Ein einzelner Turnschuh liegt im Sand. Kindergröße. Darüber hängt ein verschlossener Plastikeimer auf einem Baum, der früher wahrscheinlich zur Aufbewahrung von Bienenhonig diente. Ein Zaun aus Dornengestrüpp bildet einen viereckigen Raum. Verrostetes Blechgeschirr und einige Plastikteller deuten darauf hin, dass er einmal als Küche gedient hat. In der Ecke lehnt ein schwerer hölzerner Hocker, er besitzt sicher einigen Wert. Erwartete seinE BesitzerIn, eines Tages wieder nach Hause zurück zu kehren?
Wir sind in Mothomelo, einem Ort, den es nur mehr auf der Landkarte gibt. Seine ehemaligen BewohnerInnen wurden im Februar 2002 abtransportiert. Sie gehörten zu den letzten San oder „Buschmännern“, die in der Zentralkalahari wohnten. Ihre Hütten landeten auf Lastwagen, wenn sie nicht in Brand gesteckt wurden. Mensch, Tier und Hausrat wurden aus dem Zentralkalahari-Wildreservat in eine der zwei neu errichteten Siedlungen, Kauduane oder New Xade, deportiert. Oftmals gegen den Willen der Betroffenen. Manche erhielten namhafte Geldbeträge als Entschädigung und mehrere Stück Vieh, um sich auf ein Leben als Sesshafte umzustellen.
Seitdem flauen die Diskussionen nicht ab. Survival International, die vielleicht international bekannteste NGO im Kampf für die Rechte indigener Gesellschaften, startete noch vor dem Beginn der mehr oder weniger zwangsweisen Umsiedlung eine groß angelegte Spendenkampagne. Wohlweislich. Denn kaum ein Volk ist so bekannt und beliebt wie die „letzten Jäger und Sammler“. Unzählige Filme, Bücher und Reportagen nährten den Mythos vom perfekt im Einklang mit der Schöpfung lebenden „Naturvolk“. Schon ihre internationale Benennung als „Buschmänner“ ist offenkundig rassistisch und weist auf evolutionistische Bestandteile „unseres“ Buschmann-Bildes hin. Als ob es keiner Kultur bedürfte, um in einem so schwierigen Lebensraum wie der Halbwüste der Kalahari überleben zu können.
Genau darin wurzeln die Argumente der botswanischen Regierung. Sie behauptet, dass die international so hart kritisierte Umsiedlung in Wahrheit eine staatliche Fürsorgeverpflichtung erfülle. „Wie kann man eine Steinzeitkreatur im Computerzeitalter weiterhin existieren lassen? Wenn die Buschmänner überleben wollen, müssen sie sich ändern, sonst werden sie, wie der Dodo (eine Vogelart, Anm. d. Red.), aussterben“, sagte 1996 der heutige Staatspräsident Festus Mogae. Nach den staatlichen Entwicklungsvorstellungen heißt das primär: sesshaft werden, Viehzucht betreiben, die Kinder in die Schule schicken, zu den regelmäßigen Wahlen gehen. Auch „Basarwa“ – der in Botswana gebräuchliche Begriff für die San steht für „Dienstbote, Abhängiger“ – sollen in den Genuss all der wunderbaren Fortschritte kommen, die der im Jahr 1966 unabhängig gewordene Staat vor allem der Entdeckung reicher Diamantenvorkommen (nur ein Jahr nach der Unabhängigkeit) verdankt.
