Die EU hat sich zu einer zaghaften Öffnung ihres Landwirtschaftsmarkts für die ärmsten Länder durchgerungen. Ein Ziel: Grünes Licht für eine neue WTO-Liberalisierungsrunde.
Was Brüssel bezweckt, ist also kein Rätsel. Bis zur WTO-Ministerkonferenz in Katar im Herbst soll es gelingen, den anhaltenden Widerstand der Entwicklungsländer gegen eine umfassende Liberalisierungsrunde zu überwinden. Auch drängte die Zeit. Brüssel ist im Mai Gastgeber einer UNO-Konferenz über LDCs, bei der ein Aktionsprogramm zugunsten der ärmsten Länder beschlossen werden soll übrigens zum dritten Mal seit 1981. Eine Ablehnung des EBA-Vorschlags war aus dieser Sicht nicht tragbar. So wurde die Maßnahme durch den EU-Rat geboxt und als bloße Novelle zum Allgemeinen Zollpräferenzsystem am EUParlament vorbei geschleust.
Auch eine ernstliche Verstimmung zahlreicher AKP-Länder wurde in Kauf genommen, die zu den Hauptverlierern der Initiative gehören dürften (siehe Kasten).
Tatsächlich war ein solcher Schritt überfällig, um den Lippenbekenntnissen der reichen Länder zu freiem Handel ein Mindestmaß an Substanz zu verleihen. Denn gerade die LDCs haben im Rahmen struktureller Anpassungsprogramme ihre Handelsregime bereits weiter liberalisiert als andere Entwicklungsländer und auch weiter, als es die WTO-Regeln fordern. Dies alles, ohne dass der verheißene Nutzen eingetreten sei, wie ein Expertenbericht für die LDC-Konferenz im Mai festhält. Im Gegenteil: Ihre Produktionskapazitäten seien geschwächt worden, während Rohstoffexporteure einen Verfall ihrer Exportpreise hinnehmen mussten.
Einziger Weg vorwärts nach Ansicht der ExpertInnen: Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch Produktdiversifizierung, Produktion von Gütern mit höherer Wertschöpfung und Steigerung der Produktivität.
Die EBA-Initiative bietet in dieser Hinsicht durchaus Chancen, und zwar insbesondere bei Agrarprodukten. Dies deshalb, da LDCs Industriewaren bereits zoll- und quotenfrei in die EU einführen konnten; die Liberalisierung betrifft lediglich den Landwirtschaftsbereich. Allerdings in einer verwässerten Form, wie entwicklungspolitische Organisationen bemängeln: Denn bei drei sensiblen Produkten, Zucker, Reis und Bananen, wird die volle Liberalisierung um etliche Jahre hinausgeschoben (siehe Kasten), was insbesondere die EU-Mittelmeerländer und Frankreich durchsetzten übrigens auch mit Unterstützung aus Wien.
Ein Grund dafür waren Szenarien einer EBA-Analyse der Kommission, die von dramatischen Zunahmen bei Zucker- und Reisimporten bis auf 2,7 Millionen bzw. 450.000 Tonnen ausgehen (rund 20 Prozent bzw. 53 Prozent des aktuellen EU-Verbrauchs) als Folge der hohen EU-Preise: Zucker war in der EU zuletzt beinahe dreimal, Langkornreis zweimal so teuer wie am Weltmarkt. Zwar haben die LDCs selbst ein Zucker- und Reisdefizit, doch könnten sie zweierlei tun: erstens, anders als bisher, einen Großteil ihrer inländischen Produktion in der EU absetzen und sich selbst billiger am Weltmarkt versorgen; zweitens Rohprodukte importieren, weiterverarbeiten und aufgrund der Kumulierungsregel (siehe Kasten) ebenfalls in die EU exportieren. Und wie es aus der Kommission hieß, gebe es im EU-Agrarbudget keine Mittel, um die allfälligen Folgekosten abzudecken.
Dass eine von der britischen Hilfsorganisation Oxfam in Auftrag gegebene Studie die Kommissions-Szenarien als unplausibel bezeichnete, half da genauso wenig wie die Tatsache, dass die EBA-Initiative auch eine Schutzklausel enthält: Bei drastisch zunehmenden Importen kann Brüssel nämlich den Schutzzaun wieder aufstellen. Es werde keine unmittelbaren Auswirkungen auf Österreichs Rübenbauern und Zuckerfabriken geben, beruhigte denn auch Wirtschaftsminister Martin Bartenstein. Die Preise würden jedenfalls nicht von heute auf morgen fallen.
