Warum der Kampf gegen die Verstümmelung von Frauen schon bald beendet sein soll und welche Rollen Frauen und Männer dabei spielen. Ex-Starmodel und UNO-Sonderbotschafterin Waris Dirie im Gespräch mit Gerlinde Pölsler.
Südwind: 1997 veröffentlichten die Weltgesundheitsorganisation WHO, das Weltkinderhilfswerk UNICEF und der Bevölkerungsfonds UNFPA einen gemeinsamen Plan zur Bekämpfung von Genitalverstümmelungen. Innerhalb von zehn Jahren wollen sie diese größtenteils, innerhalb von drei Generationen gänzlich abschaffen. Ist das ein realistisches Ziel?
Waris Dirie: Natürlich ist das realistisch, sehr realistisch. Menschen tun es, und Menschen können damit aufhören. Also warum nicht?
Aber es gibt so viele Menschen zu überzeugen.
Man muss tun, was man tun muss. Wo ein Wille, da ein Weg. Über diesen Punkt braucht man nicht zu reden.
Es gibt aber Länder, wo das Problem der Genitalverstümmelung auf Grund von radikalen islamistischen Bewegungen während der letzten Jahre sogar zugenommen hat – Ägypten beispielsweise. Hat man nicht manchmal das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen?
Ich glaube, wer Recht hat, wird gewinnen. Wer Unrecht hat, wird verlieren; das ist sehr einleuchtend, oder?
Aber ist denn dies immer der Fall gewesen, dass der, der Recht hat, sofort gewinnt?
Ich weiß, es kann passieren, also tun wir es. Ich habe keine Zeit, über Leute nachzudenken, die das nicht glauben. Haben die Menschen zwei Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer geglaubt, dass sie fallen würde? Wenn die Berliner Mauer gefallen ist, dann können wir auch die Genitalverstümmelung abschaffen. Ich bin wütend, sehr wütend, und so sicher, dass sie abgeschafft wird.
Als Sie in Afrika über das Thema gesprochen haben, wie sind Sie dabei vorgegangen?
Ich bin in kleine und entlegene Dörfer gegangen. Ich habe sowohl getrennt mit Männern und Frauen gesprochen als auch mit beiden Geschlechtern gemeinsam.
Haben die Frauen anders reagiert als die Männer?
Ja. Die Frauen waren schockiert, als ich ihnen sagte, dass Beschneidung abnormal ist. Sie haben nicht gewusst, dass das nicht jede macht. Sie erzählten, was ihnen passiert ist, und ich weiß, dass die, die mich gehört haben, diese Veränderung vollziehen werden. Die Männer kümmern sich ohnehin einen Dreck darum.
Gibt es nicht zwei Gruppen von Männern: Die einen, die die Beibehaltung der Genitalverstümmelung als Tradition verfechten, und die anderen, die ihre Abschaffung durchaus befürworten, weil sie erwarten, dass die Frauen und sie selbst damit glücklicher wären?
Darum geht es nicht. Die Frauen müssen für sich selber sprechen. Dabei ist die Meinung der Männer nicht so wichtig. Glauben Sie, dass die Männer, die diese Entscheidungen treffen, wissen, was die Frauen durchmachen?
Sie sehen die Lösung also größtenteils oder völlig bei den Frauen?
Beide Geschlechter tragen die Verantwortung. Die Frauen haben die Beschneidung akzeptiert. Es ist also ihre Schuld, weil sie nicht dagegen ankämpfen. Und es ist die Schuld der Männer, weil sie die Familienoberhäupter sind und Entscheidungen fällen.
Das Problem der Genitalverstümmelung ist eng mit sozialen Umständen und Abhängigkeiten verbunden. Wie kann man damit umgehen?
Die Genitalverstümmelung hat viel mit Glauben und der gesellschaftlichen Stellung der Frau zu tun. (Anm. d. Redaktion: Unbeschnittene Frauen gelten in vielen afrikanischen Gesellschaften als unrein.) Man muss den Frauen sagen, dass sie sich selbst zerstören, wenn sie Beschneidungen zulassen, und dass es in Ordnung ist, unbeschnitten zu sein. Die Männer konnten diese Regeln nur deshalb festlegen, weil sich die Frauen nicht zur Wehr setzten.