Dagegen spricht nach den AktivistInnen der unterschiedlichen San-Organisationen, die in NGOs wie „The First Peoples of the Kalahari (FPK)“ oder „Working Group of Indigenous Minorities in Southern Africa (WIMSA)“ organisiert sind, dass jeder Mensch eine unterschiedliche Vorstellung von Entwicklung besitze und seine eigene Bestimmung wählen können sollte. So beispielsweise Roy Sesana, Vorsitzender der FPK und der vielleicht bekannteste Kämpfer für die Landrechte der San, bei der Khoe und San Konferenz vom 10.-12. September an der Universität von Gaborone in Botswana. Bei dem medial zumindest in Botswana Aufsehen erregenden Ereignis konfrontierten zahlreiche San-VertreterInnen die staatlichen Gesandten mit ihren alternativen Entwicklungsvorstellungen: „Warum setzt ihr einen von uns auf jeden zweiten Prospekt für die botswanische Tourismuswerbung, wenn ihr unseren Lebensstil für überholt und unwürdig haltet? Wieso dürfen wir nicht mehr in beschränktem Ausmaß jagen und sammeln, wenn ihr weiterhin Jagdkonzessionen an professionelle Jagdveranstalter vergebt?“
Auf diese Fragen wissen und wussten die botswanischen Offiziellen keine Antworten. Nur, dass Entwicklung eben sein muss. Wie, das sei doch festgeschrieben, im staatlichen Entwicklungsplan „Vision 2016“. Darin findet der Traum des ersten afrikanischen Wohlfahrtsstaates seine Verkörperung. Im 50. Jahr nach der Unabhängigkeit soll der Staat mit einer kontinuierlichen Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (lange Zeit mehr als 7 Prozent) eine stolze, auch real (soll heißen wirtschaftlich) unabhängige und ökonomisch voll entwickelte, „blühende Nation“ sein. Und diese Vision gelte schließlich für alle EinwohnerInnen Botswanas, auch für die San oder Basarwa. Die ethnischen Unterschiede müssten vergessen oder wenigstens bedeutungslos werden, waren sie doch nur eine Erfindung des Westens, um mittels Teilung zu herrschen.
Seitdem Survival International in einer überzogenen und vielleicht nicht ganz uneigennützigen Medienschlacht Botswanas Diamantengewinnung als eigentlichen Drahtzieher der Umsiedlungsaktion attackiert hat, stehen alle Verhandlungen über eine konsensuale Lösung still.
Noch im Vorjahr startete Botswana eine Gegenkampagne zu Survival. Auf der eigens eingerichteten Website zur San-Umsiedlung werden nicht nur die besten Absichten erklärt, sondern wird auch allen in- und ausländischen Interessierten versichert, dass sie sich vor Ort frei informieren und mit jedem Basarwa reden können. Trotzdem: Wer sich im Land nach dem Stand der Verhandlungen und des Rechtsstreits um die Landrechte der San umhört, gerät sofort in den Verdacht, ein Agent der verhassten Survival International zu sein. So erlebt bei unserem unangekündigten Besuch in New Xade, dem Umsiedlungsort an der Grenze des Wildreservats, den manche San, wie Roy Sesana, gerne mit „Ort des langsamen Todes“ übersetzen. „Nein, mit Roy Sesana könnt Ihr nicht so einfach sprechen“, stoppt uns Justice, ein von der Regierung eingesetzter Polizist gemeinsam mit Kgosi Lobatse Beslag, „seinem“ blutjungen Chief ebenfalls von Regierungsgnaden, dem seine Loyalität immerhin schon eine Ray Ban-Brille eingebracht hat. „Schließlich müssen wir wissen, was Ihr redet und ohne Bewilligung aus dem Büro des Staatspräsidenten könnt Ihr mit niemandem sprechen.“ Die feindselige Stimmung, die Betrunkenen vor einer Müllhalde aus Bierdosen, die trostlosen bettelnden Kinder und alten Frauen sagen ohnehin mehr als die sprichwörtlichen tausend Worte.
Hier leben die Verlierer einer einseitigen Vorstellung von Entwicklung, die freilich jenem Gedankengut entspringt, das Botswanas heutige politische MachthaberInnen in ihren Lehrjahren in Cambridge, Oxford, Sussex oder Harvard eingetrichtert erhielten.
Die Umsiedlung der San entpuppt sich immer mehr als Schuss, der nach hinten los geht und auf beiden Seiten nur Verlierer erzeugt. Dem Staat, der sich in den letzten Jahren durch eine weitgehend vorbildliche Umweltschutzpolitik, demokratische Zuverlässigkeit und Rechtsstaatlichkeit internationales Ansehen erworben hat, ist ebenso wie seinen „First Peoples“ nur zu wünschen, dass alle Beteiligten zur alten Tugend des Palavers (Puso ya batho ka batho) und des sozialen Friedens (Kagisano) zurückkehren und eine einvernehmliche Lösung finden.
Siehe auch Rezensionen auf den Seiten 38f.
Das Botswana Zentrum für Menschenrechte (www.ditshwanelo.org.bw/) tritt für den Schutz indigener Rechte, insbesondere der San, ein.