Wohl korrekt, denn nicht zuletzt aufgrund des bisherigen Agrarprotektionismus gibt es in den LDCs kaum entsprechende Exportkapazitäten. Wie das Institute for Development Studies in Sussex im Auftrag von Oxfam erhob, wären allenfalls in sechs Produktgruppen nennenswerte Kapazitäten auszumachen: bei Rindfleisch, Käse, Mais und den drei sensiblen Produkten. Dem pflichtet auch die Kommission bei: Kurz- bis mittelfristig wären viele der LDCs wahrscheinlich nicht in der Lage, die sanitären, phytosanitären und Marketingstandards in der EU einzuhalten, insbesondere bei Fleisch, Obst und Gemüse. Und auch der Dreieckshandel mit Reis und Zucker könnte nur unter der Voraussetzung einiger Investitionen in die Verarbeitungskapazitäten und Handelslogistik der LDCs Wirklichkeit werden. Es sei aber nicht klar, ob die LDCs die nötigen Investitionen kurzfristig anziehen könnten.
Daher forderte etwa Eurostep, ein Netzwerk europäischer Entwicklungs-NGOs, Brüssel müsse eine Strategie zur Überwindung der angebotsseitigen Defizite in den LDCs erarbeiten. Verbal bekennt sich die EU dazu: Wir müssen ihnen helfen, die Kapazität aufzubauen, Güter in exportfähiger Qualität zu liefern, und wir bekräftigen die Verpflichtung der Kommission, weiter technische und finanzielle Hilfe zu diesem Zweck zu leisten, so Kommissar Lamy.
Die relevanten Fakten sind allerdings ernüchternd: Die LDC-Hilfe der EU-Mitgliedsländer sank nach OECD-Angaben von 1988/89 bis 1999 von 0,14 Prozent auf nur mehr 0,06 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Möglicherweise laufen die Entwicklungsländer wieder Gefahr, einer Teile und Herrsche-Strategie auf den Leim zu gehen, wie sie Chakravarthi Raghavan vom SouthNorth Development Monitor (SUNS) in Genf beschreibt: Den LDCs werden mehr Handelsmöglichkeiten (auf Kosten der anderen Länder) versprochen, während gleichzeitig der Rest gezwungen wird, die selben oder sogar noch strengere Verpflichtungen als die reichen Länder zu übernehmen. Den Versprechen folgen dann nur halbherzige Taten, wenn überhaupt. Bis zum Scheitern des WTO-Treffens in Seattle Ende 1999 hat das auch blendend funktioniert. Ob es in Katar wieder gelingt, bleibt abzuwarten.
– Exklusiv für die ärmsten Länder
Die Initiative gilt für die 48 am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) nach UNO-Definition. 39 davon sind AKP-Länder (Afrika, Karibik, Pazifik), die mit der EU über das Cotonou-Abkommen (den Nachfolger des Lomé-Abkommens) in einer Entwicklungspartnerschaft verbunden sind. 33 dieser AKP-LDCs sind afrikanische Länder. Unter den neun LDCs in Asien befinden sich Afghanistan, Nepal, Laos, Kambodscha und Bangladesch; Myanmar (Burma) ist aufgrund der Menschenrechtslage von der Initiative ausgeschlossen.
– Ausschließlich Agrarprodukte
Die Liberalisierung betrifft ausschließlich landwirtschaftliche Produkte, die in der EU produziert und durch Zölle und Einfuhrquoten geschützt werden. Nur ein Prozent aller LDC-Exporte in die EU fallen derzeit in diese Kategorie. Zölle und Mengenbeschränkungen für Industrieprodukte aus LDCs wurden bereits früher aufgehoben.
– Anreiz zur regionalen Integration
Die Maßnahme gilt für alle Produkte mit einem LDC-Wertschöpfungsanteil von zumindest 50 Prozent (Kumulierung). Damit soll ein Anreiz für den Aufbau von Verarbeitungsindustrien in den LDCs im Rahmen der regionalen Integration geschaffen werden.
– Sensible Produkte
Zucker, Reis und Bananen. Anstatt ab 2005, wie von der EUKommission ursprünglich vorgeschlagen, erfolgt die volle Liberalisierung erst ab 2006 (Bananen), Juli 2009 (Reis) und September 2009 (Zucker). Zum Ausgleich werden bis dahin die Einfuhrquoten jährlich um 15 Prozent erweitert; Ausgangspunkt dafür sind die jeweils höchsten Einfuhren der neunziger Jahre plus 15 Prozent.
– Auswirkungen auf Entwicklungsländer
Kurzfristig wenige, da das Angebot der LDCs nicht rasch ausgeweitet werden kann. In weiterer Folge haben jedoch alle Nicht-LDC-Exporteure mit mehr Konkurrenz und sinkenden Preisen am EUMarkt zu rechnen. Besonders betroffen sind einige AKP-Länder, die u. a. mit ihren Reis-, Bananen- und Zuckerexporten am Tropf der hohen EU-Preise hängen. Sinken diese durch LDC-Importe von anderswo, wie zu erwarten ist, droht Produzenten in karibischen Inselstaaten sowie in Guyana, Surinam, Fidschi und Mauritius das wirtschaftliche Aus.
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