Patient Erde

Von Hermann Klosius · · 2005/11

Ein ehrgeiziges internationales Projekt will die unterschiedlichen Systeme zur Erdbeobachtung verknüpfen. Einmal wirksam vernetzt, soll das Frühwarnsystem in Echtzeit Auskunft über den Gesundheitszustand unseres Planeten und die dafür wesentlichen Prozesse geben.

Eine Naturkatastrophe schrecklichen Ausmaßes musste geschehen, um die Wichtigkeit der Erdbeobachtung ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zu rücken. Bald nachdem im Dezember 2004 fast eine Viertelmillion Menschen an den Küsten rund um den Indischen Ozean dem Tsunami zum Opfer gefallen waren, wurde bekannt, dass es in der Region sehr wohl Seismometer und andere Geräte gegeben hat, auf deren Messungen sich eine Katastrophenwarnung hätte stützen können. Doch die Instrumente waren nicht ausreichend untereinander verknüpft, um einen zeitgerechten und wirksamen Alarm zu ermöglichen.
An technischen Instrumenten und Systemen, die in der Lage sind, Auskunft über den Zustand des Planeten und die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Umwelt zu geben, mangelt es nicht. Ihre Palette umfasst tausende Datenbojen in den Ozeanen der Welt, zigtausende Umweltstationen am Festland, ähnlich viele Beobachtungen durch Radiosonden und von Flugzeugen aus sowie über 50 Satelliten, die um die Erde kreisen und dabei Umweltdaten sammeln. Die Anzahl der gelieferten Datensätze geht in die Millionen. Doch so wertvoll und umfangreich die Informationen auch sind, bleibt doch ein Problem: Die Geräte kommunizieren meist nicht untereinander oder liefern die Daten in nicht kompatiblen Formaten. Im Bereich der Maschinen herrscht eine Art babylonischer Sprachverwirrung.

Von der Weltöffentlichkeit bisher wenig beachtet, beginnt nun ein anspruchsvolles Projekt Gestalt anzunehmen: Das Globale System von Systemen der Erdbeobachtung (GEOSS) zielt darauf ab, die bestehenden Instrumente und Beobachtungssysteme untereinander zu vernetzen. Damit soll es „umfassende, koordinierte und nachhaltige Beobachtungen“ der Erde gewährleisten, das Verständnis des Ökosystems Erde verbessern und dessen Verhalten voraussagbarer machen.
Indem GEOSS die für fundierte politische Entscheidungen erforderlichen Informationen zeitgerecht und in hoher Qualität bereitstellt, will die Initiative dazu beitragen, Armut zu bekämpfen und eine mit der ökologischen Stabilität des Planeten vereinbare Entwicklung zu fördern. Gestützt auf die weltweit gesammelten vernetzten Daten könnten WissenschaftlerInnen etwa rechtzeitig vor extremen Wetterereignissen warnen, um so die Verluste an Menschenleben und Sachschäden niedrig zu halten. Sie könnten aus ihren Klimamodellen auf die langfristigen Perspektiven der Landwirtschaft in bestimmten Regionen schließen oder Alarm schlagen, wenn die Luftverschmutzung bestimmte Grenzwerte überschreitet. Oder sie könnten vor einer rasanten Vermehrung Malaria tragender Moskitos warnen, sobald große Flächen stehenden Wassers die dafür idealen Brutbedingungen liefern.
Es werden aber noch zehn Jahre vergehen, ehe das Projekt solche Früchte tragen und seine Nützlichkeit weltweit unter Beweis stellen kann. Der größte Stolperstein auf dem Weg seiner Umsetzung ist die langfristige Finanzierung. In der zweijährigen Startphase haben die USA mit 750.000 US-Dollar den Großteil des Budgets getragen. Seit die Initiative im Frühjahr 2005 ihr Hauptquartier nach Genf verlegt hat, ist die EU mit bis zu 1,8 Millionen Euro für die Jahre 2005 und 2006 der wichtigste Geldgeber.

