Botschafterin Irene Freudenschuss-Reichl leitet seit Jahresbeginn die Sektion Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium*. Südwind-Redakteurin Irmgard Kirchner sprach mit ihr über ambitionierte Ziele und magere Mittel.
Südwind-Magazin: Frau Botschafterin, was sind Ihre Prioritäten in der nächsten Zeit?
Irene Freudenschuss-Reichl: 2005 ist ein wichtiges Jahr für die internationale Entwicklungszusammenarbeit. Es kommt zur 5-Jahresüberprüfung der Millenniumsziele. Natürlich ist es eine meiner Prioritäten, die Chancen zu nützen, die sich aus diesem internationalen Interesse für die österreichische Entwicklungszusammenarbeit (EZA) ergeben.
Einer der Punkte, der dabei angesprochen werden wird, ist die finanzielle Ausstattung der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben uns ja in Barcelona und Monterrey verpflichtet, bis 2006 auf 0,33 Prozent des BIP für Entwicklungszusammenarbeit zu kommen. Und jetzt gibt es im Rahmen der Europäischen Union weitere Bestrebungen, eine höhere gemeinsame Mindest-ODA (öffentliche Entwicklungshilfeleistungen; Anm.) festzulegen. Angedacht werden etwa 0,5 Prozent des BIP bis 2010. Ich werde mich sehr bemühen, dass Österreich da auch mitziehen kann. Auf europäischer Ebene wird darüber wahrscheinlich schon im April ein Beschluss gefasst.
Eine weitere Priorität ist es, das Zusammenwirken mit der ADA weiter zu verbessern.
Wo wird denn tatsächlich die Entwicklungspolitik gemacht? Im Moment sind ja auch Bereiche der Politik-Formulierung an die Entwicklungsagentur ADA ausgelagert, etwa die Formulierung einer Politik den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) gegenüber.
Die politische und die strategische Formulierung findet – wie auch im Gesetz vorgesehen – im Außenministerium statt und die Umsetzung in der ADA. Natürlich kann man diese zwei Ebenen nicht streng trennen. Es braucht einen guten Dialog, einen guten Austausch zwischen beiden Ebenen, sonst kommt auf keiner Ebene etwas Gescheites heraus.
Weiters wollen wir die Kohärenz zwischen den einzelnen Politikbereichen verbessern, die eine Auswirkung auf die Entwicklungszusammenarbeit haben. Als ersten Schritt haben wir initiiert, dass Gesetzesvorlagen, bevor sie in den Ministerrat oder ins Parlament kommen, einer Prüfung hinsichtlich ihrer Auswirkungen im entwicklungspolitischen Bereich unterzogen werden. Ähnliche Prüfungen gibt es ja schon in Bezug auf die Umweltverträglichkeit oder im Bereich Frauen.
Laut EZA-Gesetz hat das Außenministerium den Auftrag, in Österreich die Politik-Kohärenz im entwicklungspolitischen Bereich zu fördern. Wie schaut die Koordination konkret aus?
Wir haben sehr gute kollegiale Gespräche mit dem Lebensministerium, das ja für einen großen Bereich entwicklungspolitisch relevanter Materie zuständig ist.
Ohne große formelle Beschlüsse, einfach durch den laufenden täglichen Kontakt, ist eine sehr weit gehende Übereinstimmung der Maßnahmen gegeben. Mit dem Finanzministerium bemühen wir uns um einen regelmäßigen Austausch. Im Bereich der Internationalen Finanzinstitutionen herrscht auch eine weitgehende Übereinstimmung der Interessenslagen. Der große Problembereich mit dem Finanzministerium ist – wenig überraschend – das Budget.
Es herrscht Konsens darüber, dass Entschuldung notwendig ist. Inwieweit werden die zukünftigen Entschuldungsmaßnahmen zulasten der gestaltbaren Hilfe, auf Kosten „frischen Geldes“ für die Entwicklungszusammenarbeit gehen?
Die Entschuldung des Irak ist beschlossen und wird natürlich massive Auswirkungen auf die Entwicklungshilfe-Statistik aller Geberländer haben. Auch in Österreich. Mit der Irak-Entschuldung werden wir im Jahr 2005 schon die 0,5 Prozent-Grenze erreichen. Für 2006 ist zusätzlich eine große Entschuldung von Kamerun in Aussicht. Die Statistik wird in den nächsten Jahren gut ausschauen. Mir ist es ein besonderes Anliegen, auch die gestaltbaren Beiträge auf EU-Niveau anzuheben.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die ADA mit der Begründung geschaffen wurde, es wären in den kommenden Jahren größere Beträge im bilateralen Bereich umzusetzen.
