Ohne rechtlichen Rahmen geht gar nichts

Von Barbara Ottawa · · 2024/Sep-Okt
Muntasir Mamun / ILO / CC BY-NC-ND 2.0

Wie sehen Modelle der Mitbestimmung von Arbeitnehmer:innen aus – und passen Demokratie und das aktuelle Wirtschaftssystem zusammen? Eine Bestandsaufnahme.

Er kritisierte die Sozialdemokratie von links und stand für eine unabhängige Arbeiter:innenbewegung ein: der marxistische Theoretiker August Thalheimer (1884-1948). Sein Essay „Über die sogenannte Wirtschafts-Demokratie“ von 1928 dient dieser Einführung zum Dossier als Denkhilfe. Durch „die Verquickung der Begriffe Demokratie und Wirtschaft“ könne nur „eine unglaubliche Gedankenverwirrung entstehen“, schreibt er darin.

Fast 100 Jahre später stellen wir uns noch immer die Grundsatzfrage, was Wirtschaftsdemokratie überhaupt ist. Für die „Demokratisierung der Wirtschaft“ bedürfe es eines schrittweisen „Strukturwandels“ im Kapitalismus, einer „Verwandlung seines Wesens“, so Thalheimer. Doch auf diese Metamorphose wartet die Menschheit weiter vergeblich.

Einhaltung von Minimalrechten. Die in vielen Ländern erkämpften Mindeststandards für die arbeitende Bevölkerung wurden als Teil des Friedensvertrags von 1919 festgeschrieben. Dieser beinhaltete auch die Gründung der International Labor Organization (kurz: ILO), die sich für die Einhaltung von Minimalrechten von Arbeitnehmer:innen weltweit einsetzt. Erst langsam weitete sich diese Unterorganisation der UN auf Staaten des Globalen Südens aus. Unter den Gründungsmitgliedern konnte nur Kuba in diese Kategorie gezählt werden.

 Allerdings orientieren sich diese Standards ausschließlich am westlichen kapitalistischen Wirtschaftsmodell und den darin eingebetteten demokratischen Ansätzen für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer:innen. Ein internationales, vor allem durch die wirtschaftliche Globalisierung weit verbreitetes Modell sind Genoss:innenschaften.

Für Thalheimer „zwiespältige Gebilde, die ein Gemisch von kapitalistischen und sozialistischen Zügen aufweisen“. Es gibt weiterhin Kapital, Ausschüttungen und Dividenden, diese werden jedoch an die Arbeitnehmer:innen verteilt bzw. diese bestimmen – meist über eine von ihnen bestellte Geschäftsführung – über die Verwendung der Mittel.

Faire Genoss:innenschaft. Im Jahr 2024 wertet Hartwig Kirner das als positiv. Als Geschäftsführer von Fairtrade Österreich betont er im Gespräch mit dem Südwind-Magazin die großen Vorteile dieser Form zu wirtschaften bzw. unternehmerisch tätig zu sein. „Entscheidend ist die Summe der Einzelteile, wie etwa die Verhandlungsmacht von 1.000 Bäuerinnen und Bauern – deshalb sind Kooperativen ein interessantes Konzept“, so Kirner.

Aber dafür brauche es „Menschen, die bereit sind, sich für die Gemeinschaft einzubringen und Demokratieverständnis, damit die, die am Ruder sind, die Macht nicht ausnutzen,“ sagt er. In den meisten Genoss:innenschaften ist das Management von den Mitgliedern bestellt und bezahlt, aber Funktionär:innen arbeiten ehrenamtlich.

Kirner sieht in der täglichen Arbeit von Fairtrade, dass solche Zusammenschlüsse im Globalen Süden „zur Wohlfahrt der Mitglieder beitragen“ können, etwa durch gegenseitige Kreditvergabe bzw. die erwähnte Verhandlungsmacht. Das sei mit den Genossen:innenschaften der Raiffeisen, die als Agrarverbände von Bäuerinnen und Bauern gegründet worden waren, in Österreich früher nicht anders gewesen.