Die Idee für ein solches Projekt ist schon einige Jahrzehnte alt. Doch erst während des Weltgipfels für Nachhaltige Entwicklung 2002 in Johannesburg und beim G8-Gipfel 2003 in Evian wurden die Weichen zu ihrer Verwirklichung gestellt. Der eigentliche Startschuss erfolgte beim ersten Gipfeltreffen zum Thema Erdbeobachtung im Juli 2003 in Washington D.C., auf dem 33 Staaten und 21 internationale Organisationen vertreten waren. Der damals in Auftrag gegebene, auf zehn Jahre angelegte Umsetzungsplan wurde schließlich beim dritten Gipfeltreffen im Februar 2005 in Brüssel angenommen. Knapp 60 Länder und 40 internationale Organisationen haben das Dokument unterzeichnet. Zur Umsetzung wurde die zwischenstaatliche Gruppe zur Erdbeobachtung (GEO) gegründet, in deren Leitung die EU-Kommission, Japan, Südafrika und die USA vertreten sind. Die Beiträge zu den Kosten des Programms erfolgen auf freiwilliger Basis.
Die Gruppe GEO sieht ihre Aufgabe nicht darin, ein eigenes Beobachtungssystem zu errichten. Sie will die bestehenden Systeme vernetzen und einheitliche Formate für den Austausch, die Archivierung und Verbreitung der gesammelten Daten durchsetzen. Außerdem sollen sowohl die zahlreichen Überschneidungen, die es zwischen verschiedenen Datensätzen gibt, als auch die bestehenden Lücken – etwa bei Instrumenten zur Warnung vor Tsunamis – identifiziert und behoben werden.
Dabei kann das Projekt auf bisherige Erfahrungen zurückgreifen, wie sie zum Beispiel beim Austausch von Daten zwischen den US-Satelliten vom Typ Landsat und den ERS-Satelliten der europäischen Weltraumagentur gesammelt wurden. Weiters gibt es bereits andere Initiativen zur Koordination von Beobachtungen, darunter das Globale System zur Beobachtung der Ozeane (GOOS) und das Globale System zur Klimabeobachtung (GCOS). Beide kämpfen jedoch mit knappen finanziellen Mitteln.

Obwohl der weltweite politische Rückhalt für GEOSS in den letzten Jahren gewachsen ist, zögern Regierungen mancher Länder, sich dem Programm anzuschließen. Im Fall Tansanias beispielsweise fehlen die nötigen Computer und Einrichtungen zur raschen Datenübermittlung, durch die GEOSS erst sinnvoll genutzt werden könnte. Saudi-Arabiens Widerstand hingegen gilt der Weitergabe der eigenen Daten. Auch Indien sperrt sich bisher dagegen, Daten seines Seismometer-Netzwerks zur Verfügung zu stellen, die es als wichtig für die nationale Sicherheit einstuft. Nicht zuletzt stehen manchmal auch ökonomische Interessen im Weg, wenn etwa Satellitenbilder nicht freigegeben werden, weil sie für den Verkauf bestimmt sind.
Aber auch seitens der bisher unterstützenden Länder ist keineswegs gesichert, dass sie für das Projekt langfristig Mittel bereitstellen werden. So hat der US-Kongress Anfang 2005 die Finanzierung eines Netzwerks von 110 Stationen zur langfristigen Klimabeobachtung in den USA gestrichen, das ein wesentlicher GEOSS-Bestandteil werden sollte. „Es schaut fast so aus, als wollten manche Leute nicht wissen, wie sich das Klima ändert. Vielleicht ziehen sie Ungewissheit vor, um nicht aktiv werden zu müssen“, kommentierte Kevin Trenberth vom Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung in Boulder sarkastisch. Trotz dieses Rückschlags wurde auf einem Workshop im Mai 2005 der strategische Plan für den US-Beitrag zu GEOSS unter dem Namen Integriertes Erdbeobachtungssystem (IEOS) beschlossen. Der europäische Beitrag zur Schaffung eines Netzes von Erdbeobachtungssystemen namens Globale Überwachung für Umwelt und Sicherheit (GMES) erlitt einen Rückschlag anderer Art. Am 8. Oktober dieses Jahres stürzte kurz nach seinem Start der Satellit CryoSat ab, der eine wichtige Lücke bei der Beobachtung und Vermessung des Polareises hätte schließen sollen.
Die Geburtswehen von GEOSS könnten erleichtert werden, wenn sich das Programm am Modell der erfolgreichen Weltorganisation für Meteorologie (WMO) orientierte. Nach jahrelangen Anfangsschwierigkeiten ist diese inzwischen sehr erfolgreich beim Datenaustausch zwischen den meteorologischen Institutionen ihrer 187 Mitgliedsländer. Vielleicht ist es ein gutes Omen, dass das GEOSS-Sekretariat in den WMO-Räumen in Genf untergebracht ist.
Auch wenn die Hürden auf dem Weg zu einem funktionierenden System globaler Erdbeobachtung überwunden werden können, wird letztlich auf politischer Ebene darüber entschieden, ob die Menschheit davon profitieren kann. Für die vielen Opfer und den hohen Sachschaden, die der Hurrikan Katrina in New Orleans verursacht hat, ist nicht ein Mangel an zeitgerechten Informationen über seine Zerstörungskraft verantwortlich. Hier ist es vor allem die Inkompetenz und ideologische Borniertheit einer Regierung, die nach dem Motto „Rette sich, wer kann!“ vorging. Nicht viel anders verhält es sich mit den jüngst vom Hurrikan Stan in Zentralamerika angerichteten Verheerungen.

GEOSS wird scheitern, wenn es von Regierungen als Ersatz für verantwortungsbewusstes Handeln missbraucht wird. Es kann aber der Menschheit unschätzbare Dienste leisten und dazu beitragen, sie aus der Sackgasse einer Entwicklung herauszuführen, die durch die Zerstörung der Ökosysteme des Planeten und die daraus resultierenden Katastrophen einen ständig steigenden Tribut fordert.

Hermann Klosius ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins und lebt als Solidaritätsaktivist in Wien.

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