Äthiopien deportiert Tausende Eritreer. Der Krieg am Horn von Afrika zerstört langjährige gute Beziehungen. SÜDWIND-Mitarbeiter Wolfgang Kunath schildert den Leidensweg eines Vertriebenen.
Yemani Mendir hat einen Schnurrbart und trägt einen grauen Anzug mit einem grauen Schlips. Ein dünner, kleiner, älterer Herr, der nächstes Jahr 70 wird, der zwar flüssig, aber leise, bescheiden, ein bißchen monoton redet und das Englische nicht beherrscht.
Als im vergangenen Jahr der irrwitzige Krieg am Horn von Afrika ausbrach, begann ein paar Wochen später Äthiopien mit Massendeportationen von Eritreern, die in Äthiopien lebten. „Niemand könne erwarten“, so sagte damals Ministerpräsident Meles Zenawi, „daß die Eritreer in Führungspositionen einfach weitermachen dürften, als sei nichts gewesen“. Schließlich herrsche nun Krieg. Wenn auch die Welt diesen Konflikt nicht verstand, Meles‘ Argument leuchtete immerhin ein. So wurden Eritreer deportiert, ohne daß sich die Weltöffentlichkeit darüber besonders erregt hätte.
Mittlerweile haben die Äthiopier weit über 50 000 Menschen ausgebürgert, rund ein Drittel aller in Äthiopien lebenden Eritreer. Wohlgemerkt: EritreerInnen nicht eritreischer Staatsbürgerschaft. Denn zahllose der Deportierten haben einen äthiopischen Paß. Eritreische Pässe gibt es ja erst seit 1993, als das Land unabhängig wurde.
Viele von ihnen haben jahrzehntelang in Äthiopien gelebt, die meisten betrachteten sich selbst als Äthiopier. Die allerwenigsten dieser über 50 000 Menschen, die in der ersten Welle hinausgeworfen wurden, hatten Positionen inne, die Loyalitätskonflikte oder Staatssicherheitsprobleme heraufbeschworen hätten.
Was man ganz zu Anfang vielleicht noch als halbwegs legitimen Selbstschutz Äthiopiens hätte durchgehen lassen können, ist längst zu einer üblen ethnischen Säuberung geworden, die den ohnehin bitteren Krieg menschlich noch bitterer macht.
Was hätte denn Yemani Mendir schon ausspionieren, welchen Schaden hätte er anrichten können? Der Mann ist doch seit 1986 pensioniert. 31 Jahre lang hat er in Äthiopien gelebt, gearbeitet und dabei Pensionsansprüche erworben. Diese hat er durch seine Deportation verloren. ,,Unter den Italienern und den Briten war es schon schlimm, aber unter den Äthiopiern ist es am Ende unerträglich geworden.“
Der alter Herr kann sich noch an die italienische Kolonialzeit vor 1945 erinnern, als Eritreer nur zum Arbeiten ins Zentrum der eritreischen Hauptstadt Asmara kommen, aber nicht dort wohnen durften. Als höhere Schulbildung oder auch nur ein Kinobesuch ebenso ausschließlich italienischee Vorrechte waren wie die Benutzung der vorderen Sitzplätze in den Omnibussen: Apartheid auf italienisch.
Diese Diskriminierung entfiel immerhin unter den Briten, mit denen der 19jährige Yemani zum Arbeiten an den Suezkanal zog. Ägypten, Sudan, Libyen. Er kam viel herum in den frühen fünfziger Jahren.
Als er 24 war, absolvierte er einen sechsmonatigen Kurs als Meteorologe, dann wurde er bei der Behörde für Zivilluftfahrt angestellt.
Aber die Vereinten Nationen, die mit der kolonialen Hinterlassenschaft des Kriegsverlierers Italien nichts Rechtes anzufangen wußten – auch die britische Verwaltung war ja nur eine Interimslösung -, gaben schließlich einer Föderation Eritreas mit Äthiopien den Vorzug.
