessionen für die Erdölvorkommen vor der Karibikküste an British Gas. Orlando selbst war eine der treibenden Kräfte hinter dem Projekt der sogenannten Modellstädte. Diese sahen die Errichtung von autonomen Städten auf honduranischem Gebiet vor, welche von einem Investorengremium verwaltet werden und über eigene Gesetzgebung, Justiz und Polizei verfügen. Als der Oberste Gerichtshof im November 2012 das vom Kongress verabschiedete Gesetz als verfassungswidrig einstufte, setzte der Kongress kurzerhand mehrere Richter der Verfassungskammer ab und verabschiedete im Juni 2013 das Gesetz zu den Beschäftigungs- und  Entwicklungszonen (ZEDE).

Turbulente Geschichte

Putsche und Militärregierungen bildeten in dem mittelamerikanischen Land über viele Jahrzehnte eher die Regel als die Ausnahme. Die Abhängigkeit vom Bananenanbau – und damit von US-Konzernen wie der United Fruit Company – prägt die erste Hälfte des 20.Jahrhunderts. 1954 wird ein Massenstreik von 25.000 ArbeiterInnen gegen die Arbeitsbedingungen zu einem wichtigen Moment für Arbeiterrechte und soziale Bewegungen.

1969 kosteten die im „Fußballkrieg“ gipfelnden Spannungen mit El Salvador 3.000 Menschen das Leben. Der Konflikt selbst dauert bis 1980 an. In den 1970ern und 1980ern wechseln Militärregierungen einander ab. Todesschwadronen verfolgen, entführen und ermorden HonduranerInnen.

Ab 1981 tritt die erste Zivilregierung an, aber das Militär hat immer noch weitreichende Macht. Im Austausch für Wirtschaftshilfe nutzen die USA unter Präsident Ronald Reagan Honduras als Basis für den Kampf gegen die Sandinisten in Nicaragua. 1998 verwüstet der Wirbelsturm Mitch große Teile des Landes, die Auswirkungen sind teilweise bis heute spürbar. cbe

KritikerInnen sehen darin eine Verletzung der territorialen und politischen Souveränität des Landes und die drohende Privatisierung ganzer Landstriche.

Bereits in den letzten Monaten vor den Wahlen haben Aggression und Repression gegen Basisorganisationen stark zugenommen, ganze Dörfer, die ihre Ländereien gegen die Interessen von Unternehmen verteidigen, werden kriminalisiert. Einer der bekanntesten Fälle ist der Konflikt um das Staudammprojekt Agua Zarca in der Region Río Blanco. Seit April 2013 verhindern die indigenen BewohnerInnen mehrerer Dörfer mittels Straßenblockade den Bau eines Wasserkraftwerkes, welches ohne ihre Zustimmung auf ihrem Land errichtet wird. Der Konflikt forderte bisher drei Todesopfer, eine massive Militärpräsenz in der Region ist mittlerweile Norm und die BewohnerInnen klagen über Übergriffe und Einschüchterungen durch private und staatliche Sicherheitskräfte.

Gegen die indigene Organisation COPINH, in der die Dörfer von Río Blanco organisiert sind, läuft seit einigen Monaten eine Kriminalisierungs- und Verleumdungskampagne. Bertha Cáceres, die Generalkoordinatorin des COPINH, musste untertauchen, da Untersuchungshaft gegen sie verhängt wurde (siehe auch Interview SWM 09/2012). Laut der Menschenrechtsorganisation COFADEH werden aktuell mehr als 600 soziale und politische AktivistInnen juristisch verfolgt. Kurz vor den Wahlen tauchten zudem zwei Todeslisten mit den Namen führender sozialer AktivistInnen, MenschenrechtsverteidigerInnen, kritischer JournalistInnen und AktivistInnen der Partei LIBRE auf. Die Listen wurden AktivistInnen mit der Warnung zugespielt, dass die aufgeführten Personen nach der Wahl exekutiert werden sollen.

Nicht nur bei den sozialen Organisationen muss Orlando mit Widerstand rechnen. Obwohl die nationale Partei vom Wahltribunal zum Gewinner der Präsidentschaftswahlen ernannt wurde, hat sie ihre absolute Mehrheit im Kongress verloren. Das traditionelle Zweiparteiensystem konnte durch die Wahlen aufgebrochen werden und Honduras ist politisch vielfältiger geworden. LIBRE, PAC und Abgeordnete des linken Flügels der liberalen Partei könnten eine Allianz bilden und so eine starke Opposition im Kongress darstellen.

Das fürchten wohl auch die neuen Machthaber: Am 12. Dezember verabschiedete der Kongress mit den Stimmen der Abgeordneten der nationalen Partei das Gesetz zur Optimierung der öffentlichen Administration, welches die Machtbefugnisse der Exekutivgewalt erweitert. So wird ihr das alleinige Recht übertragen, staatliche Ämter oder Organe zu gründen, zu modifizieren oder zu schließen. KritikerInnen wie der Vizepräsident des Kongresses Marvin Ponce befürchten, dass die Regierung durch diese Änderungen ohne die Zustimmung des Kongresses Abkommen, Genehmigungen und Lizenzen unterzeichnen sowie staatlichen Besitz verkaufen und verpachten kann. Dadurch wird einer möglichen Opposition im Kongress der Handlungsspielraum entzogen.

Dass LIBRE als Bedrohung der Interessen einiger Machtgruppen im Land wahrgenommen wird, legen auch die Morde an AktivistInnen der Partei nahe. Zwischen Juni 2012 und November 2013 wurden mindestens 18 LIBRE-AktivistInnen ermordet. In den drei Wochen seit den Wahlen verzeichneten Menschenrechtsorganisationen mindestens vier Morde an AktivistInnen der Partei. Der Journalist Edgardo Castro, einer der gewählten Kongressabgeordneten LIBREs, verließ aufgrund von Todesdrohungen das Land.

Honduras bleibt ein Pulverfass und die Wahlen haben dieses keineswegs entschärft, sondern sorgen für zusätzlichen Zündstoff. Der fehlende Rückhalt in der Bevölkerung, gemischt mit der sozialen Ungleichheit und der Fortsetzung der neoliberalen und autoritären Politik der nationalen Partei wird auch in den nächsten Jahren nicht zu einer Entschärfung der Konflikte in Honduras führen. „Die Frage ist, wie viel sich diese Bevölkerung noch gefallen lässt“, kommentierte ein Aktivist die Situation nach den Wahlen.

Johannes Schwäbl ist Teil der Arbeitsgruppe HondurasDelegation und war Mitglied der Menschenrechtsdelegation zur Wahl im November 2013.

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