Sie vertrauen also ganz auf starke Frauenbewegungen – gibt es davon schon Anfänge?
Sie sind schon da, ja. Es gibt viele Frauen, die ihre Geschichten erzählen, die protestieren und etwas verändern wollen.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die effizientesten Maßnahmen im Kampf gegen die Genitalverstümmelung; welche müssen als erste getroffen werden?
Zuerst muss ein Gesetz verabschiedet werden, das Beschneidung unter Strafe stellt. Gleichzeitig muss Bewusstseinsarbeit geleistet werden; man muss die Menschen aufklären, Dorf für Dorf, Familie für Familie.
Wie erleben Sie Ihr Engagement als Botschafterin für ein Thema, das so eng mit Ihrer persönlichen Geschichte verflochten ist? Zeitweise muss es ganz schön hart sein.
Ja. Es gibt Tage, an denen ich das Gefühl habe, als kämpfte ich gegen die ganze Welt, als wäre ich die Einzige, die überall hinrennt, und niemand sonst tut irgendetwas gegen Beschneidung. Ja, das ist sehr, sehr hart, aber ich muss das tun. Es ist ein Versprechen, das ich mir selber und Gott gegeben habe.
Wie sieht denn Ihre Zusammenarbeit mit anderen Organisationen aus, die gegen Genitalverstümmelung kämpfen?
Wir arbeiten zusammen und gleichzeitig macht jeder seine eigenen Sachen. Aber immer noch bin ich diejenige, die auf etwas hinweist und fragt: Was werdet ihr in dieser Sache tun? Als ob es nur mein Problem wäre oder das Problem der Länder des Südens. Es ist auch eures, sage ich da immer. Afrika hat noch ein größeres Problem, nämlich Aids. Und das Aidsproblem wird noch schlimmer werden, wenn die Leute weiterhin die selben Beschneidungsgeräte für mehrere Personen verwenden.
Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit all der Organisationen, die gegen Genitalverstümmelung kämpfen, von der UNO über amnesty international, Terre des Femmes und so weiter?
Ich habe nun meine eigene Organisation gegründet. Sie heißt „Desert Dawn“. In einigen Monaten wird sie mit ihrer Arbeit beginnen. Wir werden in Somalia starten. Nach zehn Jahren Bürgerkrieg gibt es dort fast nichts. Ich war letzten Oktober dort, und es war so traurig. Frauen bringen ihre Kinder im Busch zur Welt, und sie haben nichts, nicht einmal etwas, um das Kind abzuwischen. Und dazu sind sie noch so schwer verstümmelt. Sie brauchen also medizinische Versorgung, Schulen, Wasser, ein Gemeinwesen, all das.
Wie schätzen Sie den Erfolg ein, der während der letzten Jahre von allen Organisationen gemeinsam im Kampf gegen die Genitalverstümmelung erzielt werden konnte?
Jede einzelne Organisation tut ihr Bestes. Und sobald alle Gemeinschaften ihren Beitrag leisten, wird sich etwas verändern.
Haben Sie jemals Momente gehabt, in denen Sie dachten: Vielleicht wäre es besser gewesen, ich wäre nicht an die Öffentlichkeit gegangen?
Ja. Es gibt Tage, an denen ich das Gefühl habe, meine gesamte Kraft sei verschwunden, und aufgeben will. Aber dann am nächsten Morgen ist da mehr Energie als je zuvor, und ich weiß, dass ich nicht aufgeben werde wegen dieser ignoranten Leute, die nichts unternehmen. Ich werde es euch zeigen, denke ich mir dann immer.
Literaturtipp:
Waris Dirie: „Wüstenblume“. Taschenbuchausgabe: Verlag Knaur, München 2001, 348 Seiten, öS 117,-.
Gerlinde Pölsler ist freie Journalistin und lebt in Graz.
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