Natürlich gebe es, wie in allen Organisationsformen, auch bei Kooperativen Menschen, die Konstrukte ausnutzen. Scheitern kann das Konstrukt auch an Regimen, die solche gemeinschaftlich organisierten Wirtschaftsformen fürchten, weil sich die demokratischen Prinzipien auf das politische Verständnis der Bevölkerung niederschlagen.

Kirner: „Es muss vor allem ein vernünftiges Arbeitsverfassungsgesetz und einen guten Zugang zum Rechtssystem geben.“ Aber das gelte nicht nur für Genoss:innenschaften, sondern für alle Formen des Wirtschaftens, um sicherzustellen, dass möglichst viele davon profitieren und nicht nur einige wenige.

Profitgier und Fabriksfeuer. Elf Jahre ist es her, dass mehr als 1.100 Näherinnen in Rana Plaza in Bangladesch in einem Fabriksfeuer ums Leben kamen. Der durch Profitgier und den Drang zur Billigkleidung ausgelöste Vorfall hat die Welt erschüttert – zumindest kurz.

Mittlerweile gibt es in Bangladesch ein Abkommen zwischen Modeunternehmen, Fabrikant:innen, Gewerkschaften und Ministerium, das die Feuer- und Gebäudesicherheit von Fabriken garantieren soll. Dieses beinhaltet auch Trainings und einen Beschwerdemechanismus, mit dem Näherinnen die Möglichkeit haben, Missstände aufzuzeigen. Der sogenannte Bangladesh Accord wurde mittlerweile von staatlicher Stelle umgesetzt. „Hier müssen wir erst beobachten, wie effektiv das tatsächlich gehandhabt wird,“ sagt Gertrude Klaffenböck, Projektkoordinatorin der Clean Clothes Kampagne beim Verein Südwind.

„Aber die Mitsprache von Gewerkschaften ist mit der staatlichen Umsetzung geschwächt – im Vergleich zum vorher unabhängig verwalteten Bangladesh Accord,“ so Klaffenböck. Das ursprüngliche Übereinkommen wurde 2022 nach Pakistan ausgedehnt, Marokko und Sri Lanka könnten folgen – also Länder, in denen Kleidung für den europäischen Markt billig produziert wird.

Wie Kirner, betont auch Klaffenböck die Wichtigkeit eines stabilen rechtlichen Rahmens: „Mit Rana Plaza ist deutlich geworden, dass es nicht reicht, sich immer nur an die Unternehmer:innen zu wenden, es braucht Institutionen, die als Kontrollorgan fungieren, um Unternehmen zur Verantwortung ziehen zu können.“

Klaffenböck weiter: „Wenn es um Demokratie geht, müssen eigentlich Regierung und Staat für den nötigen Schutz sorgen, damit sich Arbeiternehmer:innen organisieren können.“ Sie sieht hier eine Hoffnung im Lieferkettengesetz, weil „Regierungen durch die Gesetzgebung die menschenrechtliche Verpflichtung umsetzen und Wirtschaft als gesellschaftliche  Akteur:in – eine von vielen anderen – in die Verantwortung nimmt“.

Kapitalistische Spielart? Einige der Näherinnen, die bereits eine Entschädigung erhalten haben, haben sich damit selbständig gemacht. Allerdings arbeiten manche in „Sub-sub-sub-Heimarbeit“ – wieder ohne Mitbestimmungsrechte. „Frauen haben aufgrund von Familien- und Hausarbeit mehr Hürden zu bewältigen, wenn es in Richtung Arbeit und Mitbestimmung geht, als Männer,“ sagt Klaffenböck.

Sind Genoss:innenschaften nur eine andere Spielart des Kapitalismus? Für Thalheimer damals: ja. Für Kirner und Klaffenböck sind sie heute jedenfalls kein Allheilmittel, schließlich bleibt das Grundproblem des Kapitalismus bestehen.

Barbara Ottawa ist freischaffende Journalistin und Nachhaltigkeitsanalystin in Wien. Seit Jahresbeginn ist sie Lektorin des Südwind-Magazins.

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