Was Brüssel in der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) mit Afrika „Hilfe“ und „Partnerschaft“ nennt, klingt in den Ohren Addis Abebas mehr nach „Wertediktat“ und „Einmischung“, meint Tom Spielbüchler.
Die „Entwicklungsbedürfnisse Afrikas“ rangierten bei der diesjährigen Generalversammlung der Vereinten Nationen hoch oben. Am 22. September trafen sich in New York Staatsoberhäupter, VertreterInnen von Regierungen, globalen Finanz- und Wirtschaftsinstitutionen und Nichtregierungsorganisationen, um auf höchster Ebene den Stand der Umsetzung verschiedener Verpflichtungen und den weiteren Weg zu diskutieren.
Die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) betrug laut OECD 2007 knapp 104 Mrd. US-Dollar – 0,28 Prozent der addierten Nationaleinkommen aller Geberstaaten (versprochen ist eine Anhebung auf 0,7 Prozent bis 2015). Über 40 Mrd. Dollar davon gingen nach Afrika. Aus Europa kam der bei weitem größte Teil dieser Hilfe. Die Europäische Kommission stellte 2006 über vier Mrd. Dollar für Afrika zur Verfügung. Hinzu kamen rund 22 Mrd. Dollar von den einzelnen europäischen Staaten, auch Nicht-EU-Mitgliedern. Österreichs ODA an Afrika betrug 0,56 Mrd. Dollar. Verständlich also, dass man sich in Europa auf die Schulter klopft.
Hört man sich hingegen in Addis Abeba in den Kreisen der Afrikanischen Union (AU) oder bei namhaften afrikanischen Think Tanks um, lässt sich viel Murren über dieses Engagement vernehmen.
Europa spreche immer nur von Demokratie, guter Regierungsführung und Menschenrechten, die man in Afrika vermisse, polemisiert etwa ein westafrikanischer Botschafter bei der AU. Mit solchen Forderungen führe man eine Wertediskussion statt eines partnerschaftlichen Dialogs. Das bringe den Hungernden kein Brot. Der Diplomat spricht aus, was unter vorgehaltener Hand häufig zu hören ist: Unter dem Mantel der Entwicklungskooperation mische sich besonders Europa zu sehr in afrikanische Angelegenheiten ein und zwinge den Menschen auf dem Kontinent seine Werte auf.
Nicht alle meinen damit, dass sie Demokratie, gute Regierungsführung und Menschenrechte ablehnen, im Gegenteil. Berouk Mesfin, Forschungsmitarbeiter am Institute of Security Studies in Addis Abeba, macht dies an einem Beispiel deutlich: Wenn in Regionen wie am Horn von Afrika Geld in den sofortigen Aufbau von demokratischen Strukturen fließe, dann seien diese Mittel nicht sinnvoll eingesetzt. Zuerst müsse ein Bewusstsein dafür geschaffen werden. Noch funktioniere politische Legitimation dort nach überkommenen Traditionen, erklärt Mesfin, die als Prinzipien auch das Recht des Stärkeren oder bewaffnete Gewalt umfassten. Wahlen seien in einem solchen Umfeld nur eine andere Form der Umsetzung dieser Traditionen. Ähnliches weiß der Forscher über andere europäische Werte zu sagen. Die Änderung in den Köpfen der Menschen brauche Zeit und könne nicht durch kurzfristige EZA-Programme kompensiert oder als Bedingung an Projekte geknüpft werden.
Auch Europas angebliche Betonung afrikanischer Eigenverantwortung („Ownership“) sorgt für Unmut. In der Pariser Erklärung über die Wirksamkeit von EZA ist sie als Prinzip eindeutig festgehalten. Doch wer behält bei der EZA die Zügel in der Hand? Zwar räumt das Abkommen den Empfängern weitgehende Eigenverantwortung hinsichtlich entwicklungspolitischer Notwendigkeiten und Maßnahmen ein. Gleichzeitig werden sie von den Gebern zu penibler Rechenschaft verpflichtet. Das soll die Zweckentfremdung der Mittel verhindern, wird von vielen Empfängerstaaten aber als Eingriff in ihre Hoheitsrechte und Paternalismus aufgefasst.
Afrikanische Staaten haben ihre Souveränität seit der Unabhängigkeit vehement verteidigt. Bisher war diese meist gleichzusetzen mit der Hoheitsgewalt des jeweiligen Staatschefs. Die Forderung nach Transparenz und demokratischen Strukturen gefährdet in vielen Staaten die gängige Praxis der Legitimation – und damit (für die Potentaten) überlebensnotwendige Netzwerke und Patronagesysteme, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben. Mit guter Regierungsführung im europäischen Sinn vertragen sich solche Praktiken selten. In diesem Spannungsfeld zwischen der Ablehnung von Einmischung und Paternalismus einerseits und der Furcht um den in Europa vielfach beanstandeten Status quo andererseits ist die Kritik an Europas EZA zu bewerten. Dabei muss man natürlich unterscheiden, wer in Afrika wie argumentiert: In den einzelnen Staaten können PolitikerInnen durch Transparenz, verantwortliche Regierungsführung oder Stärkung der Demokratie unterschiedlich viel gewinnen bzw. verlieren. Einige Regime wie zum Beispiel Simbabwe haben bereits Konsequenzen gezogen: Sie wenden sich anderen Sponsoren zu, die ihre Hilfe nicht an eine Werte-Diskussion hängen – was der Norden bis vor Kurzem übrigens auch nicht gemacht hat, ohne sich deswegen heute dafür selbst zu verurteilen!
Noch ist Europa zwar der größte Geber und Handelspartner Afrikas (40 Prozent des afrikanischen Exports gehen in die EU), besonders China holt aber mächtig auf. Zu den geschätzten ein bis zwei Mrd. Dollar ODA aus Peking lag die Höhe der chinesischen Direktinvestitionen 2006 bei 2,5 Mrd. Dollar. Dazu kommt ein schier nicht mehr überschaubares Gesamtpaket an Beteiligungen und Krediten in der Höhe von mehreren Milliarden Dollar, nachzulesen im Statistik-Handbuch der UNCTAD von 2008. Geld aus Peking ist heiß begehrt in Afrika, Chinas Einfluss wächst auf Kosten Europas und der USA. Ab 2009 wird sich auch Russland verstärkt auf dem afrikanischen Kontinent engagieren – wobei man sich nach Aussage des russischen Vertreters bei der AU eher am Vorgehen Chinas orientieren will als an jenem Europas. Bleibt abzuwarten, was diese Entwicklungen für gute Regierungsführung, Demokratie oder Menschenrechte bedeuten.
Tom Spielbüchler ist Assistent am Institut für Zeitgeschichte in Innsbruck, wo er einen Afrika-Schwerpunkt aufbaut. Als freier Journalist konzentriert er sich auf Konflikte in Afrika und die afrikanische Integration.