,,Wir durften weder Tigrinya noch Arabisch sprechen. Alle öffentlichen Posten von einigem Niveau waren für die Amharen reserviert“, beschreibt Mendir die Lebensbedingungen der Eritreer in dieser sogenannten Förderation, aus der die Amharen, damals Äthiopiens dominierendes Volk, nach und nach immer mehr eine Annexion machten.
,,Somalia und Libyen, die anderen italienischen Kolonien in Afrika, wurden unabhängig, und wir wurden ein zweites Mal kolonisiert“, skizziert Mendir den Lauf der Geschichte.
Im Jahr 1962 begann der eritreische Befreiungskrieg, der erst 1991 endete, als eritreische und nordäthiopische Guerrilleros gemeinsam dem Regime in Addis Abeba den Garaus machten.
Dessenungeachtet hatte Mendir von 1954 bis 1986 ein ruhiges, befriedigendes Berufsleben. Der Meteorologe wurde an verschiedene Flughäfen des Landes versetzt, war im kühlen Addis im äthiopischen Hochland stationiert und im heißen Massawa unten am Roten Meer.
Und als er vor 13 Jahren pensioniert wurde, da war ihm und seiner Frau klar, daß sie in Addis Abeba bleiben würden; schließlich lebten sie dort seit 1980. Nach dem gemeinsamen Sieg 1991 waren die Beziehungen zwischen Äthiopien und dem unabhängigen Eritrea exzellent.
Wer wäre schon auf die Idee gekommen, daß zwischen beiden Ländern einmal ein Krieg ausbrechen könnte?
Als im Juni 1998 der Haß gegen Eritreer geschürt wurde, lag Yemani Mendir wegen Nierenproblemen im Hospital. Seine Frau wurde von seinem Krankenbett weg abgeführt und nach Eritrea ausgebürgert, drei Tage später wurde er selbst aus der Klinik gewiesen, ohne geheilt zu sein. Ein paar Wochen danach wurde er verhaftet und in ein Lager gerbacht, wo man ihn medizinisch nicht versorgen konnte. Deshalb ließ man ihn wieder laufen, aber er mußte sich täglich melden. Wenn er gesund sei, werde er deportiert, sagte man ihm.
Im November erachtete man den alten Herrn als hinreichend transportfähig: Zusammen mit 60 anderen wurde er in einen Bus gesteckt. Alle zusammen hatten als Reiseproviant einen 20-Liter-Kanister Wasser. Mehr als die Kleidung am Leib durfte er nicht mitnehmen.
An dieser Stelle fügt der Übersetzer, ebenfalls ein Ausgewiesener, hinzu, daß er selber die tagelange Reise ohne Unterwäsche antreten mußte: Die Polizisten holten ihn am frühen Morgen aus dem Bett, und er durfte nur Hose, Hemd und Pullover anziehen.
Zusammen mit Hunderten von anderen Ausgebürgerten lief Yemani Mendir schließlich bei Nacht über die Grenze, an der sie von den Äthiopiern ausgesetzt worden waren. Schließlich kam er in Asmara an, wo er bei seinen Schwiegereltern seine Frau wiedertraf; die vier Kinder leben seit Jahren im Ausland.
Der Pensionist Mendir besitzt nur den eritreischen Deportierten-Ausweis Nr. 0023720, der zu bestimmten Leistungen des Staates Eritrea berechtigt. Außerdem hat er noch rund 1800 US-Dollar an Ersparnissen; das Äquivalent in äthiopischer Währung hat er, am Körper versteckt, mit nach Eritrea geschmuggelt. Zurückgelassen hat er Wohnungseinrichtung, Eisschrank, Radio, Fernseher – was man eben so besitzt, wenn man zum Mittelstand gehört.
Immer wieder haben sich in Äthiopien BürgerInnen gegen diese Verschleppungen aufgelehnt: In der Privinzstadt Dese stellten sich äthiopische Frauen auf die Straße, um die Busse aufzuhalten. Die Polizisten haben einfach dreingeschlagen.
Wolfgang Kunath ist Ostafrika-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien mit Sitz in Nairobi.
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