Pinochet war schuld

Von Rudi Lindorfer · · 2009/07

Wie ich dazu und nicht mehr los kam, Literatur aus afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Ländern zu lesen. Ein Bekenntnis vom Buchhändler unseres Vertrauens.

Wahrscheinlich war Pinochets Putsch in Chile Schuld. Er wurde im Kreis meiner FreundInnen heftig diskutiert. Um fundiert mitreden zu können, kaufte ich mir Die offenen Adern Lateinamerikas des uruguayischen Schriftstellers Eduardo Galeano, Die drei Tode des Jochen Wasserbrüller des brasilianischen Autors Jorge Amado, Ich bekenne, ich habe gelebt von Pablo Neruda und Schwarze Ballade, eine Anthologie, hrsg. von Janheinz Jahn.

Diese Bücher lösten monatelange Auseinandersetzungen aus: Darf man, liest man eine Übersetzung, überhaupt sagen, ich hätte einen Roman von Jorge Amado gelesen? Müsste man nicht sagen, ich hätte ein Buch von Curt Meyer-Clason nach einem Roman von Jorge Amado gelesen? Am Ende kam heraus, es sei besser Übersetzungen zu lesen als gar nicht. Am gescheitesten sei es aber, die jeweilige Sprache zu erlernen. Dabei stellte sich die Frage, ob ich überhaupt die Möglichkeit hätte, so tief in die Sprachen einzudringen, und so weiter und so fort …

Ich legte für mich fest und halte mich seither daran, dass eine Übersetzung von Curt Meyer-Clason unvergleichlich besser ist, als es eine von mir wäre. Dazu kam, dass ich die ErzählerInnen der Welt aus der ganzen Welt lesen wollte, besonders auch, weil ich die Reihe Geistige Begegnungen im Horst Erdmann Verlag entdeckt hatte, der 1956 als Verlag für internationalen Kulturaustausch gegründet wurde. 1962 erschien Indien als Band 1 der Reihe und 1974 waren etwa 20 Länderbände erhältlich. Ich verzichtete auf anderes, um mir neben Taschenbüchern monatlich wenigsten einen Band dieser Reihe zu leisten.

Was mich an diesen Literaturen begeisterte, war vordergründig nicht das Fremde (an Reise- und Forscherberichten von Europäern hatte ich mich in den Jugendjahren „abgelesen“), sondern die Kraft, die in diesen Erzählungen und Romanen steckte: Es fehlt(e) die Wehleidigkeit. Am stärksten beschäftigte mich Chinua Achebes Der Pfeil Gottes. Der Roman, der eine Kolonialismuskritik ist und gleichzeitig mit den Dorfführern, die ihre Eitelkeiten pflegen, abrechnet, verwirrte mich zutiefst, denn er störte mein einfaches Weltbild: Hier die bösen Kolonialisten und da die Unterdrückten, die keine Chance zum Gutsein bekommen, wenn sie nicht ohnehin die Guten sind. Dieses Buch führte dazu, dass ich aus einem mitleidenden Leser zu einem mitfühlenden wurde. Und ausgelöst wurde dieser Wandel von einer Übersetzung, die offensichtlich eine schlechte ist. Ich erfuhr es, als beim Peter Hammer Verlag 1994 eine neue Übersetzung von M. von Schweinitz, der schon die von mir gelesen Ausgabe übersetzte, und Gudrun Honke veröffentlicht wurde.

Heute fällt es mir auf, wenn ein Roman nicht gut übersetzt ist, vielleicht aber will ich nur nicht glauben, dass ein Werk einer/eines von mir geschätzten Autorin/Autors „dahinholpert“. Übersetzungen beweisen, welche Wirkungen Literatur hat, auch wenn oft davon die Rede ist, dass Literatur gar nichts bewirkt. Diktatoren haben Angst vor ihr! Ngugi wa Thiong’o schrieb 1977 Verbrannte Blüten auf Englisch. Erst als er den Roman, in dem er den Neokolonialismus und die sich bereichernden Eliten Kenias anklagt, in die Sprache des Gikuyu-Volkes übersetzte und ein Theaterstück daraus machte, wurde er ohne Urteil für ein Jahr eingekerkert. Und Mahmud Doulatabadis Roman Der Colonel, der die Wirren der Revolution und den Untergang einer Familie im Iran zum Thema hat, ist seit kurzem auf Deutsch zu lesen, nicht aber auf Persisch – er wird von der Zensurbehörde nicht freigegeben.Übersetzungen, ja, und mehr davon! Sie stoßen das Tor zur Welt auf.

Rudi Lindorfer ist Buchhändler bei Südwind-Buchwelt.

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