Die massenhaften Zwangssterilisierungen unter dem Regime des peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori (1990-2000) sind bis heute ungesühnt. Wie Feministinnen in Peru mit künstlerischen Mitteln gegen Straflosigkeit und patriarchale Gesundheitspolitik protestieren, beschreibt Alejandra Ballón Gutierrez.
Zwei Jahrzehnte sind vergangen, seit der damalige peruanische Präsident Alberto Fujimori im Jahr 1996 das Nationale Programm für Reproduktive Gesundheit und Familienplanung umsetzte, in dessen Rahmen er ein System massenhafter Zwangssterilisierung einrichtete. Was folgte, war das massivste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das in Peru seit den Zeiten der Kolonie von staatlicher Seite verübt wurde: Mehr als 272.000 Frauen und mehr als 22.000 Männer, die meisten von ihnen kleinbäuerlicher, indigener Herkunft und des Lesens oder Schreibens kaum oder gar nicht mächtig, wurden ohne ihr freiwilliges Einverständnis sterilisiert. Das Ganze geschah unter dem Deckmantel einer nationalen Gesundheitspolitik, die sich als drastisches Eugenik-Programm zur Kontrolle der Bevölkerungsentwicklung entpuppte. Das Ziel: den Anteil der armen Bevölkerung zu reduzieren und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zu erhöhen.
Mehr als 2.000 bislang registrierte Anzeigen von Opfern sowie Aussagen von Angehörigen, ÄrztInnen, Gesundheitspersonal und vom heutigen Leiter der Ärztekammer berichten von einem Horror, über den noch immer weitgehend geschwiegen wird.
Tabuisiert. Die Spuren dieses sogenannten „Gesundheitsprogramms” haben sich bis heute in die Körper der Betroffenen eingeschrieben: Viele leiden täglich unter starken und andauernden Kopfschmerzen, Schwindelanfällen und Blutungen, sie klagen über den Verlust der Libido, über verzögerte Menopausen und intensive Schmerzen in Unterleib, Hüfte und Rücken. Sie haben weder Gerechtigkeit erfahren noch Entschädigungen erhalten und werden in der Öffentlichkeit noch immer nicht gehört.
In weiten Teilen der peruanischen Gesellschaft wird das Thema Zwangssterilisierung trotz umfassender Beweise noch immer tabuisiert und löst allenfalls Polemik und Abwehr hervor. Wäre Keiko Fujimori, Tochter und politische Erbin Alberto Fujimoris, aus den Wahlen im Juni als neue Präsidentin hervorgegangen, hätte das einen schweren Rückschlag im Kampf um Gerechtigkeit für die Betroffenen bedeutet. Ein Wahlsieg hätte zudem Alejandro Aguinaga, der als Gesundheitsminister direkt für das Zwangssterilisierungsprogramm verantwortlich war, als Berater zurück ins Gesundheitsministerium befördern können.
Widerstand. Zugleich hat sich eine lange Geschichte von selbstorganisiertem Protest zur Verteidigung der sozialen und reproduktiven Rechte von – insbesondere indigenen – Frauen gebildet. Eine dieser widerständigen Initiativen ist „Alfombra Roja” – Roter Teppich –, eine feministische Aktionskunstgruppe, die sich mit Interventionen im öffentlichen Raum gegen die Tabuisierung des Themas einsetzt.
Zunächst wurden die Aktionen von Alfombra Roja vor allem von FeministInnen aus der peruanischen Hauptstadt durchgeführt. Dies änderte sich im November 2013, als eine Gruppe von Kleinbäuerinnen aus Ayacucho, die selbst Zwangssterilisierungen erlitten hatten, nach Lima reiste, um dort an einem von der Frauenrechtsorganisation DEMUS organisierten „Gewissenstribunal“ teilzunehmen.
Als sich mitten im Konferenzsaal der lebende rote Teppich ausrollte, waren auch viele der Bäuerinnen darunter, die sich der Aktion begeistert angeschlossen hatten. Aus dem Publikum kam weitere spontane Unterstützung.
Roter Teppich. Den Alfombras Rojas waren längere Auseinandersetzungen innerhalb der feministischen Bewegung über Formen partizipativer und politischer Kunst im öffentlichen Raum vorangegangen. Als am 20. Juni 2013 ein umstrittener Gesetzesentwurf, der die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen massiv beschneiden sollte, vom parlamentarischen Ausschuss für Frauen und Familie positiv beurteilt wurde, war dies die Initialzündung. Am 21. Juni rollte sich vor dem Justizpalast in Lima der erste lebende Rote Teppich aus.
Die Aktionen von Alfombra Roja verstehen sich als partizipative künstlerische Intervention an strategischen Orten, an denen machtpolitische Entscheidungen über die Körper von Frauen getroffen werden – vor dem Justizpalast, vor Regierungsgebäuden, vor der Kathedrale. Sie schreiben dem Bild des Roten Teppichs eine neue Bedeutung zu: Normalerweise wird dieser ausgebreitet, um den Weg zu markieren, den Staatsoberhäupter bei formalen und zeremoniellen Anlässen beschreiten.
In einem Kontext, in dem sexuelle und reproduktive Rechte mit Füßen getreten werden, signalisieren die roten Teppiche aus Körpern: Wir müssen dringend neue Wege finden.
Eine besondere Farbe. Die Farbe Rot ist nicht zufällig gewählt. In den präkolumbianischen Kulturen Perus hatte Rot eine besondere Bedeutung, die noch heute gilt: Bei den Frauen verschiedener indigener Gruppen aus dem Amazonasgebiet ist die rote Gesichtsbemalung aus der Achiote-Frucht ein Symbol der Begegnung. Das aus der Karminsäure der Schildlaus gewonnene Karminrot wiederum galt während der Kolonialzeit als der vollkommenste und edelste Farbton der Welt, rote Kleidungsstücke wurden zum Zeichen für politische und ökonomische Macht.
Die Aktionen von Alfombra Roja greifen also den Aspekt der Begegnung zwischen menschlichen Körpern und innerhalb des gesamtgesellschaftlichen „sozialen Körpers“ auf, wie ihn die Frauen in den indigenen Gemeinden bis heute leben. Zugleich symbolisiert das Rot die Wiederaneignung eines Machtsymbols.
Weiter Weg. In mehr als zwei Jahren Intervention im öffentlichen Raum haben sich Tausende von Menschen an den Aktionen beteiligt und ihre Körper in verschiedenen Alfombras Rojas eingesetzt.
In einer Art Dominoeffekt haben sich die roten Teppiche über verschiedene Regionen in ganz Peru bis nach Chile, Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Guatemala und Argentinien ausgebreitet. Inzwischen haben sie sogar den Atlantik überquert und sich in der Schweiz, in Spanien, Österreich und England weiter ausgerollt.
In Peru konnte der umstrittene Gesetzesentwurf über die Rechte ungeborenen Lebens aus dem Jahr 2013 dank feministischer Proteste wie denen von Alfombra Roja verhindert werden. Doch die Opfer der Zwangssterilisierung warten weiter auf Gerechtigkeit, und die aktuelle politische Lage lässt fürchten, dass der Weg noch weit ist.
Aus dem Spanischen übertragen von Nana Heidhues.
Alejandra Ballón Gutierrez forscht als Künstlerin und Anthropologin zu Gesundheitspolitik und Frauenrechten in Peru. Sie ist Gründerin des Zentrums INCA für kritische und partizipative Kunst und Forschung und von Alfombra Roja.
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Medienkooperation mit der Zeitschrift Südlink / Berlin.
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