Nach den jetzigen Prognosen unter Einrechnung der Irak-Entschuldung sehe ich nicht, wie die Beiträge für die ADA in den nächsten Jahren wirklich ansteigen können.
Hat die Flutkatastrophe in Südostasien die Rahmenbedingungen für die Entwicklungszusammenarbeit verändert – Stichwort „Globalisierung der Solidarität“?
Wir sollten auf alle Fälle versuchen, die eingetretene Sensibilisierung auch für den Bereich der regulären EZA zu nutzen. Man wird sehen, ob das gelingt. Die Spendenbereitschaft der österreichischen Bevölkerung ist gewaltig. Das müsste sich doch auch für eine Erhöhung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit nutzen lassen. Offensichtlich ist die Staatsbürgerin, der Staatsbürger bereit, Beiträge für die Entwicklungszusammenarbeit zu leisten.
Vielleicht ist nur bei den Politikern die Botschaft noch nicht angekommen?
Vielleicht sind die Politiker manchmal nicht mutig genug. Und die Staatsbürger würden eh mitgehen.
In der Antrittsrede der Frau Außenminister war von Entwicklungszusammenarbeit nur in einem Satz die Rede
Ja, das ist richtig. Aber die Frau Bundesminister hat eigentlich sehr viel Interesse und Verständnis für diese Anliegen. Man sollte sie nicht an einer Rede messen und ihr auch die Chance geben, sich einzuarbeiten und die Möglichkeiten ihres Amtes zu nutzen.
Wie beurteilen Sie den Stellenwert der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit? In Geld ausgedrückt ist Österreich mit 0,1 Prozent der EZA-Mittel für Inlandsarbeit weit entfernt von den 0,2 Prozent, die das Weltentwicklungsprogramm UNDP fordert.
Ich schätze den Stellenwert der Inlandsarbeit hoch ein. Die Prozentzahlen sind etwas trügerisch. Ein hoher Anteil der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit ist nicht vom Außenministerium gestaltbar. Innerhalb der gestaltbaren Mittel ist der Prozentsatz für Inlandsarbeit wahrscheinlich gar nicht so schlecht.
Bedeutend ist auf alle Fälle die Öffentlichkeitsarbeit. Nur über die öffentliche und die veröffentlichte Meinung ist es möglich, die Politik zu beeinflussen.
Ist an einen Stufenplan zur Erhöhung der Mittel für Inlandsarbeit gedacht?
Im Augenblick haben wir keinen diesbezüglichen Plan.
Wie sehen sie generell die Rolle der Nichtregierungsorganisationen in der österreichischen EZA?
NGOs haben verschiedene Rollen, die manchmal miteinander in einem gewissen Spannungsverhältnis stehen. Unverzichtbar ist die Rolle in der Bewusstseinsbildung, der Anwaltschaft. In den Bereichen Umweltschutz oder Frauengleichstellung wäre ohne die Aktivitäten der NGOs gar nichts weitergegangen. Und auch die Entwicklungszusammenarbeit und die entwicklungspolitische Organisation Österreichs kommt geschichtlich aus den entwicklungspolitischen NGOs.
Gleichzeitig setzen NGOs auch Projekte um. Somit machen sie sich von den Finanzierungsquellen der staatlichen Stellen bis zu einem gewissen Grad abhängig und sind auch abhängig geworden. Oft muss man in der Anwaltschaftsrolle gegen die staatlichen Stellen auftreten, in der Rolle als Kontraktnehmer ist man dann aber wieder von ihnen abhängig. Dieses Spannungsverhältnis wird sich in der nächsten Zeit noch verschärfen. International gesehen geht der Trend sehr in die Richtung Umsetzungen über die nationalen oder lokalen Strukturen in den Partnerländern.
Bis zu einem gewissen Grad wird sich der Arbeitsbereich der österreichischen NGOs etwas verengen. Das wird eine Umstrukturierung nötig machen, die sicher auch nicht ohne Schwierigkeiten von statten gehen wird.
*) Siehe Südwind-Magazin Nr. 1-2 2005, Seite 7