Nimmersatt am Rio de la Plata

Von Viktor Sukup · · 1999/01

Staatschef Carlos Menem hat im vergangenen Juli auf seine dritte – verfassungswidrige – Präsidentschaftskandidatur „verzichtet“. Nun versucht er doch wieder ein Comeback für die Wahlen im kommenden Oktober.

Einer der beiden Hauptbewerber, die sich im kommenden Oktober um die Nachfolge des heutigen Präsidenten Carlos Menem bewerben werden, steht endgültig fest: Fernando de la Rúa, Bürgermeister der Hauptstadt und Kandidat der Radikalen Bürgerunion (Unión Cívica Radical, UCR), wird gegen einen peronistischen Kandidaten antreten, vermutlich den Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Eduardo Duhalde. Zur Zeit gilt De la Rúa, den Umfragen zufolge, als Favorit, aber bis Oktober können noch viele Faktoren das Endresultat bestimmen.

Mit über 25 Punkten Vorsprung – einiges mehr als die Umfragen gemeint hatten – hat De la Rúa seine Rivalin im Oppositionsbündnis Alianza, die Abgeordnete Graciela Fernández Meijide, bei den Vorwahlen im Ende November überaus klar besiegt. Mehrere Umstände sind hier bestimmend gewesen. Zum Beispiel, daß der Sieger die bereits über hundert Jahre alte traditionelle Partei des Zentrums, UCR, vertritt, die landesweit über gut organisierte Parteiapparate verfügt. Graciela hingegen trat für die recht heterogene und erst seit wenigen Jahren bestehende, im Landesinneren noch sehr wenig lokal verwurzelte Mitte-Links-Koalition FREPASO an. Darin sind vor allem dissidente Peronisten, Sozialisten diverser Tendenzen und Christdemokraten vertreten.

Der 61jährige Jurist und Berufspolitiker De la Rúa kann überdies bereits auf eine lange politische Laufbahn zurückblicken und ist seit vielen Jahren dem Publikum bekannt. Die 67jährige Graciela Fernández hingegen ist auf der politischen Bühnerelativ neu.

Fernando de la Rúa war bereits 1973 UCR-Kandidat für die Vizepräsidentschaft gewesen. Von seinem damaligen Aufstieg als junger Nachwuchspolitiker ist ihm bis heute der Spitzname „Chupete“ (Schnuller) geblieben. Ab 1973 war er mehrmals Abgeordneter und Senator. Seit 1996 ist er der erste vom Volk gewählte Bürgermeister der Hauptstadt Buenos Aires.

De la Rúa ist ein klarer Vertreter des konservativen Flügels der Radikalen und wird weitgehend – zumindest im Vergleich mit anderen – als ein relativ effizienter Verwalter und als nicht oder zumindest als wenig korrupt angesehen.

Graciela Fernández Meijide (siehe Kurzporträt in SWM 12/97, S. 21) hat

bei der Wahl zur Präsidentschaftskandidatin vielleicht auch geschadet, daß sie als scharfe Oppositionsfigur gegen die Regierung Menem gilt.

Mehr als einmal tat sie die Meinung kund, die Justiz sollte nicht davor zurückschrecken, den heutigen Staatschef über die unzähligen Korruptionsskandale zu befragen, in die er und seine Umgebung permanent und engstens verwickelt sind.

Der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der Peronisten, Duhalde, übt sich heute in Kritik am ultraliberalen Menem-Modell. Er war es, der den machtbesessenen Menem im letzten Juli so weit brachte, daß dieser offiziell auf eine neuerliche – klar verfassungswidrige – Kandidatur für 1999 „verzichtete“.

Präsident Menem hofft nun, die Kandidatur Duhaldes bei den Primärwahlen im April sabotieren zu können. Dafür zählt nicht zuletzt die Unterstützung für den Gegenkandidaten Ramón „Palito“ Ortega, einen ehemaliger Schlagersänger und Filmschauspieler.

Auch der frühere Formel-1-Rennfahrer Carlos Reutemann, Ex-Gouverneur der bedeutenden Provinz Santa Fe von Menems Gnaden, ist wieder im Gespräch als ein möglicher Statthalter in der Präsidentschaft. Im Jahre 2003, wie es die Verfassung erlaubt, könnte er Menem wieder ans Ruder lassen. Doch in allerletzter Zeit scheint es sich der Staatschef wieder anders zu überlegen ..

Viel wird natürlich von der Wirtschaftslage abhängen, wo sich die langjährige Illusion einer „überaus erfolgreichen“ Menem-Politik – wie diese vom Welt-Establishment mit großem Enthusiasmus gefeiert wird – immer mehr verflüchtigt.

Schon der Alianza-Sieg bei den Kongreßteilwahlen von Ende 1997 war sicher zu einem nicht geringen Teil Folge davon. Seither hat die asiatische und weltweite Krise die Perspektiven noch deutlich verschlechtert. Sinkende Rohstoffpreise und eine in den Menem-Jahren gut verdoppelte Auslandsschuld vertiefen das immer unhaltbarer gewordene Leistungsbilanzdefizit. Die weitere entschiedene Unterstützung des Internationalen Währungsfonds kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Menems ultraliberales Modell mehr Probleme und Armut als Fortschritt und Reichtum gebracht hat.

Zwar ist nach jüngsten Angaben die Arbeitslosigkeit wieder auf rund 12 Prozent gesunken, aber sie bleibt trotzdem sehr hoch für ein nicht an dieses Problem gewohntes Land.

Auch die sinkenden Realeinkommen bieten keine gute Basis für einen Wahlerfolg der Peronisten, umsomehr als ja gerade sie historisch die Verfechter der Reallohnerhöhungen und besseren Arbeitsbedingungen waren.

Das Ergebnis der Gouverneurswahlen vom 20. Dezember in der Provinz Córdoba, einer der bedeutendsten des Landes, könnte jedoch in Sachen Präsidentschaftskandidaten mitentscheidend sein. In ihrer traditionellen Hochburg konnte die UCR diesmal ihre seit 1983 ungebrochene Vorherrschaft nicht halten, was sicher durch lokale Faktoren wie den aufsehenerregenden Korruptionsskandal um den früheren langjährigen Gouverneur Eduardo Angeloz und die autoritären und klientelistischen Züge seines Nachfolgers Ramón Mestre zu erklären ist. UCR und FREPASO bildeten hier, wie auch in einigen anderen Provinzen, keine Allianz, sondern bekämpften sich heftig.

Der klare Erfolg der Peronisten – fast 10 Punkte Vorsprung vor der UCR – ist also ein Ausdruck der Ablehung der dortigen UCR-Verwaltung.

Menem hat sich nichtsdestoweniger beeilt, den lokalen Sieg seiner Partei als einen eigenen zu interpretieren, und ließ seine „Ultra-Menemisten“ sofort eine neuerliche Kampagne für seine Präsidentschaftskandidatur starten. Carlos Menem scheint noch lange nicht gewillt, von der politischen Bühne abzutreten.

Der Autor ist österreichischer Ökonom und ist seit Jahren an zwei argentinischen Universitäten als Wirtschaftsprofessor tätig.

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